Schwarz ist mehr als nur Hautfarbe

Marie Gaydu, Hauptdarstellerin in Alain Tanners neuem Streifen, verblüfft die Presse Gesellschaftskritisches „Black Cinema“ ohne Publikum in heimischen USA  ■  Aus Venedig Arno Widmann

Vom Rassismus war gestern die Rede. Von dem des Berichterstatters. Heute brachte Alain Tanner seinen neuen Film an den Lido. Die Frau von Rose Hill. Ein Schweizer Bauer hat eine Afrikanerin eingeflogen, um sie zu heiraten. Sie mag ihn nicht. Sie lernt einen anderen Mann kennen. Der verlangt, daß sie das gemeinsame Kind abtreibt. Sie will das Kind, bekommt es, bricht jeden Kontakt zu dem Vater ab. Die Geschichte endet in einem Blutbad, als die Afrikanerin von der Polizei aus der Schweiz abtransportiert wird.

Die großartige Hauptdarstellerin, die noch niemals vorher einen Film gedreht, niemals vorher Theater gespielt hatte, Marie Gaydu, erklärte den verblüfften Pressevertretern: Das Schöne an dem Film sei, daß er nicht vom Rassismus handele, sondern die Geschichte einer Frau erzähle, einer stolzen Frau. Es hatte auch eine Jugoslawin, eine Schweizerin sein können. Marie Gaydu hat recht. Aber Schwarz hat eine Bedeutung für uns. Wir fragen, warum, wenn es gleichgültig ist, ob die Frau schwarz, weiß oder gelb sei, es dann ihrer schwarzen Haut bedurfte? Wozu brauchte Tanner den Kontrast zwischen ihr und der eisig verschneiten Schweiz? Diese Frage hat nur dann einen Sinn, wenn Schwarz mehr ist als eine Hautfarbe. Sie ist rassistisch.

Chameleon Street von Wendell B. Harris Junior ist die Geschichte eines schwarzen Betrügers, der in immer neue Verkleidungen schlüpft, um an Geld zu kommen. Er tritt auf als Journalist, Rechtsanwalt, Arzt. Seine Frau möchte, daß er endlich mit der Betrügerei aufhört, ein anständiges Leben führt, und verrät ihn an die Polizei. Ein Film ganz von Schwarzen gemacht. Black Cinema. Ein bissiger Film, der der amerikanischen Realität einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorhält. Aber, wer wird den Film sehen? Der Regisseur breitet die Arme aus: „Wir hoffen, daß jeder ihn sieht. Es ist ein ganz hervorragender Film. Aber wissen Sie was: In den riesigen United States of America gibt es ganze 400 Kinos, die bereit sind, 'Schwarze Filme‘ zu zeigen. Aber vielleicht schaffen wir es mit unserem Film, daß ein paar Kinos dazu kommen.“ Der Mann, der einen der vergnüglichsten Filme des Festivals gedreht hat, ist einer der ernstesten bei der Pressekonferenz. Als eine junge Frau ihn fragt, ob europäische Filme ihn beeinflußt haben, lächelt er erst ihn ärgert wie die meisten Regisseure die Frage nach den Einflüssen: „Die amerikanischen Filmemacher kennen den europäischen Film. Sie bewundern ihn. Aber sehen sie, wenn sie sich Spielbergs Indiana Jones anschauen, werden sie gepackt und fortgerissen von der Action, wenn sie sich einen Film von Truffaut ansehen, werden sie gepackt und fortgerissen vom Schlag ihres eigenen Herzens.“