: Nach dem Hungerstreik: Mißhandlungen in Aydin
Türkische Sozialdemokraten erstellen Bericht über Verhältnisse im Gefängnis Aydin: Essen und medizinische Versorgung sind unzureichend, persönliche Gegenstände werden beschlagnahmt, Gefangene geschlagen / Gefangene erwägen neuen Hungerstreik ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Das Gefängnis von Aydin gleicht einem Pulverfaß. Falls die versprochenen Verbesserungen nicht bald erfüllt werden, wird es zu einem erneuten Hungerstreik kommen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das der sozialdemokratische Abgeordnete Kamil Atesogullari im Auftrag seiner Partei erstellt hat. Das Gutachten ist Justizminister Oltan Sungurlu zugeleitet worden. Auch ein von politischen Gefangenen im Gefängnis Aydin verfaßtes Dokument, welches der taz vorliegt, beschreibt die fortdauernde Repression trotz der Einigung.
„Im Gefängnis von Aydin werden Folter- und Todesfallen gestellt“ lautet der Titel des Papiers, das von Sükrü Göktas, Abidin Polat und Riza Dogan im Namen der politischen Gefangenen unterzeichnet ist.
Der Hungerstreik im Gefängnis von Aydin war am 18.August zu Ende gegangen. Während des 52tägigen Hungerstreiks waren zwei Gefangene nach Mißhandlungen durch Wärter und Militärs gestorben. Im Beisein von Oberstaatsanwalt Nural Ucurum, der sich während der Verhandlungen mit dem Justizminister und vier sozialdemokratischen Abgeordneten absprach, die als Mittler fungierten, hatte die Justizverwaltung schließlich einen Großteil der Forderungen akzeptiert.
Der Gesundheitszustand der Gefangenen ist schlecht, konstatiert der Bericht des Abgeordneten Atesogullari. „Die Gefangenen müssen ärztlich behandelt werden. Hämorrhoiden, Darminfektionen, Magenblutungen und Kopfschmerzen sind weit verbreitet.“ Es wird keine Diät ausgeteilt, das Essen ist unzureichend. Die Ernährung werde wesentlich durch die Milchlieferungen des „Vereins für Menschenrechte“ sichergestellt. Bücher und persönliche Gegenstände - in Razzien während des Hungerstreiks beschlagnahmt - sind den Gefangenen nicht ausgehändigt worden. Grundlos wurden die Gefangenen Saban Kavul und Dervis Celik am 27.August von Wärtern verprügelt.
Muzzafer Erdost vom Verein für Menschenrechte zählte namentlich die Gefangenen auf, die ärztlich behandelt werden müssen: „Während des Besuchstages erlitten Serif Cimen und Salahattin Simsek Magenblutungen. Suat Baysal und Ahmet Özcan Aygün haben Erblindungserscheinungen. Mehmet Gül und Mustafa Özdemir sind partiell gelähmt. Levent Anar leidet unter chronischen Kopfschmerzen aufgrund einer Schlagwunde am Schädel. Obwohl Ärzte die Einweisung von Cumhur Yavuz und Levent Anar in die Klinik fordern, hat die Gefängnisverwaltung seit zwei Wochen die Gefangenen nicht verlegt.“
Ein besonderes Problem - so der Bericht des Abgeordneten bereite der Umstand, daß die Wärter, die an den Folterungen der Gefangenen während des Hungerstreiks beteiligt waren, weiterhin Dienst in Aydin tun. „Wir haben versucht, mit der Gefängnisverwaltung zu sprechen. Wir haben einen Tag das Essen boykottiert und Petitionen eingereicht. Trotz alledem lehnen sie ein Gespräch mit uns ab. Zur Zeit haben wir außer den Folterwächtern keinen Kontakt zu Verantwortlichen“, schreiben die Gefangenen in dem Brief, der aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt wurde.
Von dem Abgeordneten Atesogullari auf die versprochenen Verbesserungen angesprochen, erinnerte der Gefängnisdirektor an die Worte von Oberstaatsanwalt Nural Ucurum: „Ich fahre in den Urlaub nach Europa. Bis ich zurück bin, bleibt alles beim alten.“
Falls bis zum 20.September keine Verbesserung eintritt, wollen die Gefangenen erneut „fasten“. „Ein menschenwürdiges Leben oder den Tod“ schließt der Brief aus dem Gefängnis Aydin. Der ehemalige Bürgermeister der kurdischen Stadt Diyarbakir, Mehdi Zana, der seit neun Jahren im Gefängnis sitzt und sich am Hungerstreik in Aydin beteiligte, hat ein Telegramm an Ministerpräsident Turgut Özal geschickt: „Auch nach dem Hungerstreik wird uns unser Recht auf ein menschenwürdiges Dasein nicht anerkannt.“
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