Die deutsche Bierstraße zur Feier der Republik

„Bürgertag mit Bundesfest“ - Mit Heino und den 40 Bierständen macht das Massenspektakel zum 40jährigen Jubiläum der Bundesrepublik eines deutlich: Unser Staat ist der deutscheste, den es je auf deutschem Boden gab  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die Bundesrepublik ist 40 Jahre alt - darauf ein Bier. Bei einem soll's nicht bleiben, wenn die Bundesregierung am 23.September das Volk zum Massenspektakel in die Bonner Rheinauen lädt: 40 Jahre, das macht 40 Bierstände, auch „deutsche Bierstraße“ genannt. „Bürgertag mit Bundesfest“ heißt die Veranstaltung etwas umständlich, eine halbe Million BesucherInnen werden erwartet, „gesellig und informativ“ soll es sein. Und wer am Ende der deutschen Bierstraße angelangt ist, wird sich mit Horst Waffenschmidt, Staatssekretär im Innenministerium und Manager der 40-Jahr -Feiern, einig wissen in der Bilanz des Jubeljahres: Unser Staat ist der freiheitlichste, „den es je auf deutschem Boden gab“.

Deutscher Boden sind die Bonner Rheinauen, sehr deutsch wird gefeiert von zehn Uhr morgens bis Mitternacht. Heino zum Auftakt, die Fischer-Chöre zum Abschluß, dazwischen präsentiert Armin Halle „Mode, Musik, Motoren“ aus 40 Jahren. Peter Kraus lebt auch noch, nicht zu vergessen Roland Kaiser und die Schöneberger Sängerknaben. „Für jeden Geschmack ist etwas dabei“, verspricht das Innenministerium, und aus den Weiten der Republik drängten sich viele, um zwischen die Glanzlichter deutscher Kulturgeschichte noch ihr Sternchen zu setzen: „Die Flensburger-Förde-Möven“ ebenso wie das Blasmusikorchester „Harmonie St. Petrus Baesweiler“.

Wer sich trotz deutscher Bierstraße und Heino noch auf den Beinen halten kann, wird zum „Spaziergang durch die Geschichte“ geladen, um sich auf 120 Großbildtafeln über die „herausragenden Ereignisse“ der vergangenen 40 Jahre zu informieren. Der millionste Gastarbeiter mit Blumenstrauß, der letzte Gastarbeiter ohne, nein pardon, das ohne Blumen ist der letzte VW-Käfer vom deutschen Band. Weiter geht's in elf „Aktionsbereiche“, „repräsentativ“, doch bunt aufgelockert werden „Schwerpunktthemen“ nahegebracht. Entwicklungshilfe mit Folkloregruppen, den Vertriebenen die Trachtengruppe. „Aufnahme von Menschen“ heißt Aktionsbereich Nummer 6, brandaktuell.

Die Bonner Rheinauen sind weitläufig, und mehr als 50 Verbände nebst allen Bundesländern lassen es sich nicht nehmen, beim größten deutschen Schützenfest für Leistung und Lobby zu werben. Baden-Württemberg mit einem „Mercedes Silberpfeil“, Bayern kontert mit BMW, und wer sich beides nicht leisten kann, bekommt vom Verband der Deutschen Volks und Raiffeisenbanken einen überdimensionalen 40-Mark-Schein in die Hand gedrückt.

Dementiert wird das Gerücht, das Bier fließe an diesem Tag zu Preisen wie vor 40 Jahren, Fakt ist, daß die Bundesbahn 14 Sonderzüge zum 1949er Tarif nach Bonn rollen läßt: für sechs Pfennige pro Kilometer. Die Annahme, das defizitäre Unternehmen bekäme dafür einen gewaltigen Zuschuß vom Bund, ist verfehlt. Überraschenderweise erklärt ein Vertreter der Bundesbahn-Direktion: „Wenn die Sonderzüge voll besetzt sind, können wir mit den sechs Pfennig immerhin die Unkosten decken.“ Das wirft über die Alltags-Preis-Gestaltung bei der Bahn (21 Pfennig pro Kilometer) einige Fragen auf.

Indirekt bezuschußt wird dafür der Kohl-Freund Dieter Haupt, dessen Agentur sich den Drei-Millionen-Auftrag zur Organisation der Jubelfeier an Land gezogen hat. Damit keine Verwechslungen aufkommen, hat die „Projektgruppe Bürgertag“ der Haupt-Agentur ihren Sitz gleich im Konrad-Adenauer-Haus, der Bonner CDU-Zentrale. Dieter Haupt konnte bei der Auftragsvergabe des Innenministeriums zwei Konkurrenten ausstechen, obwohl seiner Agentur bei der Organisation des Spektakels jetzt nicht gerade der Ruf besonderer Professionalität vorausgeht.

Zwei Wochen vor der großen Sause kann zum Beispiel weder die Agentur noch das Innenministerium sagen, wer denn die „prominenten Gäste“ seien, die von Thomas Gottschalk bei der Abendveranstaltung moderiert werden.

Über die Regie hinter den Kulissen ist durch eine Nachfrage bei „SAT 1“ mehr zu erfahren: Der Privatsender überträgt nämlich die Hauptveranstaltung des Nachmittags live, und dafür, so sagt der Verantwortliche der Sendung, habe sich SAT 1 „zusichern lassen, daß der Bundespräsident in diesem Zeitraum auftritt“. Im offiziellen Programm ist von Richie bisher zwar nichts zu lesen, aber life ist live, auch für ein Staatsoberhaupt.

Nur die Grünen haben mittlerweile keinen Bock mehr, sich an dem „Blauen Bock hoch drei“ zu beteiligen. „Das ist eine Jubelfeier nach DDR-Qualität, da haben wir nichts verloren“, sagt der Parteigeschäftsführer Eberhard Walde. Antje Vollmer bemühte sich in einer Abgeordneten-Kommission zunächst, auf der Hochglanz-Politur des veranstalteten Geschichtsbildes einige Staubkörnchen zu plazieren, gab jedoch schließlich entnervt auf. Das für die Grünen reservierte Areal bei der Staatsfeier stellt die Partei nun Bonner Gruppen der Friedensbewegung zur Verfügung. Die werden, es läßt sich erraten, in die bundesdeutsche Leistungsschau jene zehn Tonnen Marmor für den „unbekannten Deserteur“ plazieren, die bekanntlich auf städtischem Bonner Boden nicht gezeigt werden dürfen. Darauf noch ein Bier...