: Endlagerung für das kritische Wort
■ SFB plant weitgehende Umstrukturierungen im Hörfunk / Verbannung von wortlastigen Sendungen ins unattraktive vierte Programm als blinde Reaktion auf Hörerverluste
Mitte Juli platzte in Berlin die Hörfunkbombe. Der Sender Freies Berlin (SFB), jahrelang unangefochtener Spitzenreiter im Berliner Äther, ist auf Platz Drei der Hörergunst zurückgefallen. Die Jugendlichen Radiofans sind zum flotteren Rias 2 abgewandert, und die älteren Hörer geben mehrheitlich der anspruchslosen Dudelwelle Hundert,6 des privaten Radioanbieters Ullrich Schamoni den Vorzug. So jedenfalls offenbarten es die Umfrageergebnisse einer Infratest-Studie. Panik im Haus des Rundfunks in der Massurenallee? Natürlich muß etwas geschehen, um diesem erschreckenden Hörerschwund entgegenzutreten, hatte doch der neue Intendant soeben erst vollmundig angekündigt, den Sender wieder auf Vordermann zu bringen.
Was Günther von Lojewski dann in einer ersten Stellungnahme zu den Umfrageergebnissen erklärte, klang noch ziemlich vage. Von der hohen Akzeptanz der musikorientierten Programme gegenüber den informationsgeprägten Sendungen, wie sie der SFB als Sender mit gesetzlichem Programmauftrag anbiete, war die Rede. Aber es gebe Beispiele anderer Landesrundfunkanstalten, die zeigten, daß eine Trendumkehr unter massiven Konkurrenzbedingungen durchaus möglich sei. Wie dieser neue Trend beim SFB konkret ausehen soll, daß wurde der verdutzten Redakteursversammlung nun am vergangenen Montag ganz überraschend serviert, nachdem sich der Sender zur Internationalen Funkausstellung noch in altbewährter Programm-Manier präsentiert hatte (Von Umstrukturierung war in keiner dieser Sendungen und Broschüren die Rede!).
SFB 1 und 2 sollen kräftig entwortet werden. „Eine Welle mit Herz“ für die Hörer ab 45 Jahren und Rock- und Popmusik en bloc für die bis 50jährigen will Lojewski installieren. Wortlastige Magazine und Feature-Sendungen sollen in Zukunft aus dem ersten und zweiten Programm ganz verbannt und auf der vierten Hörfunkfrequenz angesiedelt werden, die bislang hauptsächlich zum Abspielen von Sendungen für Ausländer (Übernahmen anderer ARD-Anstalten) diente. Das vorgestellte Konzept, das der Intendant für eine „Rückbesinnung auf die Grundwerte des Hörfunks“ hält, ist in Wahrheit eine einzige Katastrophe. Ein Wortanteil von nur 30 Prozent (einschließlich der Werbung) bei den neuen leichten Wellen SFB 1 und 2 bedeutet, daß neben den stündlichen Nachrichtenblöcken nur noch Platz für einen Beitrag von etwa zweieinhalb Minuten pro Stunde bleibt. Ansonsten nur lockeres Moderatorengeplänkel. Profilierte Magazine wie die Jugendsendung Boomerang (SFB 2), die Zeitpunkte aus der SFB-Frauenredaktion oder das Wissenschaftsmagazin Kopf Hörer auf SFB 1 sollen sich auf der unattraktiven vierten Welle um die Sendeplätze schlagen. Dort ist für alle zur Endlagerung vorgesehenen Magazine in ihrer jetzigen Form gar allerdings gar kein Platz, denn ab 18 Uhr sind wie gewöhnlich die Sendungen für Ausländer dran. Weil fürs Musikalische ja auf den ersten beiden Frequenzen hinlänglich gesorgt sein wird, sind die betreffenden Redaktionen gehalten, ihre Programme abzuspecken auf kompakte Wortsendungen ganz im Stil der puristischen 50er und 60er Jahre der Radio-Ära. Aber wer will heute schon so ein trockenes Informationsprogramm hören?
Ganz abgesehen davon stellt sich noch ein anderes pikantes Problem. SFB 4 sendet auf so schwacher Frequenz (UKW 98,2 MHz), daß das Programm in manchen West-Berliner Bezirken, z.B. in den Bereichen Tiergarten, Lichterfelde und Wilmersdorf gar nicht empfangen werden kann, vom Ostteil der Stadt ganz zu schweigen. Das Argument, man werde die Hörfunkprogramme ja sowieso bald über den neuen Fernmeldesatelliten Kopernikus ausstrahlen, klingt in diesem Zusammenhang nach bloßer Augenwischerei. Noch ist die Finanzierungsfrage völlig offen. Die Aufblähung des vierten Hörfunkprogramms bedeutet ja eine Programmausweitung, die zusätzliche Kosten bereiten wird. SFB 4 hat nicht einmal ein eigenes Studio, das die Redaktionen nach ihrem Wellenwechsel nutzen könnten. Und die Satellitenübertragung wäre nicht gerade billig (ca. 1,2 Millionen DM im Jahr). Aber selbst wenn Lojewskis holder Wunsch bald in Erfüllung geht, bräuchte der geneigte Hörer erst einmal eine teure Empfangsanlage (Satellitenschüssel) auf dem Dach oder doch zumindest einen Kabelanschluß, um in den Genuß des neuen Hörgefühls zu kommen. Mit solchen Zugangshürden versehen, dürfte der vielgepriesene Informationskanal selbst seine eingeschworene Stammkundschaft verlieren. Ob das im Sinne des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags ist, darf mit Recht bezweifelt werden.
Alles in allem scheint die anvisierte Programmrevolution wohl eher eine Maßnahme zu sein, um unliebsame, kritische Beiträge aus den Hauptprogrammen in unattraktive Sendenischen abzuschieben, wo sie dann in aller Stille zu Grabe getragen werden können. Der NDR und Lojewsis Kollegen vom BR haben das schon mit wechselndem Erfolg vorexerziert. Die dritten und vierten Programme als Endlagerstätten für das anspruchsvolle Wort.
Für Berlin bleibt nur zu hoffen, daß der Rundfunkrat, der am kommenden Montag tagt, diese Kröte nicht ungefragt schlucken wird. Schließlich offenbart Lojewskis Reform Vorschlag auch einiges an kurzsichtiger Dummheit. Die eingangs erwähnte Infratest-Umfrage bescheinigte dem SFB nämlich im Vergleich zu den anderen Berliner Sendern die besten Noten für seine kompetente Berichterstattung und die gelungene Themenauswahl. Und nun will man allen Ernstes gerade diese starken Programmelemente aus den populären Wellen herausnehmen zugunsten eines seichten Musikteppichs, den Schamoni und Rias schon flächendeckend ausrollen.
Ute Thon
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