DIE MACHT IN DEN MAUERN

■ John Hillcoats Gefängnisfilm „Ghosts of the Civil Dead“

Das Central Industrial Prison liegt irgendwo in der australischen Wüste. Ein Hochsicherheitsgefängnis mitten im Nirgendwo. Central Industrial Prison - dieser Name sagt alles. Kalte Mauern, kahle Gänge, Flughafenatmosphäre, ein sanftes Gongen und eine schmeichelnde Frauenstimme kündigt das Löschen der Beleuchtung an. Die Neonröhren flackern noch einmal kurz auf. Dunkelheit. Aber die Kälte bleibt.

Wenzil (Dave Field) wird eingeliefert. Welches Verbrechen ihn ins Central Industrial gebracht hat, erfährt man nicht. Er steht zwischen den Beamten, sein Name und seine Insassennummer leuchten unter seinem Kopf auf. Er wird fotografiert. Profil von links, frontal, Profil von rechts. Alles geht seinen geregelten Gang, keine Hektik, keine Freundlichkeit, aber auch keine Feindschaft, noch nicht einmal Bösartigkeit. Dies ist nicht nur ein Gefängnis. Dies ist vor allem eine Fabrik, die systematisch Lebensjahre vernichtet.

In der „Allgemeinen Abteilung“ haben die Gefangenen alle Freiheiten, die man innerhalb von Mauern haben kann. TV, Videos, Bücher, Hobbies, Tischtennis, Zigaretten, schwuler Sex, sogar Drogen in Mengen. Zu Anfang bleibt Wenzil in seiner Zelle. Erst allmählich beginnt er, den Gang zu betreten, hat Blickkontakte, andere sprechen ihn an: er lebt sich ein.

In einer Art Bunker sitzen einige, die schon lange nicht einmal mehr Neonlicht gesehen haben, vor sich hinvegetieren, Selbstgespräche führen, abgemagert. Der Boden ist feucht, der Putz blättert von den Wänden, monotones Tropfen. KZ -Assoziationen.

Gewalt passiert. Passiert einfach. Es braucht keine Gründe, höchstens Anlässe und meistens noch nicht einmal das. Die Spirale dreht sich, und wer sie in Gang gesetzt hat, ob die Gefängnisleitung oder die Gefangenen, klärt sich nicht, ist auch nicht zu klären und sowieso egal. Wenzil überwältigt einen Mitgefangenen, um ihn zu bestehlen, wird selbst zusammengeschlagen und bekommt als Brandmarkung CUNT (Fotze) auf seine Stirn tätowiert. Er legt sich ein Stirnband zu.

Maynard (Nick Cave) wird eingeliefert. Er ist völlig durchgeknallt, bemalt die Zelle mit seinem eigenen Blut. Sein ständiges Schreien dringt durch das gesamte Central Industrial. Wärter geben entnervt auf, gehen nach Hause. „Kill me! Kill me!“ Es ist sein Schrei, aber sterben werden andere.

Die Gefängnisleitung schränkt die Freiheiten der Gefangenen ein. Die Zellen werden von sämtlichen persönlichen Gegenständen gesäubert und auf Drogen untersucht. Selbstgemalte Bilder werden zerstört, Aufzeichnungen der Gefangenen vernichtet, das Fernsehen abgestellt. Die Situation gerät völlig aus den Fugen. Die ersten Toten sind in der paranoiden Atmosphäre nur eine logische Konsequenz.

Wenzil fühlt sich genervt. Er wartet, öffnet seine Zellentür, geht in die Zelle der Tunte, die über das Klo gebeugt kotzt, und schlägt ihren Kopf an der Kloschüssel zu Brei. Seine Tat wird über Video beobachtet, aber sein Mord wird nie untersucht oder bestraft werden.

Eskalation! Ein Wärter stirbt durch Dutzende von Messerstichen. Sein Mörder gebärdet sich wie ein Affe, klettert mit dem Messer zwischen den Zähnen auf den Auslaufkäfig für die Gefangenen der Aussonderungsabteilung. Ein Sondertrupp schreitet ein. Ein Gefangener erhängt sich in seiner Zelle. Ausnahmezustand. Lockdown. Verriegelung. Keiner kommt mehr aus der Zelle. Ende.

In der letzten Sequenz ist Wenzil wieder in Freiheit, fährt U-Bahn - nichts geschieht, als wäre er nie ein Mörder gewesen.

Die Situationen bestimmen die Aktionen. Die Menschen reagieren nur, werden geleitet vom Druck, der auf sie durch andere ausgeübt wird. Im besten Fall schlagen sie zurück sinnlos. Wenzil ist nur Hauptfigur, aber nicht Protagonist. Selbst wenn er tötet, handelt er nicht.

Der Film ist eine Anklage gegen Gefängnisse und dieses System, das Gewalt und Gefängnisse produziert. Auch eine Parabel auf die äußere Welt, aber eine fatalistische Parabel ohne Sinnspruch am Ende, wenn auch mit moralischer Anklage. Die Macht liegt nicht bei den Menschen, nicht einmal mehr in der Sprache, im Diskurs. Die Macht liegt begraben in den Mauern, in den Institutionen, die Macht repräsentieren. Und allein die Macht selbst handelt, nicht die Menschen. Menschen reagieren nur. Menschen sind handlungsunfähig und machtlos.

Thomas Winkler

Australien 1988, Regie: John Hillcoat, Darsteller: Dave Field, Mike Bishop, Nick Cave, Chris de Rose u.a., Musik: Nick Cave, Blixa Bargeld, Mick Harvey. Filmkunst 66 und Sputnik Wedding.