: Wahre Filme
■ Wie unser Biennale-Korrespondent einmal ein brennendes Auto beobachtet hat
Wieviele Autos wurden in den Filmen der letzten acht Tage zerstört, wieviele Menschen ließen ihr Leben, damit mein Gemütshaushalt eineinhalb Stunden lang aufgewühlt wird? Ich weiß es nicht. Hundert Menschen waren es mindestens, ein Dutzend Autos vielleicht auch. Also wenige, wenn man daran denkt, wieviel Geld, Energie und schöpferische Phantasie die Filmindustrie durchschnittlich in die Befriedigung unserer Bedürfnisse nach Zerstörung und Vernichtung investiert. Mit großem Erfolg. Nicht zuletzt bei mir. An James Bond reizt mich nicht nur, daß alle Frauen ihm ununterbrochen ihre Bereitschaft, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, ins Ohr hauchen, sondern - etwas weniger, aber immerhin doch - auch die lustvolle Inszenierung der Zerstörung teuerster Autos, riesiger Raketensysteme und raffiniertester, glänzendster Technologien. Die Lässigkeit, mit der Roger Moore die Prunkstücke unserer High-Tech-Zivilisation in die Luft gehen ließ, hätte ihm längst eine Ehrenmitgliedschaft bei Greenpeace einbringen soll.
Als ich mich heute daran machte, diese Kolumne zu schreiben, fing es plötzlich an, fürchterlich zu stinken. Ich ging ans Fenster und sah eine schwarze Wolke hoch aufsteigen - nur ein paar Meter vom Telexraum des Pressezentrums entfernt. Ganz Sensationsreporter - der ich gerne geworden wäre - stürzte ich hinaus, ging die paar Schritte zu der Stelle, wo die stinkende Rauchwolke herkam. Es war ein Auto. Ein brennendes Auto. Die Bremsen waren wohl nicht angezogen gewesen, der Wagen war ein Stück vorgerollt, auf den nächsten aufgefahren und hatte Feuer gefangen. Nun stand er in Flammen. Die Feuerwehr war schon da und löschte. Der Wagen war kaum zu erkennen. Er stand in einem schmutzig -weißen ätzend riechenden Nebel. Der Feuerwehrmann hielt seine Spitze hin, wo immer er wieder eine Flamme sich rühren sah. Es gab viele Neugierige. Kein Mensch hielt sie davon ab, sich dem Wagen zu nähern. Und doch standen sie in einem Abstand von zehn bis fünfzehn Metern. Niemand wagte sich näher heran. Sicher, sie war vor allem der Anblick dieses schwarzen Ungeheuers, das sich in dem schmutzig-weißen Dampf versteckte, der sie ehrfürchtig Abstand halten ließ. Der beißende Gestank wurde vom Wind in die entgegengesetzte Richtung, über eine der schönen Villen hier am Lido getrieben.
Es waren keine Flammen mehr zu sehen, der Feuerwehrmann spritzte nicht mehr. Das Auto wurde sichtbar: ein einmal grau gewesener kleiner Karawan von Autobianchi. Ein Großteil des Daches war weggeschmolzen, die Streben, die es getragen hatten, standen wie das schwarze Skelett einer unbekannten Saurierart in der Via delle quattro Fontane. Das fürchterliche war: Das Tier lebte. Die Knochen atmeten. Sie verdampften dieses fürchterlich ätzende Weiß. Aber sie rührten sich nicht. Ich traute mich ran. Am Heck des Wagens konnte ich eine Plakette entziffern: „y10 fire xl“
Arno Widmann
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