P-Abteilung tobt sich aus

■ Staatsanwalt schlug unerbittlicher hart zu: Krawallbeschuldigter muß weiter sitzen, obwohl ihn das Amtsgericht freigelassen hatte / Seit dem 1. Mai in U-Haft

Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft schießt nach wie vor mit Kanonen auf Spatzen, wenn es um die 1.-Mai -Krawalle geht. Das zeigte sich jetzt erneut am Fall des 27jährigen Schülers Jörn M., der seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt, weil er am 1. Mai 1989 in Kreuzberg einen Stein auf einen Polizeibeamten geworfen und sich seiner Festnahme widersetzt haben soll.

Wie Jörn M.'s Rechtsanwalt, Eisenberg, gestern mitteilte, wurde sein Mandant am Donnerstag vom Amtsgericht bis zu seinem Prozeß von der weiteren U-Haft verschont, muß aber auf Betreiben des politischen Staatsanwalts Dettmer trotzdem weiter in Haft bleiben: Dettmer hatte gegen den Haftverschonungsbeschluß des Amtsgerichts sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung beim Landgericht eingelegt. Das heißt, Jörn M. kommt nicht raus, weil die Entscheidung des Landgerichts abgewartet werden muß.

Nach Angaben des Anwalts kann „frühestens“ im Dezember mit dem Beginn des Prozesses gegen seinen Mandanten gerechnet werden. Darauf habe der zuständige Amtsrichter, Berger, am Donnerstag hingewiesen, bevor er Jörn M. von der weiteren U -Haft verschonte. Berger habe den Haftverschonungsbeschluß damit begründet, die richterliche Kontrolle der Haftpost des Angeschuldigten habe gezeigt, daß er über einen festen Freundeskreis verfüge, der seit seiner Inhaftierung eng zu ihm halte und ihn regelmäßig besuche.

Der Angeschuldigte verfüge über einen festen Wohnsitz und ein Ausbildungsverhältnis. Aus diesem Grund sei einer möglichen Fluchtgefahr auch mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft zu begegnen. Auf Nachfrage der taz bezeichnete Justizsprecher Achhammer die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Haftverschonungsbeschluß als „nichts Ungewöhnliches“. Die Praxis gibt ihm recht, allerdings nur insofern, als von diesem Mittel hauptsächlich die berüchtige Sonderabteilung „P“ der Staatsanwaltschaft Gebrauch macht - und das mit Vorliebe dann, wenn es die Haftentlassung eines Krawallbeschuldigten zu verhindern gilt. Den Vorwurf, die politische Staatsanwaltschaft mißbrauche die U-Haft mit hanebüchenen Begründungen als Mittel der Abschreckung, war von Kritikern schon im Zusammenhang mit der großen Inhaftierungswelle bei den Krawallen im Mai und Juni '87 sowie Mai 1988 erhoben worden. Nachdem die politische Sonderabteilung damit einmal mehr den Beweis liefert, daß unguter Corpsgeist den Blick fürs rechte Maß verstellt, winkt ihr laut rot-grüner Koalitionsvereinbarung für Anfang 1990 bekanntlich das „Aus“. Bis dahin darf sie sich allerdings - wie der Fall Jörn M. beweist - offensichtlich noch ungehindert austoben.

plu