Palme-Prozeß: Maulkorb für den Rundfunk

Gestern begann das Revisionsverfahren im Palme-Mordprozeß / Das Prinzip der Öffentlichkeit bei Gerichtsverfahren wird gebrochen  ■  Aus Stockholm G. Pettersson

Während der schwedische Geheimdienst Säpo ohne rechtliche Grundlage rund um die Uhr die Bänder laufen ließ und unter anderem sowjetische Diplomaten in ihrer Privatwohnung abhörte, sind in dem seit gestern in zweiter Instanz vor dem Stockholmer Oberlandesgericht laufenden Palme-Mordprozeß Mitschnitte verboten. Obwohl das schwedische Gesetzbuch das Prinzip der Öffentlichkeit bei Gerichtsverfahren festschreibt, wurde dem schwedischen Rundfunk ein Maulkorb umgehängt.

Er darf nicht - wie in der ersten Instanz - direkt senden, lediglich die Aussagen von zwei Psychologen über die Glaubwürdigkeit der Tatzeugin Lisbeth Palme dürfen übertragen werden. Der Beschluß der haupt- und ehrenamtlichen Richtercrew mit Gerichtspräsidentin Birgitta Blom an der Spitze löste in Schweden heftige Reaktionen aus. Der Rundfunkrat zeigte den Fall beim Justikanzler und dem Justiz-Ombudsman an.

Auch das weitgehende Eingehen des Gerichts auf die Sonderwünsche der Kronzeugin Lisbeth Palme sorgte für Kritik. Lisbeth Palme, einzige Augenzeugin des Mordes, deren Aussage auch in der zweiten Instanz nach Einschätzung aller Beteiligten die ausschlaggebende Rolle spielen wird, braucht nicht in Mikrophone und nicht in Anwesenheit des Angeklagten Christer Pettersson zu sprechen. Ihre Aussage wird lediglich mitstenografiert, Pettersson ist zu Beginn der Vernehmung Lisbet Palmes nicht im Gerichtssaal.

In dem bis 5.Oktober terminierten Palme-Mordprozeß werden zwei neue Zeugen auftauchen. Die Staatsanwaltschaft benannte den Zeugenpsychologen Lars Göran Nilsson. Er soll die Glaubwürdigkeit Lisbeth Palmes bei der Identifizierung Christer Petterssons drei Jahre nach dem Mordtag untermauern. Seiner Ansicht nach sind auch lange Jahre nach einer Tat solch eindeutige Identifizierungen möglich. Die Verteidigung des am 27.Juli 1989 in erster Instanz zu lebenslänglich verurteilten Christer Pettersson berief einen Zeugen, der den Verurteilten am Mordabend, dem 28.Februar 1986, gegen 23.45 Uhr in dem weit entfernten Stockholmer Vorort Rotebro gesehen haben will - also nur 20 Minuten nach der Tatzeit. Von den 43 ZeugInnen der ersten Instanz werden vor dem Oberlandesgericht 30 gehört.

Die Chance eines Freispruchs für Christer Pettersson wird relativ hoch eingeschätzt. Am Oberlandesgericht besteht das Verhältnis von Juristen zu ehrenamtlichen Schöffen 4:3. In der ersten Instanz agierten sechs Laienrichter und zwei Juristen. Die Juristen hatten auf Freispruch plädiert, die Laienrichter auf lebenslänglich.