Flackerndes Leuchtfeuer für den Osten

„Das heutige Datum wird nicht als Beginn des CDU-Parteitags in die Geschichte eingehen, sondern als Datum der Schicksalsstunde Deutschlands.“ Und er selbst, so ruft der junge Delegierte in den Saal der Bremer Stadthalle, er fühle sich „aufgewühlt“. Bei ihm zumindest ist die Botschaft angekommen, die sich durch nahezu alle Reden dieses Parteitags zieht: Der massenhafte Aufbruch von DDR-Bürgern gen Westen soll in der Union „neue Aufbruchstimmung“ schaffen.

Ob Geißler oder Kohl, Böhr oder Biedenkopf, darin sind sich alle einig: „Freiheit“ und „CDU“ müssen gleichgesetzt werden, und das kann man nicht oft genug sagen. Die „Ideen“ der CDU hätten sich „weltweit durchgesetzt“, so hatte Helmut Kohl zu Beginn die ideologische Hegemonie der Union gleich global verortet. Geißler, ein wenig bescheidener, sieht die konservativen „Ideale“ immerhin „leuchten für Hunderte von Millionen Menschen in Osteuropa“. Und Kurt Biedenkopf entwirft für die „nationale Vision“ gleich programmatische Schritte: Bei allen Fragen müßte nun die „gesamtdeutsche Verantwortung mitgedacht“ werden. Darum dürfe sich zum Beispiel niemand darüber freuen, daß die jungen Übersiedler etwa die westdeutschen Rentenkasse füllen könnten - „das ist keine gesamtdeutsche Betrachtungsweise“.

Marx ist tot, Jesus und Erhard leben, und wenn früher nur Kerzen ins Fenster gestellt wurden für „die drüben“, wird die westliche Auslage jetzt in gleißendes Flutlicht getaucht: Die Veränderungen in der Sowjetunion seien ohnehin nur „Anleihen“ von uns, stellt der neue Generalsekretär Volker Rühe bündig fest.

Für die SPD soll nur der Schatten dieses von der CDU besetzten Freiheitsbegriffs bleiben. In den Attacken auf die Sozialdemokraten deutet sich bereits an, wie dieses Thema bis zur Bundestagswahl varriert und immer wieder aufgekocht werden wird: Die SPD als Feind der Freiheit, als Wasserträger Honeckers. „Wandel durch Anbiederung“, diese Kampfvokabel hatte Volker Rühe schon bei der Haushaltsdebatte im Bundestag für die sozialdemokratische Ostpolitik gefunden. Durch Begriffe wie Sicherheitspartnerschaft, so fährt Geißler jetzt fort, habe die SPD die Stabilisierung totalitärer Parteien und die Schwächung freiheitlicher Bewegungen in Kauf genommen. Und im Stil früherer Kalter-Kriegs-Parolen seiner Partei kalauert er: „Von Ost-Berlin wird heiß geliebt, was Momper täglich von sich gibt.“ Helmut Kohl hakt die SPD-Ostpolitik später in einem Nebensatz ab: „Nichts“ habe die Ära Brandt gebracht. Am 17.Juni hatte Dregger noch Erhard Eppler zu seiner auf Kooperation zielenden Bundestagsrede gratuliert; jetzt, mit den neuesten Flüchtlingsnachrichten im Rücken, zeichnet Kohl wieder schärfere Konturen: In der Deutschlandpolitik gebe es „keine Gemeinsamkeiten“ mit der SPD.

Die deutsche Frage so offen wie noch nie, die CDU als Leuchtfeuer der Freiheit für den Osten, das soll Stimmung und Stimmen schaffen. „Ein Ruck kann durch die Partei gehen, der uns alle fördert und zusammenschweißt“, hofft der Berliner Landowski. Doch in Bremen sind auch andere Töne vernehmbar. Auffallend oft wird von der Führungsriege an die Partei appelliert, die Übersiedler „willkommen“ zu heißen, und „Vorbild“ dabei zu sein, sie mit offenen Armen zu empfangen. „Das sind keine Aussteiger, die es sich in der sozialen Hängematte bequem machen wollen“, so wendet sich Helmut Kohl gleich zu Beginn seiner Parteitagsrede gegen „dümmliche Stammtischparolen“. Daß diese Parolen nun laut werden könnten, wenn nicht bei denen hier im Saal, dann doch „draußen im Lande“, diese Befürchtung schimmert durch die zahlreichen Appelle. Das politische Signal, das die Ausreisewelle pünktlich zu diesem Parteitag setzt, ist hochwillkommen - die Masse konkreter Menschen womöglich aber nicht. Sie könnten Unionswähler vergraulen und zu den „Republikanern“ treiben. Die „Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung“ der Partei verteilt in Bremen ein Faltblatt, das Antwort auf die Frage „Was ist Deutschland?“ geben will. Von den „Ostprovinzen des Deutschen Reiches“, polnisch und sowjetisch „verwaltet“, ist da die Rede. Doch bei den „Rep„ -Wählern, das weiß man inzwischen, beginnt der Haß auf Fremde nicht erst jenseits der Grenzen von 1937. Darum versichert Kohl auch das mehrfach: Es ist nicht das Ziel, „unsere Landsleute in der DDR aufzufordern, in möglichst großer Zahl hierher zu kommen“.

So verebbt die geforderte Aufbruchstimmung vorerst in bemühten Gesten. Rita Süssmuth („Frauen gehen voran“) ruft zu Spenden für die Neuankömmlinge auf. „Willkommensaktionen“ sollen die Ortsverbände durchführen, Eberhard Diepgen will eine Arbeitsgruppe „Deutschland 2000“ gründen. Und damit niemand auf die Idee kommt, die deutschen Landsleute mit anderen, also ausländischen Flüchtlingen gleichzusetzen, wird in einem Antrag noch ein Wort geändert: Statt „Eingliederung“ heißt es jetzt „Aufnahme“.

Charlotte Wiedemann