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DIE MOBILMACHUNG DER SEELE

■ Wie in Berliner Schulen der Kaiserzeit am Krieg gearbeitet wurde

Ich frage meine Eltern nach ihren Schulerinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg.

Meine Mutter, geboren 1904, Schulzeit in Dresden, erinnert sich an Sedanfeiern und Feiern zu Kaisers Geburtstag: „Es gab neue Kleider, und ich durfte Gedichte aufsagen.“ Sie fängt an zu summen, zu singen: „Ich hab‘ mich ergeben, mit Herz und mit Hand, Dir, Land voll Lieb‘ und Leben. Mein deutsches Vaterland.“ Mein Vater, geboren 1902, Schulzeit in Meißen, brummt mit. Er erinnert sich an Laubheusammeln, an das Sammeln von Schul-Kriegsanleihen und den Jungsturm. „Da habe ich mit Begeisterung mitgemacht; wir waren ja alle begeistert, wir Jungen.“

Oder mir fällt eine Photographie meines Vaters ein, die ihn als Vier- bis Fünfjährigen in einer Soldatenuniform zeigt. Ich frage: „Woran erinnerst du dich noch?“ „Unsere Lehrer waren an der Front, wir hatten Ersatzlehrer, alles war durcheinander, dann kamen immer mehr Todesnachrichten. Wir waren“, er zögert und sucht nach Worten, „erschüttert, sie hatten uns gerade noch unterrichtet...“ Er sucht die Jahresberichte seiner Schule aus den Kriegsjahren heraus. Im Jahresbericht Ostern 1914-15 eine Seite voll mit Namen von Lehrern und Schülern, „die unserer Anstalt dereinst angehört und den Heldentod fürs Vaterland erlitten haben“. Das Datum: September, Oktober, November, Dezember, der Ort: in Frankreich, bei Dinant, im Osten, an der Pilica... Schwarzumrandet, überschrieben „Dulce et decorum est, pro patria mori!“ (Süß und ehrenhaft ist es, für das Vaterland zu sterben.) Unterschrieben „Requiescant in pace!“ (Mögen sie in Frieden ruhen!) In den folgenden Jahrbüchern nimmt die Auflistung der toten Lehrer und Schüler mehr als eine Seite ein, die Schrift ist klein, die Namen eng aneinander gerückt, der militärische Rang aufgeführt - cand., theol., Krgsfreiw., Obermatrose, Vzfeldw., stud. phil., Einj. Freiw. Utoffz., gef. - das Datum. Kein Ort.

Mein Vater: „Alles war durcheinander...“ Ich lese im Schulbericht Ostern 1914 / Ostern 1915: „Daß der zeitweise Ausfall des wissenschaftlichen Unterrichts durch die Unruhe der Kriegszeit überhaupt, besonders aber auch durch Einführung der vom Königl. Ministerium angeordneten Marsch und Geländeübungen, durch Instruktions- und Exerzierstunden die Erreichung der Klassenpensen nicht allenthalben unmöglich gemacht hat, ist unschwer einzusehen. Aber die Nützlichkeit und Notwendigkeit der militärischen Vorbereitung wird - wie ausdrücklich in der Ministerialordnung vom 19. Dezember 1914 betont ist - kein Einsichtiger verkennen. Niemand soll deshalb über das Opfer klagen, das von der an den höheren Schulen der geistigen Ausbildung unserer Jugend zugemessenen Zeit in der Not der Gegenwart gebracht werden muß.„ Auch auf die Sammlungen, von denen mein Vater gesprochen hatte, finden sich in allen Jahresberichten Hinweise, so Ostern 1915 bis Ostern 1916: „Auch in diesem Schuljahr fanden die schüler der Ober- und Mittelklassen des Realgymnasiums und der Realschule zu wiederholten Malen willkommene Gelegenheit, ihre jugendlichen Kräfte in den Dienst des Vaterlands zu stellen, so bei den Sammlungen für das Rote Kreuz und den Heimatdank zu Meißen, bei der Erhebung der Vorräte an Getreide, Mehl und Kartoffeln in den einzelnen Haushaltungen und Gehöften, bei der Bücherspende für die sächsischen Truppen im Felde u.a.m. In dankenswerter Weise und mit unermüdlichem Eifer entledigten sich alle Beteiligten ihrer nicht immer ganz leichten Aufgabe. Für die 'Kriegs-Schulanleihe‘ wurde von den Schülern unserer Doppelanstalt die erfreuliche Summe von 4200 M gezeichnet.„

Immer wieder versuche ich nach solchen Gesprächen zu begreifen, daß dies die Lebens- und Schulerfahrungen unserer Mütter und Väter, unserer Großmütter und Großväter waren, einer Generation, deren Leben von zwei Kriegen bestimmt war. Wir sind die Nachgeborenen, die von ihnen Erzogenen und Beeinflußten. Was reicht davon in unsere Gegenwart, in unser Leben hinein? Was sitzt uns „in den Knochen“, was ist in „Fleisch und Blut“ übergegangen?

Seit 1983 besteht die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Lehrer und Krieg“. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der Fragestellung: „Warum und mit welchen Mitteln haben Lehrerinnen und Lehrer an Berliner Schulen zu Kriegsbereitschaft, zu Wehrtüchtigkeit und zur Opferbereitschaft erzogen, und wie wurden und werden Zustimmung und Kriegsablehnung in unterschiedlichen Fächern vermittelt?“

August 1914 - Die deutsche Volksschule und

das deutsche Heer

Der Mobilmachung des Heeres im August 1914 folgte unmittelbar die „Mobilmachung der Schule“. Schon am 6. August 1914 erschien in der 'Pädagogischen Zeitung‘, der Zeitschrift des Deutschen Lehrervereins, auf der Titelseite der Aufruf: „Krieg - Auch an Deutschlands Lehrer ergeht in diesen Tagen der Ruf des Vaterlands. Tausende werden in der Front mit gegen den Feind ziehen und ihre Schuldigkeit tun, wie man es von ihnen erwartet. Auch für die Zurückbleibenden wird es Gelegenheit geben, der großen Sache, hinter der jetzt alles andere zurückstehen muß, zu dienen und das Werk der nationalen Verteidigung zu fördern. (...) Wir dürfen Vertrauen haben. Unser Heer macht uns kein anderes Volk nach, ebensowenig wie unsere Schule. Die deutsche Volksschule und das deutsche Heer! Zwei Bildungs- und Erziehungsanstalten, die ihresgleichen in der Welt nicht haben.„

Die enge Verzahnung von Bildungs- und Militärwesen ist ein deutsches „Erbe“, das sich historisch weit zurückverfolgen läßt. E.R. Robson, ein englischer Schularchitekt, der in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die preußischen Schulverhältnisse studierte, hat in seinem Bericht über die Schulen in Preußen u.a. folgende Beobachtungen mitgeteilt: „Der Geist des öffentlichen Bildungswesens ist annäherend, wenn nicht sogar ebenso militärisch wie der Geist, der in der Armee herrscht, und die Schulgebäude machen hiervon keine Ausnahme. Wie man Berlin als weitläufige Kaserne beschreiben könnte, so könnte man entsprechend die deutschen Schulen als eine Reihe kleiner Kasernen klassifizieren.“ In seiner Schilderung des Inneren der Schulen stellt er fest: „Das Erscheinungsbild der Schule ist sehr verschieden von einer Schule nach englischem Modell. Es gibt keinen gemeinsamen Schulsaal für alle Schüler. Es gibt keine Empore, auf der die Kinder Gruppenunterricht bekommen können. Es gibt keine Möglichkeit, dem Schüler das Lernen nach und nach beizubringen. Statt dessen gibt es eine Reihe von Klassenräumen, die von einem breiten Korridor aus betreten werden. (...) Hier beginnt für ihn der intellektuelle Drill, der sich bis zum Alter von 14 Jahren fortsetzt. So ein System muß dem schwachen Schüler eine größere Chance bieten, denn auch der ungeschickteste Rekrut wird zu einem passenden Soldaten, wenn man ihn nur regelmäßig und zusammen mit anderen lange genug drillt. Dieses System kann kaum anders als das Niveau der Masse heben. Allerdings muß seine Tendenz zur Zerstörung der Individualität des Charakters als ein Verlust vermerkt werden.„

Robson hat die zentrale Bedeutung der Schularchitektur, der Klassenraumgestaltung, der Schulmöbel für die Erziehung (oder richtiger: Zurichtung) der Schülerinnen und Schüler zu soldatischen Menschen präzise erkannt. Die gesamte Schulhygiene, im Kaiserreich eine eigene wissenschaftliche Disziplin, orientierte sich an diesem Ziel. Sie befaßte sich mit dem Schulhaus und dessen Einrichtungen, dem eigentlichen Unterricht, dem Einfluß des Schullebens auf die körperliche Entwicklung der Jugend und mit der hygienischen Überwachung.

Der Krieg bringt

Leben in die Schule

Die rasche „Mobilmachung der Schule“ ist letztlich daraus zu erklären, daß - überspitzt gesagt - schon weit vor dem Ersten Weltkrieg Schulpädagogik im Kaiserreich von den Strukturen und Tendenzen her „Kriegspädagogik“ war. Die Kriegsbegeisterung zu Kriegsbeginn, von der alle Bevölkerungskreise ergriffen waren, hatte bei den Lehrkräften besondere Gründe. Der Krieg bestätigte nicht nur die „Richtigkeit“ der althergebrachten pädagogischen Ziele wie Ordnung, Zucht, Pünktlichkeit, Disziplin, Gehorsam, Heimatliebe, Liebe und Treue zum Herrscherhaus, sondern brachte auch Leben in die Schulstube. Kurt Walther Dix, ein Lehrer aus Meißen - meine Eltern erinnern sich noch beide an ihn - berichtet u.a. in seinem 1915 in einer psychologischen Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz „Beobachtungen über den Einfluß der Kriegsereignisse auf das Seelenleben des Kindes“:

„In den Schreibstunden lasse ich zu dem zu schreibenden Buchstaben von den Kindern selbständig Wörter suchen. Diesmal, als wir die Buchstaben L und B übten, gab ich absichtlich keine Begrenzung. Jubelnd brachten die Knaben: Ludendorff, Lüttich, Linsingen, London, Luftkreuzer, Linienschiff, Bülow, Bethmann-Hollweg, Belgien, Bayern, Breslau (Schiff!). Die kurzen Sätze, die sie jedesmal dazu aussagten, ließen mich vollkommen richtige Assoziationen erkennen, und in den Urteilen und gefühlsmäßigen Stellungnahmen offenbarte sich die Nachahmungskraft, die dabei ausschlaggebend war, z.B. 'London: Gott strafe England und besonders London. Hurra, die Breslau und Göben, die sind jetzt türkische Schiffe. Die Bayern kämpfen in Hemdsärmeln; o die haun aber zu. Belgien wird deutsch; ha, der König verliert seinen Thron.‘ Derartige Übungen, die ich heute noch anstelle, beweisen mir in überraschender Weise, wie auch die 7- und 8jährigen Knaben den Krieg 'erleben‘.„

Diese von Lehrer Dix bei den Jungen beobachtete Begeisterung - 'ihr gesamtes Bewußtsein wurde von Kriegsvorstellungen beherrscht‘ - vermißte er bei den Mädchen: „Als ich im Oktober 1914 als Lehrer für Deutsch und Literatur eintrat (in die Selekta der höheren Mädchenschule), fand ich keine Anzeichen, daß die sechs Mädchen zu allen Ereignissen irgendwelche Stellung nahmen, wie sie sich dagegen im Schulleben der Knaben zahlreich zeigten. Wohl hatten sie dem gefangenen Klassenlehrer Liebesgaben geschickt, auch in echter Backfischart Hindenburg geschrieben; aber sonst lebten sie 'wie im Frieden‘. Zunächst suchte ich aus den schriftlichen Arten den Gemüthszustand kennenzulernen. Da zeigte sich, daß es nur an der nötigen Hilfe zur Betätigung gelegen hatte. Also begannen wir, Karten aufzuhängen, Fronten abzustecken, Kriegsgedichte zu sammeln, Tagesberichte zu lesen und zu bewerten usw. Sie gingen mit; als sie aber nach Wochen selbständig handeln sollten, erlahmten sie: die Fähnchen blieben stecken; sie lasen - mit Ausnahme von zweien keinen Bericht mehr. Selbst eine, die den Marsch ihres Bruders verfolgen sollte, wußte nicht anzugeben, von welchen Orten er schrieb, hatte sie auch nicht aufgesucht usw. Und als wir Kleists 'Hermannschlacht‘ lasen, wurde sie höchstens für zwei zum Erlebnis.„

Als im Verlauf des Krieges die Begeisterung in der Bevölkerung nachließ, verlängerten sich die Aufgaben der Lehrerschaft bis hinein ins Elternhaus. Die Schule war für jede Art der „seelischen Mobilmachung“ zuständig geworden. „Eine Reihe von Aufgaben, welche den Lehrpersonen innerhalb und außerhalb der Schulen dieser Zeit erwachsen, sind schon in Angriff genommen: die besondere Beaufsichtigung der Kinder in dieser Zeit, wo so viele Väter und Anverwandte fehlen; Belehrungen über Teuerung, Ausnutzung der Lebens- und Futtermittel, Einschränkung im elterlichen Haushalt, Anfertigung von Liebesgaben... Eine Aufgabe aber muß noch dazu übernommen werden, eine besondere Aufgabe, die uns der langwierige Verlauf des Krieges selbst und die unerwartete Form des Kampfes, die er angenommen hat, gestellt hat. Es gilt diesmal nicht den Kindern, sondern durch sie den Eltern, es gilt mit Hilfe der Kinder im Volke das Feuer der Begeisterung, welches Alldeutschland, jung und alt, bei Beginn des Krieges so herrlich durchlohte, immer aufs neue zu schüren und hellglühend zu erhalten, den Glauben an die gerechte Sache unseres Volkes und an unseren Sieg immer aufs neue zu beleben. ...Diesen Geist der unbedingten Siegeszuversicht in unserer Nation lebendig zu erhalten, tut wahrlich not, besonders in Zeitabschnitten, wie der jetzige, wo der Krieg, wie Generalfeldmarschall v. Hindenburg sich ausgedrückt hat, eine Sache der stärkeren Nerven geworden ist.„

Um 'Deutschland, Deutschland über alles‘ und 'Siegeszuversicht‘ ging es auch bei den Sedanfeiern, die seit 1874 an allen Berliner Gemeindeschulen und seit 1915 an allen Unterrichtsanstalten in Preußen verbindlich vorgeschrieben waren. In ihrer Gestaltung mit Gesang, Gedichten, Reden, Dekoration waren sie darauf angelegt, das 'Gemüt anzusprechen‘ und die 'Seele zu erheben‘, um so Wehrbegeisterung und Opferbereitschaft zu stärken. Für die Reden zu Sedanfeiern an Knaben- bzw. Mädchenschulen gab es unterschiedliche Vorschläge, wie auch der gesamte Unterricht - stärker als vor dem Krieg - an unterschiedlichen Leitbildern für Mädchen und Knaben orientiert war.

Auch das Denken, Fühlen und Handeln der Lehrer und Lehrerinnen selbst orientierte sich an solchen Leitbildern. So hatten sich Volksschullehrer - vertreten durch ihre Standesorganisation, den deutschen Lehrerverein - seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gefordert, als einjährig-freiwillig dienen zu dürfen, um damit auch Offizier werden zu können. Sie wollten damit vor allem ihren sozialen Status aufbessern, denn „der Mensch fing ja doch erst beim Doktor oder Leutnant an“. Sich selbst als Stütze des Throns begreifend, wollten die Lehrer als 'ganze Männer‘ dem Vaterland dienen. 1900 hatte die Volksschullehrerschaft ihr Ziel erreicht. In einer vom deutschen Lehrerverein herausgegebenen Werbebroschüre für den selbst zu finanzierenden einjährig-freiwilligen Dienst wurde den Lehrern versprochen: „Schon äußerlich lassen ihn seine besonderen Abzeichen, die Schnüre, als etwas Besseres erscheinen! - Ihm stehen die bürgerlichen Kreise offen, er lernt andere Anschauungen kennen, im Verkehr mit anderen wachsen sein Blick und die gesellschaftliche Sicherheit.„

März 1915 - Die Ausstellung „Krieg und Schule“

Im März 1915 wurde im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin die Sonderausstellung „Schule und Krieg“ eröffnet. Ziel der Ausstellung war es, „an ausgewählten anschaulichen Beispielen zu zeigen, welche Wirkung der Krieg auf die Arbeit in der Schule und darüber hinaus auf die Erziehung, Bildung und Betätigung der Jugend überhaupt bisher ausgeübt hat und voraussichtlich weiter ausüben wird. Gute Gedanken und Anregungen sollen damit festgehalten und weiteren Kreisen bekanntgemacht werden.„

Zur Ausstellung erschien ein ca. 200 Seiten starker Katalog mit ausführlichen Beschreibungen und vielen Abbildungen. Die Ausstellung orientierte sich an folgenden Leitfragen: Was können Schüler ud Schülerinnen unmittelbar für den Krieg leisten? Was wissen Schüler und Schülerinnen verschiedenen Alters vom Krieg, z.B. von der Art des Kampfes, von der Führung, von Waffen, Schiffen, Befestigungen usw? Wie stellen sie sich innerlich zum Kriege, z.B. wofür kämpfen wir nach ihrer Meinung, wie sollten wir uns zum Feind verhalten, auch zum verwundeten und gefangenen Feinde usw. Wie kann man Schüler und Schülerinnen über den Krieg belehren und ihre Teilnahme wecken? Wie kann die Jugend für den späteren Militärdienst vorbereitet werden?

Die Einladung zur Beschickung der Ausstellung hatte eine sehr große Resonanz an den Schulen im deutschen Reich und in Österreich-Ungarn. Ungefähr 200 Schulen schickten eine Überfülle von Material, welches in der Ausstellung unter Rubriken, wie „Schulleben in der Kriegszeit“, „Kriegsdiktate“, „Kriegstagebücher“, „Kriegszeichnungen“, „Knabenhandarbeit“, „Mädchenhandarbeit“, „militärische Vorbereitungen der Jugend und Leibesübungen“ gezeigt wurde, wobei die „kriegsgerechte“ Ausrichtung der Unterrichtsfächer im Mittelpunkt stand, denn der jeweilige spezifische Beitrag zur „großen gemeinsamen Sache“ war bestimmender Unterrichtsinhalt geworden. „Dankenswerte Bausteine für die Praxis der Kriegspädagogik“ fanden sich in der Ausstellung etwa in Gestalt von Lexikonentwürfen in pädagogischen Zeitungen und Zeitschriften und in einer Vielzahl von Buchpublikationen. Aus einem begleitend zur Ausstellung gehaltenen Vortrag entstand das 1916 erschienene Buch „Kriegspädagogigk“. Es enthält Aufsätze über den Beitrag, den die Schule als Ganzes und die einzelnen Unterrichtsfächer zur Erzeugung von Kriegsbereitschaft und Wehrtüchtigkeit leisten können. Dabei werden auch einzelne Fächer erörtert wie Religion und moderne Sprachen. So sollten etwa Französisch und Englisch als Sprache der „Feinde“ aufgrund einer „ungestüm vorgetragenen Forderung“ von Vätern und Schülern nicht mehr gelehrt werden. Ergebnis nach ausführlicher Erörterung dieses Problems: „Wenn wir also das, was für oder gegen die Erlernung von neueren Fremdsprachen überhaupt gesagt wird, im ganzen abwägen, so werden wir denen zustimmen, die meinen, daß wir die Sprachen zur Beherrschung unserer Feinde brauchen und den Betrieb daher keinesfalls einschränken dürfen.“ Das 51seitige Literaturverzeichnis des Buches enthällt - geordnet nach Unterrichtsfächern - ca. 1.500 Zeitschriftenartikel und Bücher zum Thema „Kriegspädagogik“.

Ungeahnte Wichtigkeit bekamen die spezifischen Unterrichtsfächer für Mädchen: Handarbeit und Haushalt. In der Ausstellung „Schule und Krieg“ wurden so viele „Liebesgaben für unsere tapferen Krieger an der Front“ gezeigt - u.a. Brustschützer mit Pelzeinlagen, gefütterte, wasserdichte Ohrenwärmer, gehäkelte Leibbinden, Pulswärmer mit Daumenschlupf, Schießhandschuhe“, daß im Katalog vermerkt wird: „Es tut einem fast leid, daß hier so vieles aufgestapelt ist, was draußen so gut gebraucht werden könnte, und doch ist es beruhigend zu sehen, wie viele Hände am Werk sind, um unsere Soldaten zu versorgen; denn dies ist doch nur ein verschwindend kleiner Bruchteil dessen, was wirklich hinausgegangen ist.„

Die Lehrerinnen für Hauswirtschaft führten den „Kampf gegen den Aushungerungsplan unserer Feinde“, indem sie im Unterricht den Schülerinnen - zur Weitergabe an deren Mütter - Kriegskochrezepte vermittelten und Flugblätter mit der Devise „Wir können auskommen, wenn wir auskommen wollen“ an ihre Schülerinnen und Schüler verteilten.

Der wesensgemäße Beitrag der Frau

Die in Preußen überwiegend praktizierte unterschiedliche Unterrichtung von Jungen und Mädchen hat Schulforscher Robson so beschrieben: „Die gemeinsame Erziehung der Geschlechter gehört nicht zum Credo der Deutschen. Das mag bis zu einem gewissen Grad auf den dezidierten militärischen Zielen beruhen, die sie konsequent vor Augen haben. Höhere Bildung ist zwar nicht ganz dem stärkeren Geschlecht vorbehalten, aber für das schwächere wird die häusliche Erziehung entschieden vorgezogen. Von jeder jungen Frau erwartet man, daß sie kochen und wirtschaften lernt, so, wie jeder junge Mann ein Gewehr handhaben können und sich auf das im Krieg erforderliche Exerzieren verstehen muß.„

Die Bedeutung der weiblichen Beschränkung auf den privaten Bereich veränderte sich drastisch im Krieg. Die Arbeit von Frauen war kriegswichtig. Der „wesensgemäße“ Beitrag der Frauen zum Krieg wurde vom Staat gefordert, und die meisten Frauen selbst - besonders in der gemäßigten Frauenbewegung haben ihn gerne geleistet. Helene Lange, die Gründerin und Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins, sagte in einem Vortrag vor Lehrerinnen im November 1914: „Je mehr Leben draußen geopfert werden, um so mehr müssen wir helfen, alle Leben daheim zu behüten, zu beschützen und zu pflegen“ und verwies damit auf Komplementarität „weiblichen Tuns“ zum „männlichen Tun“. Während sich die unverhüllten Wünsche der Volksschullehrer auf das Militär und damit auf soziale Anerkennung und Aufstieg richteten, engagierten sich die Lehrerinnen - die überwiegend der gemäßigten Frauenbewegung angehörten oder ihr nahe standen - am Ende des 19. und Anfang dieses Jahrhunderts für mehr „weiblichen Einfluß“ in Schule und Staat. Sie kämpften besonders um die Mädchenbildung und forderten insgesamt, daß die spezifische Kulturleistung der Frau - die „geistige Mütterlichkeit“ auch Eingang in Staat und Gesellschaft finde. Im Krieg erfüllte sich dann ihr Traum von der Gleichberechtigung scheinbar. Denn nun standen die Lehrerinnen nicht nur „ihren Mann“, indem sie Tätigkeiten von Männern, zum Beispiel Ordinate in Knabenklassen, mitübernahmen, sondern vor allem „ihre Frau“. Sie arbeiteten - freiwillig, unentgeltlich und zusätzlich zum Dienst in der Schule - unter anderem in der Verwundetenpflege und der Kinder- und Jugendfürsorge, machten Bahnhofsdienst und betreuten Kriegerwitwen. In der Schule fühlten sie sich in besonderer Weise für die inneren und äußeren Nöte ihrer Schülerinnen und Schüler verantwortlich.

Die Frauen in der radikal-bürgerlichen und in der proletarischen Frauenbewegung dagegen kämpften gegen den Krieg und verweigerten weitgehend, sich für „kriegswichtige Aufgaben“ zur Verfügung zu stellen (Mir ist keine Frau aus diesen Gruppen bekannt, die als Lehrerin während des Krieges in der Schule arbeitete). Der Krieg ist von den meisten Lehrerinnen offensichtlich auch deshalb als etwas „Großes“ begriffen worden, weil er ihnen Anerkennung und Aufwertung brachte; diese Frauen konnte zeigen, „was in ihnen steckte“. Rückblickend berichtet eine Lehrerin über diese Zeit: „Wir waren jung, wollten unserem Vaterland dienen und unsere Kräfte opfern. Leicht war es manchmal nicht. Ich nahm in der Zeit 60 Pfund ab und wurde ziemlich elend. Aber schön war's doch.“

Berlin - Weimar - Berlin

Dieses Zitat ist dem 1936 in Leipzig erschienenen, von Franz Fühnen herausgegebenen Buch entnommen: Lehrer im Krieg. Ein Ehrenbuch deutscher Volksschullehrer. Die Kriegsarbeit deutscher Lehrer in der Heimat. Mit hervorragender Unterstützung der Gliederungen des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, der Lehrerbüchereien, staatlicher und parteiamtlicher Dienststellen und vieler Volksschullehrer sowie im Einvernehmen mit der Reichsamtsleitung des Nationalsozialistischen Lehrerbunds.

Die Beiträge dieses Buches belegen ebenso wie viele andere Quellen, daß auch nach dem Krieg in der Lehrerschaft insgesamt keine kritische Auseinandersetzung mit der Kriegspädagogik stattgefunden hat. Ganz im Gegenteil: Die Verherrlichung von „Heldentum“ und „Opferbereitschaft“ bei den Lehrern blieb unangefochten.

Die Einweihung von Gedenktafeln in den Schulgebäuden für die gefallenen Schüler und Lehrer (die auch heute noch unkommentiert - in vielen Berliner Schulen zu sehen sind) war in den 20er Jahren Anlaß für vaterländische Feiern, auch wenn die offizielle Schulpolitik in der Weimarer Republik sich der Erziehung der Jugend zur republikanischen Staatsgesinnung und Völkerversöhnung verpfichtet fühlte und diese Art von Schulfeiern abgeschafft und statt dessen Schulfeiern am Tag der Verfassung eingeführt hatte. Da jedoch große Teile der Lehrerschaft in ihren Herzen Monarchisten geblieben waren und den alten Idealen von „Vaterland“ und „Größe der Nation“ anhingen, blieb auch ein Gedankengut lebendig, das sich dann weitgehend bruchlos in die faschistische Ideologie einpaßte. Franz Fühnen schreibt im „Ehrenbuch deutscher Volksschulehrer“ zum Ausklang: „Die Hingabe an das Ganze, an das Vaterland, erscheint nun als etwas Selbstverständliches. Die Schule hat nach Kräften dazu beigetragen, daß dieses Bild im hellsten Licht erstrahlte. Vom jüngsten Dorfschulkind bis zum ältesten Stadtlehrer haben sich alle in dem Bewußtsein vereinigt, daß der einzelne nichts bedeutet, sondern dem Ganzen verpflichtet ist. ...Haben wir uns in so hoffnungsarmer Zeit (gemeint ist die Zeit der Weimarer Republik, Ch.H.) nicht immer wieder gefragt, ob denn alles umsonst gewesen sei, unser kämpferisches Einsetzen in Deutschlands Notzeit, die unzähligen Vertretungsstunden, die Sammlungen kriegswichtiger Dinge, die vielen Plagen und Plackereien des täglichen Lebens, die trotz allem gerne ertragen wurden? ...Jetzt wissen wir, daß all unser Tun in Deutschlands schwerster Zeit nicht umsonst war. ...Aus den Kindern, die vor 20 Jahren mit uns Feldpostpakete packten, die Strümpfe, Socken, Magen- und Pulswärmer strickten, die alte Fahrradmäntel, Töpfe, Kannen, Goldmünzen und viele andere Dinge sammelten, sind SA- oder SS-Leute geworden, die im Kampf gegen das Undeutsche und Unwahre ihr Leben in Schanze schlugen - oder junge Soldaten, ...oder Mütter, die uns bereits ihre Erstgeborenen wieder in die Schule schicken. Jetzt ist auch für uns Kriegslehrer eine Zeit der Ernte gekommen; denn nun wissen wir, daß das alles, was unser Leben im Krieg ausfüllte, doch einen Sinn hatte, und daß die von uns gesäte Saat doch einmal Früchte tragen mußte. Es mußte nur einer kommen, der unsere Kriegsarbeit wieder zu Ehren brachte.„

Die Projektgruppe „Lehrer und Krieg“ stellte an den Senator für Kulturelle Angelegenheiten 1984 den Antrag im Rahmen der 750-Jahr-Feier in Berlin ein Ausstellungsprojekt „Lehrer und Krieg. Kriegspädagogik und Friedenspädagogik in Berlin von 1813 bis 1987“ zu ermöglichen. Der Ablehnungsbescheid enthielt das Protokoll der Stellungnahmen aus dem Haus der Senatorin für Schulwesen, Berufsausbildung und Sport, Frau Dr. Hanna-Renate Laurien (CDU): „Alle Gesprächsteilnehmer waren sich darin einig, daß die Gesamtthematik schwer beschreibbar erscheint, insbesondere die Begriffe 'Kriegspädagogik - Friedenspädagogik‘ wissenschaftlich völlig ungebräuchlich sind. Das Projekt enthalte grundsätzlich keine Bezüge zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin.“

Christine Holzkamp

Ein Teil der Arbeitsergebnisse der Arbeitsgruppe „Lehrer und Krieg“ ist veröffentlicht:

Arbeitsgruppe „Lehrer und Krieg. Lehrer helfen siegen. Kriegspädagogik im Kaiserreich mit Beiträgen zur NS -Kriegspädagogik.“ Edition Diesterweg Hochschule, Heft 2, Berlin 1987.

Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe, auf die sich im übrigen auch der vorliegende Aufsatz stützt, sind außerdem in die Ausstellung der Geschichtswerkstatt mit eingeflossen: „Das Augusterlebnis 1914. Hurra, endlich Krieg.“ Im Künstlerhaus Bethanien noch bis 22. Oktober.

Zur „Schulhygiene“ im Kaiserreich vgl. auch: Ullrich Beudele, „Krieg, Kopf und Körper - Lernen für das Leben, Erziehung zum Tod.“ Frankfurt, Berlin, Wien, 1989.

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