Domina Maggie

■ Ein Blick auf die Bildtradition, in der Magaret Thatcher sich bewegt

Marina Warner

Die Vorstellung, daß die Weiblichkeit Mrs.Thatchers von Bedeutung ist, mag paradox erscheinen, denn es ist eher üblich, ihre Bestimmtheit, ihre Härte, ihre Dynamik und ihre Stärke zu betonen, um dann festzustellen, daß dies eigentlich männliche Charaktereigenschaften seien - so ist sie eigentlich nur vom Geschlecht her eine Frau. Nach dieser Auffassung müßte Mrs.Thatcher männlicher sein als die Männer, um sich den Respekt ihrer Kollegen und des Landes zu verdienen; sie ist „der beste Mann in Großbritannien“ und diejenige, „die die Hosen anhat“.

Aber das Rätsel, das sie uns aufgibt, ist komplexer: Sie trägt niemals Hosen. Sie ist sorgsam darauf bedacht, den konventionellen Bildern weiblichen Wohlverstandes zu entsprechen, wie es sich für eine echte Konservative ziemt. Diese Bilder gehören wie das Bild der Britannia in das Reich der Vorstellung, aber Mrs.Thatcher übertrifft in der Realität wie in der Ikonographie viktorianischer Häuslichkeit und weiblicher Tugend die perfekteste Tory -Ehefrau. Sie ließ sich mit angezogenen Beinen auf dem Sofa fotografieren, einer ausgesprochen femininen Position, die nach der Pubertät außer Tänzern und Turnern nur wenige Männer einnehmen können. Sie läßt sich beim Abwaschen fotografieren, beim Auffüllen ihrer Speisekammer, beim Tapezieren und wie sie, mit einer Spitzenhaube auf dem Kopf, in einer Marzipanfabrik den Nußsortierern erzählt, sie wisse aus eigener Erfahrung, wie schwer Marzipan herzustellen sei. Sie kocht für ihre Minister, sie geht in Schuhen zu Konferenzen, in denen sie keinen festen Halt hat - ihre Frisur sitzt immer. Politiker und Presse sehen sie in Rollen weiblicher Tüchtigkeit, als Kindermädchen, als Hausdame, als Gouvernante.

Julian Barnes blickte bei dem Gedanken an weitere vier Jahre unter Margaret Thatcher trübe in die Zukunft: „Noch einmal vier Jahre kalte Duschen, widerlichen Lebertran, Fingernägelinspektion und Austeilung der bösartigen kleinen Pillen, die einen funktionieren lassen, wenn man eigentlich gar nicht will. Kein Wunder, daß das Schiffslazarett überbelegt ist.“ Anthony Barnett bemüht sich in Iron Britannia um eine andere Charakterisierung:

„Ist der Landjunker von der Gouvernante abgesetzt worden? Diese Frage mag von Nichtbriten als seltsam empfunden werden, wenn es um den Falklandkrieg geht. Im Vereinigten Königreich dagegen läßt sich die Art und Weise, wie die Armada in Marsch gesetzt wurde, recht eindeutig interpretieren. Schließlich wurde das Herrenhaus doch noch eingenommen. Aber es wurde nicht von einem aufgebrachten Pöbelhaufen von Gärtnern gestürmt, dagegen hatte es sich gut gewappnet. Es wurde auch nicht von unzufriedenen Bediensteten übernommen, die in harter Zucht gehalten wurden. Es wurde auch nicht von einem radikalisierten Sproß des Herrenhauses an sich gerissen, der das Unglück hatte, daß ihn Ungleichheit abstößt, Theorie hingegen anzieht. Es wurde nicht einmal vom Proletariat überrannt, das in angemessenem Abstand gehalten wurde. Von all diesen Seiten wurde ein Anschlag befürchtet und verhindert. Nun aber hat die Gouvernante, die Säule der Rechtschaffenheit und Engstirnigkeit, deren Loyalität niemals in Zweifel stand, die naiv an all das glaubte und als Muster an Tugend galt, beschlossen, das Ganze selbst zu übernehmen.“

Kindermädchen, Hausdame, Gouvernante: das weibliche Personal aus der Jugend der landbesitzenden Klassen, der Kinderzimmer und Internatsschlafsäle. Dies sind nicht die Rollenmodelle von Frau Thatcher selbst. Aber sie werden als Bestandteile ihres Charakters wahrgenommen, denn es sind Frauen der Disziplin. Margaret Thatcher hat eine ungeheuer wichtige Quelle weiblicher Macht erschlossen: das Recht zu verbieten. Sie übt über unbotmäßige Elemente nah und fern jene Art von Kontrolle aus, der eine strenge Mutter ihre Kinder unterwirft. Dies ist eine sehr vertraute Form weiblicher Autorität; wenn ein Premierminister sie anwendet, sieht es nur so aus, als sei sie etwas Neues. Darüber hinaus handelt es sich um eine Autorität, der zu gehorchen viele gewohnt sind.

Indem sie die herkömmliche Frauenrolle als Ehefrau und Mutter erfüllt, führt Margaret Thatcher außerdem den Nachweis, daß ihre Stärke positiv zu sehen ist, sie weist sich dadurch als richtige Frau aus. Ohne diesen Nachweis von Konformität würde sie gegen die Regeln verstoßen, wäre anormal und gefährlich. Aber die traditionelle Definition von Frausein umfaßt viele pejorative „weibliche“ Eigenschaften. Margaret Thatcher hat das Virus isoliert, das Frauen in Mißkredit bringt, ein Serum daraus extrahiert und sich selbst damit geimpft. Niemand sieht in ihr ein „Sweetheart“ oder - Gott behüte! - eine „alte Dame“. Diese Stereotypen, bei denen ein liebevoller Ton mitschwingt, sind nicht üblich. Außerdem werden mit diesen anderen Frauenbildern Geborgenheit und Verwöhntwerden, Trost und Liebe assoziiert.

Frau Thatchers feste Stimme, ihre Unnachgiebigkeit, ihre Durchsetzungsfähigkeit, ihre Betonfrisur, ihr hartes Verhalten, all das soll nicht beweisen, daß sie ebensogut ist wie ein Mann, sondern daß sie nicht unter dem Regiment von Venus steht, daß ihr Bedürfnisse und Anfechtungen des Herzens fremd sind, daß der intimste Teil ihres Körpers das Mark in ihren Knochen ist. Niemand verschwendet je einen Gedanken an ihre eigene Mutter, die Großmutter ihrer Kinder. Ihr Vater, der Bürgermeister von Rantham, wurde genauestens unter die Lupe genommen. Seine Ansichten sind bekannt, sie decken sich mit denen seiner Tochter. Sie hat seine Männlichkeit so erfolgreich verinnerlicht, daß sie - wie Athene - nur die Tochter eines Mannes zu sein scheint, nicht die einer Frau.

Um Margaret Thatcher zu legitimieren, diese potentiell subversive weibliche Figur, die in Großbritannien die Schranke für Frauen vor der Macht übersprang, haben in der Sprache semantische Verschiebungen stattgefunden. Wie in Verschlüsselungen verkehrt die semantische Progression Redlichkeit in die Abwesenheit von moralischer Schwäche, und die Stärke schlägt, besonders im Fall von Frauen, um in sexuelle Tugendhaftigkeit. Sexuelle Tugend bedeutet ihrerseits Souveränität dem Herzen gegenüber. Diese Souveränität, diese Kontrolle - dieses Steinerne, Unnachgiebige, dieser Granit, dieses Eisen, diese Härte, wie immer man es bezeichnen will - ist Margaret Thatchers hervorstechendste politische Charaktereigenschaft. Obwohl sie so viele der Eigenschaften besitzt, die Männer an herrschsüchtigen Frauen längst festgestellt und dem Spott preisgegeben haben, entgeht sie der herkömmlichen Herabsetzung, denn zugleich entspricht sie in dem, was sie als Hausfrau, Ehefrau und Mutter leistet, den traditionellen Forderungen an Frauen.

Einer ihrer enthusiastischsten Verehrer, der Philosophieprofessor Rogert Scruton in Cambridge, beschrieb eine Woche vor ihrer Wiederwahl in seinem Text über Sexualität Männer als „die Opfer eines Impulses, der, sich selbst überlassen, eines der destruktivsten menschlichen Bedürfnisse ist (...), die List, die (...) versucht, sich des Körpers (einer Frau) zu bemächtigen, um Befriedigung zu finden“. Historisch gesehen, so schrieb er, würden Frauen dem, „was so wild ist“, Zügel anlegen, sie würden es befrieden und besänftigen. Margaret Thatcher hat profitiert von dem Glauben an die tugendhafte Macht der Frauen, der es gelinge, die zügellose männliche Libido zu kontrollieren und zu disziplinieren, von dieser Gegenüberstellung von männlicher Kraft und weiblicher Zurückhaltung.

Der weibliche Tugendwächter ist eine vertraute Figur in Großbritannien. Glasgow, Edinburgh, Manchester, Leeds, Birmingham, Cardiff, Dublin, Belfast und London, fast alles Städte, die von bilderfeindlichen Bürgern und mit Geldern der pietistischen Bewegung in der Anglikanischen Kirche verschönert wurden (selbst Dublin, das im 19.Jahrhundert anglo-irisch war), sind immer noch voller idealer Darstellungen, in denen das Verlangen vom Willen in Gestalt einer bewaffneten Frau bezwungen wird. Manchmal heißt sie „Friede“, „Sieg“ oder „Standhaftigkeit“, manchmal „Mut“, manchmal „Gerechtigkeit“, manchmal „Wahrheit“, manchmal trägt sie den Namen der Stadt, in der sie aufgestellt wurde, um an zentraler Stelle das Giebelfeld eines Rathauses oder die Vorhalle einer Börse zu beherrschen. Immer aber ist sie ihrer körperlichen Erscheinung nach weiblich, ihre Haltung und ihr Ausdruck sind gefällig - und sie ist militant. Ihre Waffen zeigen an, daß sie Macht besitzt.

Margaret Thatcher bestätigt die bedeutsamsten Fiktionen, die im Gedächtnis der Briten fest verankert sind, Zustimmung aber erhält sie damit nicht von allen. In Greenham Common werden seit 1981 Protestaktionen gegen die atomare Verteidigungspolitik Großbritanniens und besonders gegen die Cruise Missiles durchgeführt.* Die Proteste richten sich genau gegen diese Fiktionen, sie versuchen ihren Einfluß einzudämmen und sie ihrer Bedeutung zu entleeren. Die Gruppe, die in ständig wechselnder Zusammensetzung vor dem Militärstützpunkt kampiert, nahm das Etikett „Eiserne Lady“ für bare Münze und gab es der Premierministerin als Beleidigung zurück. Sie entwickelte eine lange, komplexe und erfindungsreiche Allegorie zum Thema Gut und Böse, in der die Frauen als Vorkämpferinnen für das Leben auftreten, ihre Gegner, die Soldaten, als Kämpfer des Todes.

Wie in einem mittelalterlichen Moralstück über die Gefahren und Bedrängnisse von jedermann (jederfrau) führte die ständige Demonstration von der früheren Basis der US -Luftwaffe, heute offiziell der britischen RAF unterstellt, zu einem Zyklus dramatischer Szenen über die Utopie des Friedens und den Alptraum des Krieges. In Wirklichkeit machten die Protestlerinnen eine Reihe böser Erfahrungen, die sie zu lebenden Bildern über ihre Ängste und ihre Hoffnungen, über weibliche Eigenschaften und weibliche Formen von Ordnung arrangierten. Die Medien widmeten ihnen uneingeschränkte Aufmerksamkeit, oft feindselig, oft voller Verachtung, manchmal mit Sympathie - aber nicht, weil sie sich für ihre Argumente oder ihre ethischen Grundsätze interessierten, sondern weil „den Frauen von Greenham“ ein theatralischer Coup gelungen ist: Sie nahmen das Schauspiel vom Kampf der Geschlechter auf, ein Drama, das in den tiefsten Schichten der kollektiven Kultur verankert ist und in Kneipen, Bussen, in Fernsehshows und in Klatschspalten ebenso aufgeführt wird wie in den Komödien Shakespeares, und sie übertrugen es auf die beiden Seiten in einer politischen Auseinandersetzung.

Die Frauen kehren die herkömmliche männliche Ordnung um in einer Reihe spektakulärer Gesten: Sie benutzen das Bild vom Mann als Retter und Verteidiger der Welt und richten es gegen die Soldaten, die in diesem Stützpunkt arbeiten, sie nageln sie in ihrem Drahtverhau fest, so daß sie in der Umgebung, die sie sich selbst geschaffen haben, wie gefangen sind, sie halten ihnen buchstäblich den Spiegel vor, in dem die Männer sich wohl oder übel als Repräsentanten der Arbeit, die sie verrichten oder für die sie stehen, reflektiert sahen. Der Protest zielt darauf, sie zu brandmarken, es ihnen unmöglich zu machen, individuell mildernde Umstände in Anspruch zu nehmen, und die Streitkräfte zu dem Bekenntnis zu zwingen, daß sie sich der Gewalt, Unpersönlichkeit und Vernichtung verpflichtet haben. Dabei wurden die Grenzen zwischen den Menschen innerhalb und denen außerhalb des Zaunes im Namen des Geschlechtsunterschiedes gezogen. Die „Greenham-Frau“, wie die Teilnehmerinnen des Friedenscamps in den Medien typisiert werden, ist ein vielschichtiges Zeichen: Sie personifiziert Frieden, Liebe und die Zukunft in einer apokalyptischen Allegorie vom menschlichen Überlebenskampf, in der der „Mann von Greenham“ der Todesengel ist.

Wer als Besucher in Greenham seinen Blick über eines der belagerten Frauen-Camps vor den Toren des Stützpunktes, der selbst errichtet wurde in Vorwegnahme einer Belagerung auf weltweitem Niveau durch einen anderen, weit entfernteren Gegner, schweifen läßt, dem werden die beiden symbolischen Welten, die der Protest geschaffen hat, unmittelbar deutlich. Beton, Draht, Uniformen, grau, dunkelblau, Maschinen, Sauberkeit, Ordnung, Regelhaftigkeit charakterisieren den Raum der nuklearen Abschreckung, in dessen Zentrum die Bomben verborgen sind. Feuer bildet auch den Mittelpunkt des Frauen-Camps, das Lagerfeuer, die Küche, das uralte symbolische Zentrum menschlicher Behausung, wo die Flammen der Nahrung und einer Umwandlung ganz anderer Art dienen und niemals verlöschen sollten - so wenigstens hofften die Protestierenden. (Diese Hoffnung wurde allerdings durch eine Reihe von Räumungen, die sie in den Jahren 1983 und 1984 heimsuchten, zunichte gemacht.) Der Raum des Anti-Atom-Protestes ist improvisiert, behelfsmäßig, unordentlich; die einfachen Zelte wurden hier und dort aufgeschlagen, bei den Räumungen immer wieder völlig zerstört und immer wieder aufgerichtet. Bunte Bänder hängen festlich an den Büschen, geflochtene Wolle in leuchtenden Farben schmückt die Frauen, ihren Bereich und ihre wenigen, dürftigen Habseligkeiten. Am Zaun wachsen Blumen, die sich durch den Schutt kämpfen, den die Behörden in Berkshire auf dem Lagerplatz abladen ließen, um die Demonstrationen abzuschrecken. Das Spielzeug der Kindheit, selbstgebastelte Püppchen, selbstgemalte Bilder von Muttergöttinnen und Mondgottheiten grenzen die Sphäre der Frauen ab. Ein Bild zeigt eine Freiheitskämpferin, die mit erhobener Faust verkündet: „Ich bin eine Frau, und wenn ich lebe, kämpfe ich, und wenn ich kämpfe, trage ich zur Befreiung aller Frauen bei, und so wird noch in der schwärzesten Stunde der Sieg geboren.“ Ein anderes Bild zeigt eine gekreuzigte Frau, deren Brüste und Bauch besonders betont wurden, um auf die Bedeutung des Körpers als Gefäß der Reproduktion hinzuweisen, denn neben ihr steht eine Tafel mit der Aufschrift: „Ich bin eine Frau, ich trage die Last, die Menschheit zu gebären.“

* Nach dem Abzug der Cruise Missiles von Greenham im Frühjahr 1989 lösten sich das Lager vor dem Militärstützpunkt und die Frauengruppe auf. Im Bericht Marina Warners wurde die Zeitenfolge und der Bezug auf die Gegenwart nicht verändert. Anm. d. Übersetzerin

Aus: Marina Warner, „In weiblicher Gestalt, Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen“, Rowohlt-Verlag, Reinbek 1989