„Ich will endlich meine Ruhe haben“

■ Großer Bahnhof für die ersten 50 Ex-DDRler am Flughafen Tegel: Sie wurden vor allem von anderen ehemaligen DDR-Bürgern begrüßt / Die Journaille geht den Neuankömmlingen mittlerweile auf die Nerven / Die Polizei mußte den Ausgang des Flugsteigs abschirmen

Der Flughafen Tegel, wie ihn jeder kennt: Eine charmante Stimme säuselt über Lautsprecher, daß die Maschine aus Frankfurt Verspätung hat. Nerzbehängte Damen, gerade von den Kanarischen Inseln zurück, stolzieren mit ihren Liebhabern zum Taxistand. Unauffällig drehen Sicherheitsbeamte ihre Runden. Eine Stimmung wie im Foyer eines Fünf-Sterne-Hotels liegt über den Fahrkartenschaltern.

Nicht so am Dienstag abend. Breitbeinig sitzt eine Hausmeistersfrau mitsamt ihrer zehnköpfigen Familie auf dem Fenstersims gegenüber dem Flugsteig 13. Ein junger Mann mit tätowierten Löwen auf den Armen schlendert zigarettenrauchend auf und ab. Auch Familien aus Wedding und Neukölln sind mit Blumen und Sekt angerückt, um sich vor dem Schalter 13 aufzubauen. Der Grund: Um 21 Uhr soll die erste Maschine mit 50 Umsiedlern aus Nürnberg einfliegen. „Wir haben im Radio jehört, dat heute abend die ersten Ostler kommen“, erklärt die Hauswartsfrau. Da habe sie sich sofort ihre fünf Töchter geschnappt und sei zum Flughafen gefahren. „Wir kennen von denen überhaupt niemand, aber 59 sind wir ja selber jeflüchtet und sowat verbindet.“ Jetzt wollten sie allerdings den Ex-DDR-Bürgern helfen und sie anständig begrüßen. „Wir ham damals 'ne Menge Fehler gemacht, weil uns keener jeholfen hat.“ Haufenweise seien sie von Versicherungsvertretern in den finanziellen Ruin getrieben worden. „Ich bin nur aus Solidarität hierhergekommen“, erklärt auch eine 30jährige Lehrerin, die noch schnell ein paar Blumen im Flughafengebäude gekauft hat. Die will sie „irgendwem“ von den Umsiedlern in die Hand drücken. Ein elfjähriges Mädchen, das gerade mit ihren Eltern durch den Eingang stolpert, trägt einen riesigen Plüschelefanten vor sich her. Auch sie erwartet niemanden. „Den will ich einem Kind schenken, weil die doch kaum Spielzeug mitnehmen konnten“, erklärt die Kleine.

Doch auch Verwandte und Freunde der neuen Westberliner haben sich vor dem Flugsteig 13 eingefunden. Tanten, Brüder, Töchter oder Cousinen werden sehnsüchtig erwartet. Ein gefundenes Fressen für die anwesenden Medienvertreter, die scharf auf persönliche Schicksalsmelodien sind. Vor laufenden Kameras internationaler Fernsehsender, schildern Familienangehörige unzählige Male, was sie kurz vor der Ankunft ihrer Liebsten fühlen, denken und tun.

Und dann ist es endlich soweit: nach 40minütiger Verspätung landet das Linienflugzeug in Tegel. Gerissene Presseleute haben sich im Knäuel der etwa 200 Medienvertreter und Willkommensgäste einen Platz in vorderster Front erkämpft. Polizei muß den Ausgang des Flugsteigs abschirmen, um die Menschenmenge im Zaum zu halten. „Sie kommen, sie kommen“, schreit jemand. Reaktionsschnell recken die dicht gedrängten Kameraleute ihre Geschütze in die Höhe. Jedoch - Fehlalarm. Ein besonders stimmgewaltiger Ordnungshüter schreit: „Bilden Sie doch mal eine Schneise. Erst kommen die, die sie nicht erwarten!“ Gemeint sind die Geschäftsleute und Touristen, die zusammen mit den „Ostlern“ den Hüpfer an die Spree unternommen haben. „So werde ich hier doch immer empfangen“, kommentiert ein schlagfertiger Nürnberger den großen Bahnhof, den er im Gefolge von 20 weiteren „Normalos“ zu durchqueren versucht.

Wieder schreit wer „Sie kommen!“. Und tatsächlich: Jubelnd klatschen die Wartenden Beifall, ein Fanfarentusch ertönt, als erschöpfte DDRler ihren Freunden oder Verwandten in die Arme fallen. Ein Blitzlichtgewitter ergeht über das Chaos aus Armen und Beinen. „Bloß schnell weg hier“, schreit ein junger Ankömmling seiner Freundin zu und stürmt zum Ausgang. Die Presse geht nicht nur ihm auf die Nerven. „Ich will endlich mal wieder meine Ruhe haben“, kontert eine ehemalige Ostberlinerin, als sich ihr mehrere Journalisten mit Fragen nähern. Die meisten Angereisten kommen privat unter, und privat wollen sie auch den restlichen Abend genießen. „Wir gehen jetzt erst mal in Ruhe ein paar Biere zischen“, freut sich ein junger Bursche vom Prenzlauer Berg, springt in den Wagen seines Freundes und rauscht ab.

cb