Schuß „zur Eigensicherung“

17jähriger Autoknacker von Polizeikugel in den Kopf getroffen / Das siebte Opfer in diesem Jahr (1988 insgesamt neun) / Ungereimtheiten über den Tathergang  ■  Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - Beharrliches Schweigen begleitet die Ermittlungen der Schweinfurter Kriminalpolizei zu dem Todesschuß eines 38jährigen Würzburger Oberkommissars. In der Nacht zum Samstag hatte der Polizeibeamte, der zusammen mit einer 21jährigen Beamtin auf Zivilstreife war, zwei Männer beim Aufbrechen eines Autos beobachtet. Um die Insassen zu kontrollieren, öffnete der Kriminaloberkommissar die Beifahrertür. Kurz darauf löste sich der tödliche Schuß aus der laut Stellungnahme der Polizei „zur Eigensicherung gezogenen Dienstwaffe“. Die 9-mm-Kugel traf einen 17jährigen Umschüler in den Kopf, durchschlug die Scheibe der Fahrertür und blieb schließlich in einem vorbeifahrenden Auto stecken.

In einer Pressekonferenz am selben Tag legten sich Staatsanwaltschaft und Polizei auf eine Version des Tathergangs fest. Der 17jährige soll kurz vor dem Schuß begonnen haben, „wie wild mit den Armen herumzufuchteln“, was auch sein 18jähriger Komplize bestätigt haben soll. In den Mittelpunkt der Ermittlungen rückte die Frage, ob der Beamte sich nicht in einer Notwehrsituation befunden habe oder ob gar der Schuß durch Reaktionen des Opfers ausgelöst worden sei. Mit dem Hinweis auf ein auf dem Armaturenbrett des aufgebrochenen Fahrzeuges gefundenen, aufgeklappten Messer soll die Notwehrtheorie gestützt werden. Der Oberkommissar wurde bisher nicht einmal vorläufig vom Dienst suspendiert.

Wie der im Wagen sitzende 17jährige Umschüler den außerhalb des Fahrzeugs stehenden Polizeibeamten überhaupt bedrohen konnte bzw. gar kausal für das Auslösen des Schusses verantwortlich sein kann, dazu schweigen sich sowohl Staatsanwaltschaft als auch Kriminalpolizei aus. Oberstaatsanwalt Fischer kündigte an, daß er sich erst in „einigen Wochen“ mit Abschluß der Ermittlungen dazu äußern will. So bleibt weiterhin ungeklärt, wo sich die 21jährige Beamtin während des Schusses aufgehalten hat bzw. wie sie sich verhalten hat, und warum der Beamte, wenn sich der Schuß versehentlich gelöst haben sollte, die Waffe auf den Kopf des 17jährigen gerichtet hatte. Bereits bei der Einführung der neuen Polizeiwaffengeneration, zu der die in Würzburg verwendete 9-mm-Heckler&Koch-Pistole gehört, hatten Experten gewarnt, daß die Waffen keine Sicherung im herkömmlichen Sinne besitzen. Die zuvor verwendeten Pistolen mußten in Gefahrensituationen erst entsichert werden. Bei der von der bayerischen Polizei verwendeten Heckler&Koch genügt jetzt lediglich ein leichter Druck der unteren Finger auf den Handgriff, um die Waffe nahezu automatisch zu entsichern. Nach Angaben von Falco Werkentin von der Berliner Initiative „Bürgerrechte und Polizei (Cilip)“ ist im ersten Halbjahr 1989 ein Anstieg des polizeilichen Schußwaffengebrauchs mit tödlichem Ausgang festzustellen (1988 insgesamt neun; allein sieben im ersten Halbjahr 89). Erst Ende Juni war ein 13jähriger nach einer Verfolgungsjagd in Essen durch Polizeikugeln getötet worden.