„Viel interessanter ist, wie die Leute was sagen“

■ Marcel Ophüls‘ Film „Hotel Terminus - Leben und Zeit des Klaus Barbie“ eröffnet heute um 20 Uhr die Bremer „Tage des unabhängigen Films“

Wie soll man einen Film besprechen, der einen viereinhalb Stunden lang einem „Hörbild“ über Klaus Barbie aussetzt? Einem Hörbild zum Anschauen? Über den Mann, der sein Hauptquartier im „Hotel Terminus“ in Lyon zur Zeit der deutschen Besatzung hatte und als der „Henker von Lyon“ galt. Marcel Ophüls, Sohn von Max, 1927 in Frankfurt geboren, hat mit diesem Film, beste

hend „nur“ aus Zeugenaussagen, ein faszinierend schrecklich -akribisches Dokument eines deutschen Lebenlaufs nachvollzogen, dessen erschreckendste Komponente die Bruchlosigkeit ist. Scheinbar unbedeutende Aussagen, leidenschaftliche Lügen und die fast unerträglichen Erinnerungen der Opfer treten durch schnelle Schnitte in eine Art Dialog miteinander, unterbrechen

sich beinah. Da geraten Schulkameraden von Barbie neben Resistance-Kämpfer, da ist Madame Lagrange, die „in Auschwitz das Wachsen vergessen“ hat, oder der Dorfnachbar, der „Bub“ sagt statt Barbie, da plaudert einer vom amerikanischen Geheimdienst, da erzählt der alte Kamerad, wie Feuer und Flamme seine Dackel für Barbie waren, und man ertappt sich beim Lachen, erschrickt, aber es ist in Ordnung und beabsichtigt.

Wir, Wilfried Hippen, Jürgen Franke und ich, haben uns entschlossen, den Film tatsächlich zu „besprechen“, miteinander, um Empfindungen und Gedanken zu „dokumentieren“, anläßlich eines solchen unter die Haut gehenden Mammutereignisses. Ein Auszug.

Wilfried: Ich finde nicht sehr wichtig, daß einem so viele Fakten vorgesetzt werden und was Ophüls Interviewpartner alles sagen. Es ist viel interessanter, wie die Leute was sagen. Viele von denen lügen ja. Und wie da gelogen wird! Und raffiniert geschnitten worden ist, wie im Kreuzverhör, wo Aussagen gegen Aussagen gesetzt werden; bis die Fakten aus diesem Geflecht von Lügen und Ausreden langsam herausgebröselt werden.

Claudia: Ich fand ganz aufregend, wie Ophüls es geschafft hat, dieses Thema zu ironisieren mit Musik von den „Wiener Sängerknaben“, und Liedern wie „Nun ade, du mein lieb Heimatland“, diese Engelszüngelchen nach den un

glaublichsten Augenzeugenbe richten, bei denen einem übel wird.

Wilfried: Man kann ihn ja vergleichen mit „Shoah“ von Claude Lanzmann, der zielt aber noch viel mehr in die Innereien, da ist mir schlecht geworden. Bei Ophüls geht es doch mehr um den Kopf. Er ist zwar sehr böse, aber immer auch sehr intelligent.

Claudia: Ophüls mischt sich ja auch ein, ist Bestandteil des Films, z.B. diese Szene, wo er mit einem Assistenten nachspielt, wie sich deutsche ZeitzeugInnen am Telefon verhalten haben bei der Recherche.

Jürgen: Das ist genau mein Kritikpunkt. Bei der Fülle von Material hätte ich gut auf die Selbstdarstellung von ihm verzichten können. Mir ist manchmal vor schnellen Schnitten und vor Informationsfülle schwindlig geworden.

Wilfried: Er nimmt ja keine Rücksicht auf uns. Er gibt uns keine Hintergrundinformation, sondern haut uns alles um die Ohren. Aber ich finde, nur so, wie er interviewt hat, konnte er an bestimmte Informationen rankommen. Er ist ja manchmal fast ein Verhörer. Die meisten werden sich hinterher bestimmt totgeärgert haben, was sie alles gesagt haben.

Claudia: Die spannendsten Informationen stecken doch meistens in den Nebensätzen, und das hat Ophüls geschafft: Leute vor der Kamera zu Sätzen zu bewegen, die sie normalerweise nicht mal dahinter sagen.

Jürgen: Bei den Opfern hatte ich dagegen häufiger den Eindruck, er fragte zu behutsam nach, er wollte nicht, daß sie sich zu verletzt fühlen.

Claudia: Das finde ich grade gut, daß er sie davor geschützt hat, ein gewisses voyeuristisches Gefühl zu befriedigen. Das Verrückte ist ja aber, daß dieser Film eigentlich ein Krimi ist. Als Barbie das erste Mal auftaucht, ziemlich genau nach dreieinhalb Stunden, das war doch so, als säßest du dauernd vor einer Schachtel und plötzlich kommt tatsächlich ein Springteufel raus.

Wilfried: Ophüls erzählt auch in einem Interview, der einzige, von dem er wirklich beeinflußt worden wäre, sei Columbo. Man weiß eigentlich schon, was gewesen ist, und da geht der Columbo hin, und die Leute lügen ihm alle was vor. Genauso ist doch der Film auch aufgebaut. Und eben auch unterhaltsam.

Claudia: Am erstaunlichsten finde ich, daß so viel hängengeblieben ist bei diesem myriadenartigen Aussagengebilde.

Wilfried: Also bei mir ging das so wie bei einer Berg- und Talfahrt. Z.B. die Sache mit dem Prozeß. Ich dachte zuerst, was interessiert mich das, dieser Anwalt von Barbie, Verges, wie der sich darstellte. Aber da hatte man eben doch wieder eine Person, die so spannend war, daß es gar nicht mehr um den Prozeß ging, sondern darum, was wagt uns dieser Anwalt eigentlich noch vorzusetzen.

Jürgen: Trotzdem: Man hätte doch noch mehr rausschneiden können. Es gibt ganz viele Aussagen, die nur das bestätigen, was wir schon vorher so ähnlich gehört haben von einem andern.

Wilfried. Aber bei den amerikanischen Geheimdiensten, dieser Taylor, wie der dauernd von seiner Frau unterbrochen wurde, die gesagt hat, das hatte doch ganz andere Gründe, daß ihr damals Barbie eingesetzt habt: Nämlich weil ihr einen strammen Antikommunisten gebraucht habt.

Jürgen: Aber Leute, die ins Kino gehen, wollen doch keine viereinhalb Stunden einen Film sehen.

Wilfried: Lang ist was anderes als langatmig. Weil die Menschen sich gegenseitig kommentieren, ist das viel intensiver und viel eindrucksvoller als alles andere. Claudia Kohlhas