Ausländerwahlrecht - jetzt erst recht!

■ Interview mit Hans-Christian Ströbele (AL) / Ausländerwahlrecht unverzichtbares Essential für die AL / Gesetzentwurf wird notfalls auch ohne SPD-Zustimmung eingebracht / Keine Angst vor der Gegenkampagne von CDU und REPs / Wahlrecht als Mittel gegen die Ausländerfeindlichkeit

taz: Willst du die Koalition in Frage stellen, wenn der Gesetzentwurf zum Ausländerwahlrecht jetzt nicht eingebracht wird?

Ströbele: Es wird sicher nie so sein, daß wegen einer Einzelfrage die Koalition zu Ende ist. Aber das AusländerInnenwahlrecht jetzt einzubringen ist für mich, und ich glaube auch für den ganz überwiegenden Teil der AL, ein wichtiges Essential. Das ist vergleichbar mit der Bedeutung der Übernahme der Bundesgesetze für die SPD. In den Koalitionsvereinbarungen ist die sofortige Einbringung des AusländerInnenwahlrechts festgelegt worden. Das ist nicht veränderbar. Wenn man das AusländerInnenwahlrecht rechtzeitig zu den nächsten Wahlen einführen will, muß man den Gesetzentwurf jetzt einbringen.

Nach allen Umfrageergebnissen stößt das Ausländerwahlrecht in der Bevölkerung auf breite Ablehnung.

Das AusländerInnenwahlrecht muß eingeführt werden aus Vernunftsgründen, auch wenn die Mehrheit in der Bevölkerung dafür im Moment nicht da ist. In den Niederlanden gibt es die Erfahrung, daß, wenn das Wahlrecht erst praktiziert wird, sich sehr schnell eine große Mehrheit damit anfreundet, weil sie einfach sieht, daß die Befürchtungen unbegründet sind und weil es tatsächlich aus den Ausländern ein bißchen mehr gleichberechtigte Bürger macht.

Daß die Mehrheiten für das AusländerInnenwahlrecht nicht da sind, wußten wir auch, als wir es in die Koalitionsvereinbarungen geschrieben haben. Das AusländerInnenwahlrecht ist die Grundlage dafür, daß sich die Ausländerpolitik insgesamt ändert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die CDU mit ihrer ausländerfeindlichen Politik fortfahren kann, wenn sie weiß, bei den nächsten Wahlen entscheiden die AusländerInnen mit, wer etwa Bürgermeister in Kreuzberg, Schöneberg oder Charlottenburg wird.

Sobald ihr den Gesetzentwurf über das Ausländerwahlrecht einbringt, werden „Republikaner“ und CDU eine Kampagne starten, die die Ausländerfeindlichkeit in Berlin noch stärken könnte.

Die Diskussion über ein so minimales Recht wie das Wahlrecht für die Bezirksversammlungen kann nur positiv sein. Wir können sogar der CDU dankbar sein, wenn sie die Diskussion darüber eröffnet. Ich glaube, daß gerade jetzt dieses Schweigen eher die Akzeptanz immer weiter senkt.

Beim Flüchtlingserlaß ist es euch doch auch nicht gelungen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß nun nicht - wie das öffentlich diskutiert wurde - alle ausländischen Straftäter und Drogenhändler ein Bleiberecht in Berlin bekommen.

Ich bin nicht Mitglied des Senats. Ich teile die Kritik an vielen, sehr wichtigen Punkten. Da ist die Geschichte mit der Reduzierung der Flüge die genauso wie die Flüchtlingsweisung einfach ganz, ganz schlecht verkauft und der Bevölkerung nicht nahe gebracht worden sind. Und wenn, dann mit so einer zaudernden Haltung, daß man bei vielen Senatsvertretern den Eindruck haben konnte, die sind selber gar nicht so richtig dafür. Dann kann man nicht erwarten, daß das in der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen wird.

Eure Eile bei der Durchsetzung des Ausländerwahlrechts sieht danach aus, daß die AL nach den Schlappen HMI, Stromtrasse und Deutsches Historisches Museum sagt: nun lassen wir uns nicht noch mal über den Tisch ziehen.

Da ist etwas Richtiges dran. Man schluckt immer wieder Kröten, weil man sagt, daß man damit etwas anderes durchsetzen kann, das einem sehr wichtig ist. Und das AusländerInnenwahlrecht ist eigentlich der unbestrittenste Teil der ganzen Koalitionsvereinbarung. Da haben wir keinen Moment darüber streiten müssen. Deshalb ist es völlig absurd, das jetzt zur Disposition zu stellen. Es wäre wirklich die Aufgabe des demokratischen Grundverständnisses der AL, wenn wir das nicht verwirklichen würden und es eine Wahl in Berlin gäbe, bei der AusländerInnen wieder nicht mitwählen dürften.

Wenn die Koalition hält, dann gibt es so schnell keine Kommunalwahlen. Warum dann diese Eile ?

Weil die Zeit nicht günstiger wird. Nächstes Jahr wird mindestens ein halbes Jahr Bundestagswahlkampf sein und keiner wird erwarten, daß die SPD dann besonders freudig an so ein Thema herangeht. Und dann sind schon wieder Berliner Wahlen in Sicht. Hinzu kommt, daß das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich im kommenden Jahr eine Grundsatzentscheidung zu diesem Thema treffen wird, bezüglich der ich nicht besonders optimistisch bin. Ich befürchte, daß dann die Durchsetzung des AusländerInnenwahlrechts auch nicht einfacher wird als jetzt. Ich gehe deshalb davon aus, daß die AL-Fraktion im Oktober den Gesetzentwurf einbringt.

Ist es nicht völlig absurd, daß SPD und AL sich jetzt übers Ausländerwahlrecht in die Haare kriegen, obwohl die Berliner Hauptprobleme im Moment Wohnungsnot und Übersiedler sein dürften?

Gerade wenn Berlin voller und die Wohnungsproblematik aktueller wird, ist es wichtig zu zeigen, daß darunter die AusländerInnen in der Stadt nicht leiden müssen, sondern daß gleichzeitig eine Verbesserung ihrer Rechte erreicht wird. Es ist doch eine große Gefahr, daß die Problematik, die durch Übersiedler jetzt entsteht, damit bewältigt werden soll, daß die Aggressionen auf Ausländer und Flüchtlinge abgelenkt werden. Das kann man unter anderem dadurch verhindern, daß man gerade in so einer Situation ein Signal setzt, und den AusländerInnen ein bißchen mehr Einfluß auf die Politik gibt. Es wäre falsch, jetzt darüber überhaupt nicht zu reden, denn das Thema wird mit Sicherheit von der CDU und den „Republikanern“ aufgebracht werden. Die sagen, ihr müßt die Übersiedlerfrage zu Lasten der Ausländer lösen.

Und wie willst du dieses Signal zusammen mit einer SPD setzen, die das Ausländerwahlrecht nicht mehr mitträgt?

Ich glaube immer noch, daß die SPD hinter dem Ausländerwahlrecht steht, daß sie eben nur falsche Rücksichten nimmt. Wir erleben so eine Art Sozialdemokratisierung der Koalitionspolitik, auch in anderen Bereichen. Vor lauter Rücksichtnahme auf alle möglichen Interessen im eigenen Klientel trauen sie sich nichts mehr, haben Angst vor der eigenen Courage. Das können wir nicht mitmachen. Wir sind auch nicht dazu da, uns immer nur den Kopf der SPD zu zerbrechen.

Wird die AL sich durchsetzen?

Ja. Ich gehe davon aus, daß die SPD merkt, daß es uns ernst ist und dann mitzieht.

Interview: Myriam Moderow