Die Bremsspuren der Reformer

■ Herbe Niederlagen für den CDU-Modernisiererflügel in Bremen / Einigkeit nur im Triumpf über die DDR

Leichenblaß, nur mit Mühe seine innere Erregung kontrollierend, nahm das prominenteste Opfer der Kohl -Seilschaft seine Niederlage zur Kenntnis. Ich glaube nicht an Zufälle, kommentierte Rita Süssmuth den Abgang Lothar Späths aus dem Präsidium der Partei. Wohl wahr, Kohl hatte trotz heftiger Kritik letztlich die Partei sicher im Griff. Und ungestraft versucht niemand gegen den „Schwarzen Riesen“ zu putschen. Außer Späth erhielten auch andere Exponenten der Reformer einen Dämpfer, Ulf Fink, Vorsitzenden der Sozialausschüsse, flog gar aus dem Bundesvorstand.

Eigentlich dürfte sich Helmut Kohl nicht beklagen: Die CDU, so mäkelte er in seiner Rede vor dem Bundesparteitag, sei für Frauen und junge Leute nicht attraktiv, es gebe Verkrustungen und festgefahrene Strukturen auf allen Ebenen. Doch diese Tatsachen haben ihm und seinen Getreuen ordentliche Wahlergebnisse beschert - und seinen Kritikern beachtliche Niederlagen.

Lothar Späth, der offensivste Kohl-Gegner der letzten Zeit ist nicht mehr im Präsidium, hat deshalb den Posten im Bundesvorstand geschmissen. Geißler rutschte nur knapp in die Parteispitze rein, Rita Süssmuth, die laut Umfragen beliebteste Politikerin, landete auf Platz vier von sieben. Aus dem Bundesvorstand flog mit Ulf Fink einer, der die Arbeitnehmer vertrat und der Bewerber aus der Jungen Union kam erst gar nicht rein. Jenen, die als „Modernisierer“, als „Reformer“ der Union galten, hat die Partei eine Absage erteilt. Den sogenannten Traditionalisten sprach sie bei den Wahlen ihr Vertrauen aus: Der Kohl-Mann Stoltenberg wurde Dritter bei den Präsidiumswahlen. Albrecht, einer der konservativsten in der Parteispitze, bekam nach Blüm die meisten Stimmen.

Noch bevor das Ergebnis der Präsidiumswahl, die gleichzeit Wahl der sieben Stellvertretenden-Vorsitzenden ist, öffentlich bekanntgegeben war, kursierten wilde Kommentare und Interpretationen durch die Bremer Sporthalle. Zu Lothar Späth war man sich unter den anwesenden Delegierten aus dem sogenannten Reformerflügel einig: „verheerend“, „absolute Katastrophe“, „eine Schande für die CDU“ und ähnliches. Unverständlich, überraschend schienen es allerdings nicht einmal seine Sympathisanten zu finden: „Die einen verzeihen ihm nicht, daß er den Dolch gezogen, die anderen werfen ihm vor, daß er nicht zugestochen hat.“ So interpretierte es ein Delegierter und ein anderer legte hämisch nach: „Wer eine Revolution anzettelt, muß sie auch gewinnen.“

Späth ist immer wieder als Kohl-Kritiker aufgetreten, hat daraus jedoch keine praktischen Konsequenzen gezogen. Erst war er derjenige aus der Parteispitze, der nach der Entlassung Geißlers durch Kohl durchsickern ließ, er werde bei einem Putsch gegen den Parteivorsitzenden in der ersten Reihe stehen - als es Ernst wurde, verdrückte er sich in die letzte. „Eine Kumulation, ein ganz unglückliches Zusammentreffen von Minuspunkten“, auch so wollten viele Delegierte den Abschuß Späths aus der Bundesebene erklären. In der Tat: der ehrgeizige, Späth ist sehr unbeliebt. Er gilt nicht wenigen aus der Partei wegen seiner Sprunghaftigkeit als „unseriös“, wie es einer aus dem Bundesvorstand formuliert. „Der kommt sowieso durch“, hätten viele gedacht und ihre Stimmen anderen gegeben meint ein Delegierter. Ein Kohl-kritisches Interview, daß Späth der 'Welt‘ vom Montag gegeben hatte, habe sie doch ziemlich verwirrt, erklären andere Delegierte, schließlich hätten sich doch auch die Kohl-Kritiker entschlossen gehabt, jetzt Ruhe zu geben.“ Baden-württembergische Delegierte wollen die Nordrhein-Westfalen verantwortlich machen: Es habe eine Absprache zwischen den Landesverbänden gegeben Blüm und Späth zu wählen; sie selbst hätten sich daran gehalten, die anderen nicht. Ein Mitstreiter Späths gegen Kohl meint schließlich: „Es müssen sofort die Wahlergebnisse genau untersucht werden, das Ganze riecht nach einer politischen Aktion aus dem Kanzleramt...“

So leicht es den Unionschristen aus dem Reformerlager zu fallen scheint, die Niederlage Späths zu deuten, so holprig fallen die Erklärungen zu den anderen Wahlergebnissen aus: das passable Abschneiden des Parteivorsitzenden, der ihrer Ansicht nach doch sehr angeschlagen war; der überzeugende Vertrauensbeweis für den neuen Generalsekretär Volker Rühe, gegen den man zwar nichts hat, bei dessen Wahl jedoch auch demonstriert werden sollte, daß der Rausschmiß Geißlers nicht so einfach hingenommen wird; wenige Stimmen für die „Spitze der Reformer“ Geißler und Süssmuth und zuwenige für Ulf Fink: „Schwierig, sehr schwierig die Lage“, meint einer aus dem Kreis um Geißler. Geißler habe nach seinem Rausschmiß vielleicht doch eine Nummer zu scharf reagiert, ist ein paarmal zu hören. Der geschaßte Generalsekretär selbst ist sehr viel einsichtiger: Die Abwahl Späths sei ein schwerer Fehler, „jetzt, nach den Präsidiumswahlen, kann man die Partei nur noch als mittleren Scherbenhaufen bezeichnen“, soll er gesagt haben. In der Tat: daß Rita Süssmuth, so schlecht weggekommen ist, kann nur daran liegen, daß ihre Politik der eigenen Partei fremd geblieben ist. Mehr Gleichberechtigung für die Frauen, eine gerechtere Sozialpolitik, ein besserer Schutz für gesellschaftliche Randgruppen... Selbst das wenige, was sie lediglich angeleiert hatte, war der überalterten, männerdominierten Partei zu viel. „Viele haben Kondom-Rita, wie sie sie nach ihrem Werbefeldzug für Safer-Sex genannt haben, einfach gehaßt“, sagt einer aus der Gruppe um Heiner Geißler. Heiner Geißler erhielt für seine brilliante Rede stehende Ovationen - doch seine Worte von der multikulturellen Gesellschaft, von den Grenzen von 19xy, sein Eintreten für Menschenrechte in Chile haben ihm die Delegierten nicht vergessen. Ulf Fink mag persönlich wenig geschätzt sein - Tatsache ist aber vor allem, daß die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft, der er vorsitzt, in der Union nicht mehr viel Bedeutung hat. Nur noch „Karteileichen“, wie ein Delegierter wegwerfend bemerkte. Und daß Blüm, ebenfalls ein „Reformer“, so viele Stimmen erhalten hat, wird sogar in seinem Umfeld mit den bevorstehenden nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen erklärt.

Bereits ein kurzer Rückblick verdeutlicht, daß die Reformer den Zenit ihres Einflusses schon länger überschritten hatten: Bundesparteitag der CDU vor zwei Jahren in Essen: „ein Aufbruch“, so war die einhellige öffentliche Meinung. Geißler hatte durchgesetzt, daß die Situation der Frauen hierzulande Thema ist. Bundesparteitag der CDU vor einem Jahr in Wiesbaden: Der Feldzug der sogenannten Modernisierer schien gestoppt. Mit ihrem deutschlandpolitischen Leitantrag kamen sie nicht durch, ihre Vorstellungen zum §218 lösten in der Partei heftigen Unmut aus. Bundesparteitag der CDU in Bremen: Nun scheinen Geißler & Co endgültig ins Abseits gedrängt.

Aufgeregtheit, heftige Reaktionen, Drohungen gegen Bonn werden aus dem Lager der baden-württembergischen Delegierten gemeldet.“ Das werden wir uns nicht gefallen lassen, war zu hören. Überzeugender scheint das Fazit eines Präsidiumsmitglieds, das vor wenigen Wochen noch zu den Frondeuren gehörte: „Den Aufbruch der Reformer können sie vergessen.“ Seit Montagnacht macht ein Witz in der Bremer Sporthalle die Runde, den ein hochrangiges Regierungsmitglied genüßlich kolportiert: „Sehen sie den Rauch, der hier über der Halle liegt? Das sind die Bremsspuren der Reformer.“

Ferdos Forudastan