„Es lief wie im Film und bei XY“

■ 21jähriger Sparkassenräuber tauchte in Afrika unter / Beim Segeltörn entdeckt und ausgeliefert

„Haben Sie selbst noch etwas dazu zu sagen?“ fragte Richter Kratsch am Schluß der Verhandlung, und der 25jährige Angeklagte Jens E. beteuert : „Ich kann nur noch einmal sagen, daß ich bereue und sowas nie wieder machen würde.“ Hoffnungsvoll schaut er in den Zuschauerraum, lächelt zuversichtlich seiner Verlobten zu, die den Prozeß vor der Großen Strafkammer beobachtet. Jens E. hat im Januar 1986 zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Frank H. eine Sparkassenfiliale in Oberneuland überfallen. 43.640 Mark waren die Beute. Frank H. ist vor über zwei Jahren deswegen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Er steckt mittlerweile im offenen Vollzug und macht eine Tischlerlehre. H. war neben dem Angeklagten gestern der einzige Zeuge.

Jens E. gab dem Gericht freimütig Auskunft: Zum Überfall und seiner Planung, zu den Komplizen, zu seinem Leben vor und nach dem Raub und seiner Flucht ins Ausland, zum Verbleib der Beute und zu seinen Hoffnungen für die Zukunft, die als Seemann in Afrika begann.

Zusammen mit dem raubüberfallerfahrenen Dirk P. hatten sich die beiden eine Sparkasse „ausge

guckt“. Eingeredet hatte der ältere Dirk P. den beiden 21jährigen, wie leicht das ist und „an was man so alles denken muß“: Masken besorgte Frank H. - eine Pudelmütze und ein abgeschnittener Ärmel seines Pullovers wurden dazu umgerüstet. Auch eine Gaspistole organisierte Frank. Ein Fluchtauto klauten sie in der Nacht vor dem Überfall - einen Golf wegen der guten Straßenlage. Dirk P. wollte den Fahrer spielen, sprang im letzten Moment aber noch ab. Für Mitarbeit und Schweigen kassierte der homophile Mitwisser später rund 7.000 Mark von seinem damaligen Untermieter Jens E. Frank H. als der Größere sollte die Waffe nehmen und drohen. Jens sollte das Geld in seine Plastiktüte füllen lassen. „Von Geiselnahme war vorher nie die Rede“, beteuerten die beiden gestern übereinstimmend.

Daß Frank dann doch einen alten Mann im Arm und die Waffe auf ihn gerichtet hielt, wie es die Überwachungsfotos zeigen, wollte das Gericht ganz genau erklärt haben. „Ich weiß nur, daß wir in die Bank rein sind. Als ich die Maske runtergezogen hab, da fiel für mich die Klappe.“ Wie ein Film und wie man es aus „Aktenzeichen xy“ kennt, sei dann alles in Sekunden abgelaufen. Weil er plötzlich Angst bekommen habe, auch vor der Situation, und weil

er plötzlich die Wärme eines Menschen neben sich gespürt hatte, habe er den Mann an sich gezogen. In dem Moment habe er sich sicher gefühlt. Erst in der Nacht danach sei ihm überhaupt klar geworden, was in der Bank passierte und daß dies eine Geiselnahme war. „Und wenn die Leute aus der Bank einfach rausgelaufen wären? “ forschte Staatsanwalt Hampf beim Angeklagten nach den Gefühlen zu dem 60 Sekunden -dauernden Überfall. „Dann wäre ich mitgelaufen“ antwortet Jens.

Jens E. hat eine Reihe von kleineren Jugendstrafen hinter sich: Besitz von Haschisch, Klauen einer Lederjacke, Autodiebstahl mit Verfolgungsjagd in einer verregneten Nacht, weil keine Straßenbahn mehr fuhr. Zuhause tyrannisiert ihn der Vater. Als der ihm mit einem Faustschlag die Zähne heraushaut, zieht Jens aus. Er landet im Bahnhofsmilieu, unter anderem als Strichjunge.

Während der Jugendhaft beginnt E. eine Ausbildung: Den Hauptschulabschluß schafft er mit eins, mit einem Grundlehrgang Metall landet er auf der „Outlaw“, einem Schiffsprojekt im Strafvollzug. Jens wird in die Mannschaft des Schiffes aufgenommen - eine besondere Auszeichnung. Seine Hoffnung auf Arbeit zerschlägt sich schon kurz nach der Haftentlassung. Drei

Monate später folgt der Überfall. Als die Lage in Bremen brenzlig für ihn wird, setzt er sich ab nach Algerien.

Hier findet er Arbeit mit seinem deutschen Seefahrerbuch. Zweieinhalb Jahre, in denen er seine Verlobte, eine junge Frau mit Segelboot, kennenlernt, vergehen mit „Arbeiten, Sonne und Palmen“, bis er bei einem Segeltörn in einer Paßkontrolle in Tanger auffliegt und für zehneinhalb Monate im Gefängnis in Rabat landet. „Auslieferungshaft“ nennt sich das, was er dort erlebt und ihn im Prozeß fast zusammenbrechen läßt: 12 Mann auf 10 Quadratmetern, eine Decke zum unterlegen, zwei zum Zudecken für alle. Heiß Duschen offiziell einmal pro Woche. Nur waren die Duschen alle zwei Wochen kaputt. Sexuelle Belästigungen, Vergewaltigung eines Mitgefangenen. Zentimetertiefe Eiterkrater, Hautschäden, Läuse - ohne Vitamindragees von der Freundin hätte er das nicht überstanden, erzählt E. Staatsanwalt und Verteidiger wollen deshalb mit mindestens 1:3 diese Zeit auf die Strafe angerechnet wissen. Die II. Strafkammer unter Richter Kratsch gesteht ihm jedoch nur einen Zuweisungsschlüssel von 1:2 für die „im Ausland erlittene Haft“ zu. Wegen „schwerer räuberischer Erpressung“ verurteilte sie E. zu vier Jahren Haft.

ra