Philosophin um 1900

Unter der Diagnose „Größenwahn“ wurde sie 1891 in die Psychiatrie eingeliefert: Helene von Druskowitz, die zweite Frau, die in Zürich in Philosophie promovierte. Dort schrieb sie ihre grausam-komische Abhandlung wider das „Affengeschlecht“ der Männer Böse Ironie des „Falls“ Druskowitz: Nur daß sie Nietzsche-Schülerin war, bewahrte sie vor dem gänzlichen Vergessen  ■  Von Ute Holl

Frauenforscherinnen haben es zuallererst mit Archiven zu tun, mit Rekonstruktionen und Stimmen aus dem Off, um die Geschichte derer zu schreiben, die aus der Wissenschaft beseitigt wurden. Wenn das regelrechte Verwischen von Spuren geschieht, wird Geschichtsschreibung und Biographik durch Genealogie ersetzt werden müssen: Die Geschichte von Instanzen und Institutionen und Schreibern, die Frauen - und Männer - gemacht oder aber vernichtet haben. Perfide an der Geschichte der Helene von Druskowitz ist nicht nur, wie systematisch das in ihrem Falle geschah. Sie selbst hatte die Lage offenbar beizeiten erkannt und in ihren Texten über die Notwendigkeit einer weiblichen Genealogie geschrieben.

Helene von Druskowitz gehört zu den ersten Frauen, die im 19.Jahrhundert ein Studium an der Universität aufnahmen und war die zweite Frau überhaupt, die in Philosophie promovierte. Ihr Eifer endete bald in der Erkenntnis, daß die Alma Mater und das Wissen, das sie weitergibt, nicht geschlechtsneutral sind. Druskowitz wollte die Differenz der Geschlechter in ihr Denken aufnehmen, bekam dann aber zu spüren, daß sie damit an den Grundfesten der Philosophie, des herrschenden Wissens rührte. Für die Versuche, jenseits der Moral, Gottes, des Allgemeinen zu philosophieren, gar noch in technischen Medien und halluzinatorischen Wahrnehmungen ein transzendentales Prinzip zu entdecken, gab es um 1900 nur die Diagnose Wahnsinn.

Die fulminanteste Schrift aus dieser Zeit, ihre Pessimistischen Kardinalssätze - Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt hat der Kore-Verlag wiederveröffentlicht. Das Manuskript, das wahrscheinlich 1903 zum ersten Mal publiziert wurde, schrieb Helene von Druskowitz bereits in der Psychiatrie, in die sie 1891 zwangseingeliefert wurde und in der sie bis zu ihrem Tode insgesamt 27 Jahre eingesperrt war. Für die offizielle Wissenschaft ist sie seit 1893 „verschollen oder tot“. Ein Fräulein Doktor um 1900

Ihre pessimistischen Kardinalssätze sind Theologie, Ethik, Geschichtsphilosophie und feministisches Manifest zugleich. Es sind in jeder Hinsicht anstößige Thesen: „Die gesamte Historie ist mit wenigen Ausnahmen 'Männergeschichte‘ und deshalb roh bis zum Äußersten und ein schlechtes Vorbild.“

Daß Helene von Druskowitz nicht einfach engagierte Frauenrechtlerin blieb, nicht nur die Männerwelt, sondern „den Mann“ auf allen Ebenen attackierte, bezahlte sie mit ihrer Internierung. Und mit der Streichung aus der Geschichte. Nicht einmal im Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945 wird sie erwähnt. Ihr Werk umfaßt unter anderem: Philosophische Aufsätze, Essays über Byron, Swinburn, Koanna Baillie, Elisabeth Barrett-Browning, George Eliot, Shelley, Nietzsche, Dühring; ein Trauerspiel, Lustspiele, Dramen, feministische und historische Studien, Gedichte... Obwohl bibliographische Nachweise existieren, ist noch vieles nicht gefunden.

Ihre Biographie läßt sich vage auf dem Umweg über „große Männer“ ihrer Zeit und aus Briefen ihrer Schriftstellerkolleginnen, vor allem Louise von Fran?ois und Marie von Ebner-Eschenbach, rekonstruieren. Nicht allein damit steht ihre Biographie, die nur aus Textresten, Vereinnahmungen und Spekulationen nachvollzogen werden kann, an einer Schwelle.

Am 2.Mai 1856 wurde sie in Hiertzing bei Wien geboren, legte 1873 die Reifeprüfung am Musikkonservatorium in Wien und ein Jahr später, mit 16 Jahren, die Matura am Pianistengymnasium ab. Von 1874 bis 1878 studierte sie in Zürich, wo sie mit ihrer Mutter lebte, Philosophie, klassische Philologie, Archäologie, Orientalistik, Germanistik und moderne Sprachen. 1879 promovierte sie über Byrons Don Juan. Sie hielt Vorlesungen unter anderem in Wien, München, Zürich, Basel und bereiste Frankreich, Italien, Nordafrika. Sie verkehrte in Philosophen- und Literatenkreisen mit C.F. Meyer, Betty Paoli, Marie von Ebner-Eschenbach, Louise Fran?ois, Rilke, Meta von Salis, Resa Schirnhofer, Paul Ree, Lou-Andrea Salome.

Ihre Beziehung zu Friedrich Nietzsche, zuerst als Studentin und Verehrerin seiner Schriften, dann als Kritikerin seiner Philosophie, hat sie - Ironie des Frauenschicksals und männlicher Geistesgeschichte - wahrscheinlich vor dem gänzlichen Vergessenwerden gerettet. Bis heute allerdings verzeihen ihr Nietzsche-Biographen, zu deren Erstaunen sie sich „mit fast allen Werken vertraut“ zeigt, nicht, daß sie dem Meister untreu wurde, zumal er sie anfangs „seinen“ anderen „Zürcher Mädchen“ vorzog.

“...merkwürdig verschroben“ findet sie der Nietzsche -Biograph Curt Paul Janz, „ihre maßlosen Angriffe auf die Männerwelt kann man nur noch mit Kopfschütteln und Lachen lesen“. Sie habe eine „hektische Tätigkeit“ entwickelt, und so „verrannte (sie) sich schließlich in Probleme der Mystik und starb in geistiger Umnachtung“. Ein Nietzsche-Forscher muß es ja wissen: Wichtig vor allem ist, die Grenze zwischen Philosophie und Wahnsinn fein säuberlich zu markieren. Die Ruthe des Mannes

Ihre Freunde und Zeitgenossen hatten allerdings nicht anders reagiert. „Auch sollte sie einmal aufhören, den Prof. Nietzsche öffentlich zu züchtigen, ihm die Ruthe zu geben. Man wird noch sagen, die hätte ihn gern geheiratet“, schreibt C.F. Meyer am 15.10.1888 an Louise Fran?ois.

Das alles klingt etwas überzogen vor dem Hintergrund ihrer Untersuchung von 1887 Wie ist Verantwortung und Zurechnung ohne Annahme der Willensfreiheit möglich?, in der sie eher brav verschiedene ethische Ansätze des 19.Jahrhunderts kritisiert, um ihre eigene These individueller sozialer Verantwortlichkeit zu entwickeln. Erst beim zweiten Lesen wird deutlich, daß um 1900 eine Frau als Philosophin an sich das Skandalon darstellte, eine Unmöglichkeit. Die „Ruthe“ gehörte in die Hand des Mannes. Selbst für emanzipierte Frauen, wie die freie Schriftstellerin Louise von Fran?ois eine war, waren gewisse Gedanken nichts für weibliche Wesen, denen im übrigen nach wie vor von einem Punkte her zu helfen war: „Übrigens hat mir Frl. Doktor kürzlich geschrieben... Sie haben recht, es ist ein braves tapferes Mädchen und ihre Stellung zur Gesellschaft, präciser ausgedrückt, die Existenzfrage, eher zweifelhaft. Noch gilt in Deutschland das Schillersche Frauenideal und, vom Standpunkt des Geschlechts Numero Eins aus betrachtet, gewiß mit Recht. (...) Will unsere 'Deutsche mit den breiten türkischen Schläfen‘ auf literarische Tätigkeit ihre Zukunft bauen, muß sie sich zunächst des eingesogenen sterilen Pessimismus zu entledigen suchen oder mindestens ihn in Isolierhaft halten. Kein Mysterium sollte ziementlicherweise so im Geheimen gehegt werden wie das Nirwana. In unserem Falle ist es noch die Erfahrung eines wissensdurstigen, unschuldigen Kindes. Ein tüchtiger, kluger Mann, ich meine ein Ehemann, würde dem von Natur fröhlichen Herzen rasch eine gedeihlichere eintreiben...“ (an C.F. Meyer 16.10.1881). Das Nirwana muß geheim bleiben: Was vor aller Philosophie liegt und daß es nicht Nichts ist, muß geheim bleiben; daß der Philosophie und der Literatur ein Gewaltverhältnis zwischen Geschlecht Numero Eins und Geschlecht Numero Zwei zugrundeliegt, muß verschwiegen werden, wenn eine Frau mitmachen will im Betrieb. Sie soll Schreibkraft des Mannes bleiben.

Die Druskowitz, das Fräulein Doktor, ein Mädchen mit sterilen Gedanken. Keine richtige Frau, kein Mann. Vom Schrecken dieses unmöglichen Zustandes handeln ihre Kardinalssätze auch. Von der fürchterlichen Fremdheit in einer Welt, die Männer zu ihrem Gebrauch eingerichtet haben. Die Affengeschichte

„Die Anmaßung, mit welcher sich der Nachkomme des Affen an die Spitze der Welt gestellt und der Mehrzahl der Dinge den Stempel seiner Natur aufgedrückt hat, muß mit Entrüstung erfüllen.“ Weil sie Philosophie, Philologie, Orientalistik das Denken der Männer studiert hatte, konnte sie diese Ausgestoßenheit als gesellschaftlich produzierte begreifen. Die „sog. Menschheitsgeschichte“, von Männern geschrieben, braucht - schon gar nicht von Frauen - als Wahrheit akzeptiert zu werden, weil sie sich selber ad absurdum geführt hat: „Infolge einer wahrhaft göttlichen Ironie des Schicksals ist es gelungen, ihn so zu stellen, daß er auf dem Höhepunkt der Bildung befindlich sich selbst für einen Affensprößling hält. (...) Nun ist das gesamte Leben zur Affentragödie des Mannes geworden.“

In den Kardinalssätzen fordert Helene von Druskowitz Frauen deshalb auf, ihre eigene Genealogie in die Geschichte zu schreiben, sich selbst in einer gegen den Strich gelesenen Männergeschichte neu zu begründen, und zwar so radikal, daß die Beziehung zum Mann, zu seinem ihm ähnlich gedachten „armer Stümper„-Gott ebenso weit hergeholt erscheint, wie zu jedem anderen Lebewesen.

Gerade um ihre eigene Wahrnehmung, daß die männliche Selbstbehauptung als im doppelten Sinne „Primat“ der Geschichte pervers ist, vor der vorschnellen Pathologisierung zu retten und einsichtig zu machen, fordert sie zur Respektlosigkeit aller männlichen Philosophie gegenüber auf - willkürlich: „Glaubt, daß ihr auf andere, höhere Naturwesen zurückführt und mit den Männern nur äußerlich verbunden waret!“ In den Kardinalssätzen heißt es:

„4. Der Mann ist ein Zwischenglied zwischen Mensch und Tier, denn er ist eine Spottgeburt und als solche derart zynisch und lächerlich ausgestattet, so daß er weder das eine noch das andere in voller Wirklichkeit sein kann. 5. Die Natur hat den Mann durch übermäßig auffallende Entwicklung seiner Genitalien eine Schlappe, ein Brandmal ohnegleichen aufgedrückt. 6. Die in der gesamten organischen Welt von seiten des männlichen Geschlechts behauptete Superiorität der sexuellen Form ist bei dem Mann in doppelter Beziehung: 1. in Hinsicht auf den schönen Teil der Tierwelt, 2. auf seine weibliche Gefährtin total abhanden gekommen.“ Aber der physiologische Unsinn des Mannes macht seine Macht. „Er ist der einzige, der sein Weib schlägt und in raffiniertester Weise martert, fremde Frauen verfolgt und zu Sklavinnen seiner skandalösen geschlechtlichen Ausstattung macht.“

Welche Erfahrungen des „unschuldigen Kindes“ hinter diesen Sätzen stecken, kann durchaus vermutet werden. Daß Helene von Druskowitz sie in die Philosophie einschleppte, machte sie zum Fall für Irrenärzte.

Ihrer Abrechnung mit der Männerwelt folgt der Entwurf einer separaten Welt der Frauen.

“...So muß die Frauenwelt eben nur gereinigt, durch eine freie Berufswahl ermutigt und durch Teilung der Städte nach Geschlechtern, durch Beschränkung der Anzahl der Heiraten, die schließlich eine Eliminierung der Ehe herbeiführen wird, separiert werden.“ Als Gegnerin „der blinden und blöden Volksvermehrung und der Eheschließungen“ fordert sie Frauen auf, den Beweis zu liefern, „daß euch das Ende eures Geschlechts dem Fortleben desselben in Sünde und Schmach, in Geistesschwäche und totaler Abgestumpftheit der Sinne und des Geschmacks bevorzugenswert erscheint.“

In der Logik ihrer Kardinalssätze bleibt die Trennung der Geschlechter die einzig mögliche Weise der Emanzipation. Falls sich diese Utopie nicht realisieren läßt, so bleibt den Frauen, weil sie sich unmöglich in das Weitermachen der Affengesellschaften fügen können, nur noch „als Führerinnen in den Tod (zu) erscheinen“. Die Texte Helene von Druskowitz‘ sind komisch, aber beim genauen Lesen schlagen sie um (sich). Das heißt, hier ist genau nicht vom Todestrieb die Rede. Wenn Druskowitz von einem feministischen „Endesende“ schreibt, das „sodann Ideal werden und an Stelle eines Ideals ohne Ziel und Ende treten“ wird, ist es nicht ein Tod, der lockt, sondern ein Schnitt ins Leben: es soll die ewige Wiederholung, das Weitermachen des Immergleichen unterbrechen.

Vor allen „realpolitischen“ Maximen im letzten Teil der Kardinalssätze („Fordert mit Energie, daß der einseitig und ewig unbillig richtende Männerstaat zu bestehen aufhöre und alle Regierungs- und Verwaltungsgebiete auch von Frauen oder auf deren Anordnung besorgt werden. (...) Wisset, daß, wo weibliche Angelegenheiten oder Fälle zur Erörterung kommen, Frauen nicht mitberaten sollen, sondern die erste Stimme, das Primat bzw. die Entscheidung besitzen.“) geht es um Leben und Tod. Druskowitz trägt die Differenzen neu in die Topographie der Wissenschaften ein: Ist das Weibliche ausgeschlossen, aus Zeichen, Wissen und Geschichte, so wird feministische Utopie im Jenseits gedacht werden müssen. In der Vielfalt der Wahrnehmungen und Kanäle dem Prinzip des Einen gegenüber, im Atheismus oder weiblichen Priestertum einem „erbärmlichen männlichen Machwerk“ Gott gegenüber, der lediglich die Beschränkung der Frauen zu legitimieren hatte. Im Pessimismus, um dem optimistischen Fortfahren der katastrophalen Männergeschichte Einhalt zu gebieten, die Kriegsführung und Überleben zugleich plant. Diagnose: Größenwahn

Auf 77 Seiten sind die Kardinalssätze ein Abriß, der Geistes- und Naturgeschichte als Willen zur Macht der Männer interpretiert. Paranoisch-genau entdeckt Druskowitz überall den Diskurs des Affensprößlings und überführt ihn seiner Abstammung. Und - ihre Kritik des „bocksbeuteltragenden Geschlechts“ ist wahnsinnig komisch. „Komische Grausamkeit“ findet C.F. Meyer. Ein Gelächter aus der Irrenanstalt, daß schon andere Instanzen von ihrer Position geworfen hat. Kein Ort dafür in der deutschen „Trauer und Wut„ -Frauengeschichte, die sich pädagogischere und frommere Helenen zu intellektuellen Müttern suchte.

Druskowitz wurde einmütig zur Wahnsinnigen gestempelt. Die ärztliche Diagnose: Größenwahn. Louise Fran?ois: „Der Anlaß dazu (zu ihrer Einweisung) wurde in dem einmütigen - leider berechtigten! - Ablehnen ihrer theatralischen Versuche, die sie selber als Meisterwerke ansah, gesucht. Nach meinem Dafürhalten wol (sic) mehr noch in gänzlicher Mittellosigkeit.“ (19.11.1891). Wer von ihren Freundin -Kolleginnen hat den Aufenthalt im Irrenhaus finanziert, einverstanden damit, daß auch in der Literatur nicht jede machen kann, was sie will?

Fortan lasen nur noch Psychiater ihre Schriften, die wahrscheinlich von Philosophie, Philologie, Orientalistik usw. keine Ahnung hatten.

„Patientin ist in der Kolonie in Verpflegung, schläft aber auf eigenen Wunsch auf Pavillon II. Leidet viel unter schreckhaften, namentlich nächtlichen Halluzinationen, welche sie sich und anderen 'metaphysisch‘ zu erklären sucht“. (Anstaltsprotokoll 5.IX.1904)

„In ihrem Benehmen vollkommen unverändert, raucht Tabak aus Stummelpfeifen, findet sich fleißig, siedet sich Tee, verfaßt Gedichte zum Lobe des Alkohols, schreibt unleserlich philosophisch konfuse Abhandlungen und Dramen, schickt androphobe Satyren an Frauenzeitungen, fühlt sich auf der Höhe ihres literarischen Schaffens...“ (Protokoll vom 1.IX.1905)

Ausfällig und abfällig wie sie sind, müßten Helene von Druskowitz‘ Texte vor dem Hintergrund zeitgenössischer Philosophie, zeitgenössischer feministischer Texte gelesen werden, um zu ermessen, gegen wen und was sich die ganze Polemik richtet. Womöglich gegen ihre Richter: der Allianz aus Philosophie und Medizin. Als Frauenforscherinnen müssen wir anfangen, Irrenanstaltsprotokolle lesen zu lernen. Das Grauenhafte am „Fall“ Helene von Druskowitz ist nicht zuletzt, daß sie - als Wissenschaftlerin und Nietzsche -Leserin - wußte, was an ihr ver-anstaltet wird: Eine neue Kunst des Strafens von Häretikerinnen.

Helene von Druskowitz: Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt. Pessimistische Kardinalssätze, Kore-Verlag, Freiburg 1988