Ein Theater-Ensemble ist wie eine Familie

■ Interview mit Oberspielleiter Andras Fricsay zu dem Selbstverständnis des Bremer Theater-Ensembles und dem Konflikt mit Heinz-Uwe Haus

Heinz-Uwe Haus, Regisseur aus der DDR, soll in dem Brecht -Stück „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (Premiere: 6.10.) nicht Regie führen. Dies sei, teilte die Intendanz mit, „im Interesse des spezifischen Aufbaus des Schauspielensembles unter Oberspielleiter Andras Fricsay“ so entschieden worden. Das Interview mit Andras Fricsay Kali Son ist auch eine Antwort auf das Gespräch mit Heinz-Uwe Haus (taz 11.9.)

Der Ui uraufgeführt wird, wird ein ganz anderer sein als der von

dem Regisseur Heinz-Uwe Haus geplante ...

Fricsay: Mit Sicherheit.

Wie anders?

Fricsay: Weiß ich nicht.

Sie haben doch mal bei einer Probe zugeguckt...

Fricsay: Nein. Morgen gucke ich zum ersten Male zu.

Wie würden sie den Konflikt des Ensembles mit dem Regisseur Heinz-Uwe Haus beschreiben?

Fricsay: In den Stadium, in dem wir sind, müssen wir uns kennenlernen und dafür sorgen, daß wir eine gemeinsame Sprache finden.

Das Wichtigste für mich ist die Einheit des Ensembles. Das Ensemble erlitt eine Zerissenheit, die nicht mehr kittbar war. Mich interessieren nicht Virtuosen, die aufeinander abgestimmt spielen und das fehlende Miteinander nur mit der Professionalität, mit Können übertünchen.

Schauspieler müssen doch zerrissen sein, ganz unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Regie -Zusammenhängen spielen ..

Fricsay: Nein. Es gibt Regisseure, die so eine andere Sprache sprechen, wobei ich nicht ihre

Größe in Frage stelle, die ich nie engagieren würde. Das ist ein anderes Theater.

Für was für ein Theater sind die Schauspieler hier engagiert?

Fricsay: In erster Linie ist es ein gemeinsames Verständnis darauf, was wir unter Lebendigkeit verstehen. Mich interessieren in der Sekunde, in der der Vorhang aufgeht, die momentanen Geburtsmomente, die solche eine Spontaneität haben, als wäre es bei der ersten Probe und improvisiert. Diese Art von Lebendigkeit interessiert mich am meisten im Theater, und nicht eine Art hochgezüchter Konserve.

Bei der 24. Aufführung...

Fricsay: Wer sagt das? Sie sind zynisch in dieser Haltung. Dann haben Sie beschissene Erfahrungen gemacht. Was sind denn für Sie Schauspieler? Kasperl? Das merke ich immer wieder: Sie passen mir nicht in Ihrer Art. Wenn Sie Schauspieler für Witzfiguren halten, die bei der 24. Vorstellung tote Hosen sind.

Ist die Lebendigkeit bei der 24. Aufführung Kunst oder Spontaneität?

Fricsay: Der spontane Bereich darf nicht bei jeder Vorstellung immer weniger werden. Bei aller Geprobtheit ist solch ein Freiraum da, wo man hineingeht und sich auf das Abenteuer freuen kann. Das ist die Arbeit, die mich interessiert. Das Zentrum sind nicht die Regisseure, hier sind es die Schauspieler. Und soweit meine Kraft reicht, werde ich dafür sorgen, daß die nicht beschädigt werden.

Die Schauspieler haben den Eindruck, daß Haus einige von ihnen nicht für professionell hält..

Fricsay: Der Haus hat ausgedrückt, daß er die Verhaltensweisen von bestimmten Schauspielern nicht für professionell hält, das ist richtig so. Aber es ging nicht um die Proben, sondern um die Verhaltensweise. Diese „Habt acht, steht stramm„-Stellung, wenn ein Regisseur was sagt, die halte ich für unprofessionell. Ich bin selber Schauspieler, und ich weiß, was für Beschädigungen Regisseure anrichten können. Haus wird vielleicht beweisen können, daß er ein exzellentes Theater macht. Why not? Aber man muß sehen: Ist das die Familie oder ist das nicht die Familie, wo ich mich wohlfühle?

Sie sagen Familie, Haus nennt das den Unterschied zwischen Psycho-Gruppe und der Kunst des Schauspiels.

Fricsay: Es gibt auch die Kunst der Vermittlung vom Regisseur zum Schauspieler. Dazu gehört Freiwilligkeit und nicht der Zwang.

Familie ist ja traditionell eine sehr autokratische Sache. Da gibt es nie zwei Oberhäupter...

Fricsay: Jaja, die ganze Zeit versuchen Sie, dahin zu kommen. Sie sind ein Fächer von Klischees. Mich ödet das an. Es gibt verschiedene Sorten von Familien. Ich habe jetzt einmal die Aufgebe, den Oberspielleiter zu spielen, gehöre aber nicht zu denen, die wahnsinnig gerne viel arbeiten. Also muß ich eine Organisation von Regisseuren, Schauspielern, Bühnenbildnern schaffen und zu einer Einheit kommen, wo ich mich immer weiter zurückziehen kann und die Sachen machen kann, die mich interessieren: unter anderem Reisen und eigene

Geschichten, auch außerhalb des Staatstheaters. Das ist nicht die Erfüllung meines Lebens, hier mit Subventionen meinen Stuhl abzudrücken und den Obermufti zu spielen. Ich habe auch keinen Bock auf Intendanzen ...

Es gibt kaum noch Familien. Es wäre doch ein Wunder...

Genau das ist die Schwierigkeit. Das empfindet jeder als Wunder. Ok, probieren wir's. Da hat jemand eine solche Frechheit oder Unverdorbenheit, an sowas zu glauben. Ich meine nicht, daß das konfliktlos abgeht. Aber weil ich weiß, wie groß dieses Wunder wäre, bleibt mir nichts anderes übrig, als ziemlich radikal meine Forderungen zu stellen.

Int.: K.W.