Hypereffiziente Arbeitsteilung

■ Japans Frauen verschafften sich in diesem Sommer auf der politischen Bühne erstmals Gehör / Erstarrte Rollenverhältnisse beginnen aufzubrechen, aber die Arbeitsökonomie hält Frauen fest in Haus und Familie

Fujieda Mioko lehrt im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Universität von Kyoto. 1979 gründete sie eine Vereinigung für Frauenstudien. Anfang September hatten wir Gelegenheit zu einem Interview mit der engagierten japanischen Feministin.

taz: Japans Frauen haben in den letzten Monaten bei der Wahl von Takako Doi die Schlagzeilen bestimmt. Wie erklären sie das sogenannte Madonna-Phänomen in der japanischen Politik?

Fujieda Mioko: Die sozialistische Partei hat sich zunächst mit der Aufstellung weiblicher Kandidatinnen hervorgetan. Dies als Madonna-Phänomen zu titulieren, wie es in den japanischen Medien geschieht, ist bereits ein Reflex des japanischen Sexismus. Es war durchaus nicht erklärtes Ziel der sozialistischen Partei, in erster Linie Frauen zu nominieren. Aber es sind Frauen, die die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels in Japan erkannt haben, und Frauen machen inzwischen den Großteil ihrer Wählerschaft aus.

Die fast vierzigjährige Einparteienherrschaft der Liberal -Demokratischen Partei hat abgewirtschaftet. Mit der Erhöhung der Verbrauchersteuer und den Sex- und Korruptionsskandalen, in die ja die gesamte Partei-Führung verstrickt ist, hat die LDP den Bogen überspannt. Bis dato wurden die sogenannten Sex-Skandale als selbstverständlich hingenommen, und die Frauen schwiegen dazu. Der Besuch von Prostituierten und Sex-Tourismus waren in sämtlichen Rängen gang und gäbe. Erst ganz allmählich beginnen Frauen gegen all dies zu protestieren.

Die Innung der Geishas scheint jedoch um ihren Ruf zu fürchten und distanziert sich von jenen „Call-Girls“, die ausgepackt und damit immerhin schon zwei LDP-Politiker zu Fall gebracht haben.

Die Institution der Geisha hat eine lange Tradition, und es ist keineswegs eindeutig, ob es sich dabei um Prostitution oder Unterhaltung handelt, auf jeden Fall ist diese Form der Unterhaltung exklusiv Männern vorbehalten. Spätestens seit der japanischen Modernisierung, die 1867 einsetzte, waren Spitzenpolitiker immer mit einer oder gar zwei Geishas liiert. Politische Zusammenkünfte im Hause der Geisha waren Bestandteil des politischen Lebens.

Nun wandte sich eine Frau, über die Premier Uno gestürzt ist, an die Presse. Das war die Chance für die japanischen Frauen, sich endlich Luft zu machen. Es war eine Art Schneeballeffekt.

In Japan unterscheidet man zwischen zwei Kategorien von Frauen. Auf der einen Seite sind da die Prostituierten und die Geishas - Frauen zur Freude der Männer -, auf der anderen Seite Ehefrauen, die sich ums häusliche Wohl kümmern. Frauen werden also entweder als sexuell aktiv, jedenfalls um die Lust des Mannes zu befriedigen, begriffen oder als Hausfrauen, von denen man dies nicht unbedingt erwartet. Natürlich verschwimmen diese Kategorien unter der jüngeren Generation immer mehr. Dennoch hält sich auch hier die Arbeitsteilung. Die Bestimmung des Mannes liegt im Dienst für die Firma, die der Frauen indes im Dienen.

Sehen sie eine Parallele zu der in Europa herrschenden Unterscheidung zwischen der Hure und der Heiligen?

Sicherlich liegt diese Vorstellung zugrunde. Aber noch wirksamer mag in Japan die Vorstellung von der Überlegenheit des Mannes und der Unterlegenheit der Frauen sein, auch wenn sie in der Öffentlichkeit nicht mehr im Vordergrund steht. Die traditionelle Einstellungspraxis und das Lohnsystem verstärken diese Konzeption noch. Bis 1985, als Japan nicht mehr umhin konnte, dieUN-Konventionen gegen Diskriminierung zu unterzeichnen, waren Frauen vom quasi zwangsläufigen Aufstieg innerhalb des Betriebes und der Einstellung auf Lebenszeit ausgeschlossen. Frauen, so die Ideologie, sind für den Haushalt bestimmt. Tatsächlich arbeiten die Männer ja auch 48 Stunden pro Woche, und selbst wenn die Arbeitszeit jetzt verkürzt werden sollte, werden Männer immer zu Überstunden bereit sein. Es sind die Frauen, dieihren Männern diese außerordentlichen Leistungen erst ermöglichen. Unter diesen Bedingungen bleibt für sie neben dem Haushalt nur noch die Teilzeitarbeit. Das ökonomische System verstärkt die Geschlechtersegregation also noch.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der berüchtigte Pornokonsum der japanischen Männer?

Die Pornoindustrie konzentriert sich auf den Mann als Kunden. Sämtliche Zeitungen, die Männer auf ihrem Heimweg von der Arbeit lesen, sind voll davon. Männer glauben auf diese Weise ihre überschüssigen sexuellen Energien, die angeblich ihrer Natur entsprechen, abreagieren zu können. Die Pornoindustrie nährt diese Bedürfnisse jedoch erst seit den Sechzigern. Für meine Begriffe ist das eine Antwort auf den Feminismus.

Es könnte aber auch eine Antwort auf die Arbeitsbedingungen sein?

Ja, die extreme Betonung der Sexualität ist ein Ventil für die extreme Ausbeutung und Anspannung der Männer im Berufsleben, wenn sie auch glauben, für ihr eigenes Fortkommen zu arbeiten.

Wie gesagt, alles ist auf Profit ausgerichtet, die meisten Männer identifizieren sich mit der Firma und nicht mit der Familie. Selbstverständlich leiden Frauen und Kinder unter diesen Bedingungen. Inzwischen beginnen selbstMänner, wenn auch nur eine verschwindend kleine Gruppe, diese unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu kritisieren. Aber auch das Schulsystem arbeitet auf den Erhalt dieser Strukturen hin. So gibt es nur sehr wenige Schuldirektorinnen. Und der Anteil der Lehrerinnen sinkt mit steigenden Schulniveau. An meiner Universität gibt es nur zwei Dozentinnen.

Wie haben sich die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges auf das Selbstverständnis der Frauen ausgewirkt?

Schon vor dem Krieg gab es ein Aufkeimen des Feminismus, doch damals waren die Strukturen in vielerlei Hinsicht eher feudalistisch. Die Niederlage war insofern durchaus willkommen. In der Verfassung wurde die die Gleichheit der Geschlechter verankert. Realiter hat sich kaum etwas verändert. Immerhin bedeutete es einen gewissen Fortschritt, ermöglichte zum Beispiel die Koedukation. Aber man glaubte mit der Deklaration der Gleichheit auch schon die die Bedingungen dafür geschaffen zu haben. Anfang der Siebziger Jahre gab es dann eine Emanzipationsbewegung, wie in Europa und den USA. Auch wenn sich diese Bewegung nicht so wie in anderen Ländern durchgesetzt hat, hat die Message doch weite Kreise erreicht.

Wie beurteilen Sie die Diskriminierung der Frauen in der bäuerlichen Gesellschaft Japans im Vergleich zu der in den urbanen Zentren?

Das ist recht kompliziert. Etwa seit den sechziger Jahren war die Regierung bestrebt, die Landwirtschaft zu modernisieren und damit auch zu kontrollieren. Auf der einen Seite ermutigte sie die Bauern zum Ankauf von Maschinen. Bis dahin wurde die intensive Landwirtschaft, wie sie für Japan charakteristisch ist, in erster Linie von Hand geleistet. Die Folge war die Verschuldung der Bauern, so daß die Männer in die Städte abwanderten, um dort das nötige Geld zu erwerben. Die Frauen blieben auf dem Lande zurück. Das ging so weiter Jahr für Jahr. Auf der anderen Seite war die Regierung im Austausch zu den steigenden Exportraten gezwungen, mehr Agrarprodukte zu importieren.Damit war der Konflikt zwischen Regierung und den Bauern schon vorprogrammiert. Die Frauen jedoch schwiegen wie gewohnt. Sie wollten den Glauben an die LDP nicht aufgeben. Auch die Männer verhielten sich gegenüber der LDP sehr devot. Erst im letzten Jahr erkannten die Frauen den politischen Konflikt.

Die ländlichen Regionen sind generell konservativer. Nun, da die Industrie auch auf dem Land expandiert und Frauen als Teilzeitkräfte zu niedrigen Löhnen anwirbt, kommen auch Frauen in den Genuß des Geldes. Männer haben auf dem Land allerdings zunehmend Probleme, Frauen zu finden, die noch bereit sind, die schwere Arbeit zu verrichten. Jetzt werden zunehmend Frauen aus Sri Lanka und den Philippinen importiert, die gezwungen sind, sich solchen Verhältnissen zu unterwerfen.

Von welchen Rollenmodellen träumen heute die japanischen Mädchen.

Am meisten favorisieren sie sicherlich die jungen, hübschen und reichen Popstars, die jede Nacht im Fernsehen auftreten, ja und die Fernsehstars. Tausende von Schülern wollen nichts anderes als Popstars werden.

Ich bin wirklich von den Aktivitäten, die Frauen hier in Berlin entwickeln, sehr beeindruckt. Vom Frauenhotel bis zur Infothek über Frauenzeitungen, die Frauen hier verfügen über eine unvorstellbare Infrastruktur. Ich frage mich, wie Männer auf diese Situation reagieren. Japan und die BRD sind ja für ihren ökonomischen Aufschwung nach dem Krieg bekannt, aber die Systeme unterscheiden sich doch erheblich. In Japan wird allein der Prosperität gehuldigt, und die Männer sind sich ihrer Ausbeutung nicht bewußt. Das scheint hier anders zu sein.

Gibt es eine spezifisch japanische Variante des Feminismus? Japan war ja immer auf seine Traditionen und besondere kulturelle Ausprägung bedacht.

Die Wahrung der Japanischen Kultur wurde vor allem von den Konservativen betrieben. Sie reden über Noo, über Kabuki, die Tee-Zeremonie, über die sogenannte japanische Kultur, die längst nicht mehr den Alltag der Menschen bestimmt. Die ökonomische Entwicklung hat das tägliche Leben völlig aus dem Rythmus gebracht. Natürlich essen wir nach wie vor Reis, aber die Eßgewohnheiten haben sich verändert, wir essen mehr Fleisch und zu anderen Zeiten. Feminismus kämpft aber für veränderte Beziehungen zwischen Männern und Frauen, für eine veränderte Arbeitsteilung. Uns liegt also daran, die traditionelle Arbeitsteilung aufzubrechen, ohne uns jedoch auf Arbeitsbedingungen einzulassen, die unsere Natur zerstören. Der ganze japanische Impetus richtet sich auf den Anstieg des Konsums und der Produktivität Umweltverschmutzung, Diskriminierung der Frauen und Ausbeutung der sogenannten Entwicklungsländer sind die notwendigen Begleiterscheinungen. Wir wollen unseren Wohlstand jedoch nicht auf Kosten anderer genießen. Aus dieser Perspektive betrachtet, verfolgen wir die gleichen Ziele. Es gibt vielleicht unterschiedliche Erscheinungsformen des westlichen und des asiatischen Feminismus, aber die zugrunde liegenden Probleme sind die gleichen.

Das Interview führte Simone Lenz