IAA präsentiert Dinosaurier der Zukunft

■ Die Frankfurter Autoshow - Spielzeugmesse oder Kirchentag einer fanatisierten Glaubensgemeinschaft

Heute werden die Tore der „Internationale Automobil -Ausstellung“ in Frankfurt für die gemeinen Massen geöffnet. Der Riesenandrang ist vorprogrammiert, die sachliche Auseinandersetzung um das Fortbewegungsmittel der Zukunft verschwindet hinter dem Drang nach steigenden PS-Zahlen und blitzendem Chrom. Die Antwort der Industrie auf den „Umweltzerstörer Nummer eins“ sind Dreiwege-Katalysatoren, die für das Gütesiegel Umweltverträglich sorgen sollen. Eine Demagogie ohne gleichen, die deutlich macht, daß das Auto der Zukunft in Frankfurt nicht zu sehen ist.

Wenn Wirtschaftsminister Haussmann recht hat, sieht es um die Zukunft des Autos finster aus: „Die Zukunft des Autos wird von einer überzeugenden Weiterentwicklung des Kraftfahrzeugs zu einem umweltverträglichen Verkehrsmittel abhängen“, betonte der „begeisterte Autofahrer“ Haussmann in seiner Eröffnungsrede zur 53. IAA. In den riesigen Hallen des Frankfurter Messegeländes jedoch ist von dieser Weiterentwicklung kaum etwas zu entdecken. Geschweige denn etwas Überzeugendes. Der Trend dieser Autoausstellung läßt sich vielmehr auf einen Blick erkennen: Man muß nur, wie als kleiner Bub, mal kurz gucken, „was er auf'm Tacho hat“. Zukunft

aus dem Kitschroman

Bei Audi, Mercedes und BMW sind das mittlerweile 280 Sachen, bei den anderen Groß-Limousinen und Coupes wird es kaum weniger sein - doch selbst solch ein simpler Schnelltest läßt sich in dem Gedränge um die Top-Modelle nicht ohne weiteres bewerkstelligen. Um einen Blick auf den 1.000-PS -Ferrari zu erhaschen, setzen Endzwanziger im Turbo-Outfit schon mal die Ellenbogen ein, ein Greis will die lederbezogene 200-Kilowatt-Potenz eines BMW-Coupes nicht verlassen, obwohl sich schon eine Schlange von Probesitzern gebildet hat, und wenn am neuen Mercedes-Cabrio das Faltdach wie von Geisterhand wegklappt und in der Karosse verschwindet, geht ein begeistertes Strahlen über die Gesichter von Jung und Alt.

Wo sich in den Pkw-Hallen 8 und 9 Trauben von Männern bilden (Frauen sind, abgesehen von prospektverteilenden Hostessen, kaum zu sehen), steht mit Sicherheit dergleichen Schnickschnack: ein Doppel-Turbo, Allrad-Coupe oder Silberpfeil zum Preis eines Einfamilienhauses. Und wenn ein Hersteller zufällig kein neu gestyltes 300 PS-Geschoß im Programm hat, dann lockt er mit dem Siegerauto der Paris -Dakkar-Rallye, einem Formel-Eins-Rennwagen oder einem „Concept-Car“, Vehikel, wie sie die Titelblätter früher Perry-Rhodan-Hefte zierten und die einzig durch ihr futuristisches Design zwischen Mondfahrzeug und Auto-Scooter auffallen - Informationen über das Zukunftsauto gibt es nicht. Es scheint also, daß auch im Automobilbau die Zukunft so kommt, wie sie offenbar kommen muß: wie im billigen Kitschroman.

Eine „sachliche Diskussion“, wie sie die Präsidentin des „Verbandes der Automobilindustrie“ Emmerich in ihrer Eröffnungsrede forderte - „Das Schüren der Ängste muß aufhören und einer sachlichen Diskussion weichen. Das gilt vor allem in der Umweltpolitik“ -, eine solche rationale Diskussion läßt sich nach einem Rundgang durch die Ausstellung schwerlich führen. Im Gegenteil, was auf dieser Motor-Schau (Motto: „Technik für den Menschen“) gezeigt wird, und wie das Publikum darauf reagiert, das ist in so hohem Maß irrational, daß man sich dauernd fragt: Ist dies nun der Kirchentag einer fanatisierten Sekte, die um ihren Fetisch tanzt, oder handelt es sich um die internationale Messe für Männerspielwaren?

Kirchentag einer fanatisierten Sekte?

Ein Japaner legt sich auf den Bauch, um die Alufelge des neuen Porsche Carrera zu fotografieren, zwei indisch aussehende Männer notieren in winziger Schrift die Reifengrößen der Ausstellungsstücke, Hilfskräfte sind permanent mit Spray und Lappen unterwegs, um Fingerabdrücke von Lack und Scheiben wegzuwienern. „Hot der a an Ehrbeck?“ fragt ein Mann in Lederhosen am Audi-Stand, um nach der Auskunft, daß der Prallsack für die Fahrer-Birne zum Inventar gehört, befriedigt zu lächeln. Zwei schnöselige Österreicher streiten sich vor dem neuen Nissan 300 ZX Turbo: „Na, der gfolt mir net, da setz i mi net eini.“ Nicht einmal zur Probe. Dafür schaut er sich aber wenigstens die Video-Werbung für „Super-HICAS“ an, eine ausgetüftelte, natürlich „High-Tech„-Radaufhängung, die höhere Geschwindigkeit in Kurven ermöglicht.

Spricht die kindliche Begeisterung, mit der die Werbespots auf den Videowänden von den Besuchern dankbar wahrgenommen werden, doch eher für die Vermutung, hier findet eine Spielzeugmesse statt, so läßt die erste Etage in Halle 9 dann doch nur noch den Schluß zu, hier wird das Ritual einer abgedrehten Glaubensgemeinschaft zelebriert: zu besichtigen sind die Hardliner des Gewerbes, Styling-, Tuning- und Frisier-Experten, die aus einem 100.000 Mark teuren Serien -Mercedes für weitere 170.000 ein exklusives Mordgeschoß in fußgestampfter Luxus-Leder-Ausstattung zaubern - die Fundamentalisten der PS-Branche, die die Fahrwerke so tief legen, daß keine Maus mehr unten durch paßt. Geschweige denn ein Schild mit Tempo 100.

Keine Technik für den kleinen Manta- oder GTI-Menschen, sondern für die oberen 10.000 dieser speedverseuchten Spezies - und doch werden sich, wenn ab heute nach zwei Fachpublikumstagen die Messe fürs große Publikum geöffnet wird, die juvenilen Heckschürzen- und Spoiler-Massen im ersten Stock tummeln, während eine Etage tiefer impotenzbedrohte Senioren mit dem Gedanken liebäugeln, die Hälfte der eben ausgezahlten Lebensversicherung für ein rotes BMW-Coupe rauszuschmeißen. Das heißt, für „Technik“, „Qualität“, „Leistungsreserve“, „aktive Sicherheit“, „Überlegenheit“, „souveräne Eleganz“ usw. das Sparkonto abzuräumen.

Dinosaurier von morgen

Nicht weit vom Frankfurter Messegelände liegt das Senckenberg-Naturkunde-Museum mit den Skeletten vorzeitlicher Dinosaurier - hier findet sich vielleicht eine Erklärung für die hochgradige Verrücktheit der Automobilisten. Denn anders als „saurierhaft“ läßt sich nicht beschreiben, was bei dieser IAA vorgeht.

Zwischen den Hallen sendet der Hessische Rundfunk live sein Stauradio - Frankfurt ist im Umkreis von 50 Kilometern total verstopft. Auf einer Autobahnkarte zeigen blinkende Lämpchen die Staus an - die Besucher bleiben lächelnd stehen, der Moderator kündigt an: „In dieser Stunde werden wir unter anderem der Frage nachgehen: 'Stehen Sie gern im Stau?‘ und 'Was machen Sie, wenn sie im Stau stehen?‘ Aber jetzt erst einmal Musik...“ - Die Besucher eilen weiter, den nächsten 30-Ventil-Einspritzer, Spitze 213 Stundenkilometer, zu begutachten.

Daß derlei Paradoxie hier niemandem aufzufallen scheint und das Ganze als „sachlich“, „rational“, „innovativ“, „zukunftsträchtig“ gefeiert werden kann, verdankt sich einem Zauberwort: Katalysator. Dieser Filter, der ein paar giftige Partikel absorbiert und „nur“ noch Kohlendioxid durch den Auspuff bläßt, ist, was seine PR-Wirkung betrifft, ein wahres Wunder. Auto plus Kat gleich Umweltverträglichkeit lautet die demagogische Kurzformel, mit der die Hochleistungsbenzinkutschen ins ökologische Gleichgewicht des 21. Jahrhunderts gehievt werden sollen - kaum ein Hersteller, der nicht mit einem grünen Band die hervorragende Naturnähe seiner Produkte suggeriert, kein Offizieller, der nicht die steigende Kat-Zahl als vorbildliche Umweltfreundlichkeit rühmt.

Daß auch Kat-Autos lärmen und nerven, Ressourcen vergeuden, Energie verschwenden, Städte unbewohnbar machen und 1988 in der BRD 450.000 Menschen friedhofs- oder krankenhausreif fuhren - von diesen simplen Fakten ist auf der IAA allenfalls am Rande die Rede. Und wenn, dann ist gleich ein ADAC-Kardinal zur Stelle, um zu erklären, daß, wer das Auto verteufelt, der Marktwirtschaft, der freiheitlichen Ordnung und dem Rechtsstaat insgesamt ans Eingemachte geht.

Und doch scheint der Ketzer recht zu haben, der auf dem Fußweg vom Messegelände zum Bahnhof - entlang der achtspurig verstopften Theodor-Heuss-Allee - ein IAA-Plakat verfremdet hat: „Technik würgt den Menschen“.

Mathias Bröckers