Volkskommando auf fremdem Terrain

Die beiden Hamburger Bundesligisten verbreiten beim 0:0 wenig Freude unter ihren Fans  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

Die Ostkurve mochte nicht mehr an sich halten: „Aufhören, aufhören“, skandierten die Anhänger des FC St. Pauli ins Volksparkstadion. Der Befehl galt vor allem der eigenen Truppe. 80 Minuten fußballerische Schonkost waren selbst dem treuen Anhang des Millerntorvereins zuviel. Als das Volkskommando nicht erhört wurde, griffen einige der zahlenden Zuschauer zur schärfsten Sanktion, die sie ihren Idolen angedeihen lasen konnten: Sie verließen noch vor dem Abpfiff das Stadion.

Was war geschehen, daß das mit viel Freude und Spannung erwartete Lokalderby („ein vorweggenommenes Spitzenspiel um den Abstieg“) zwischen St. Pauli und dem HSV solches Mißfallen erregte? Lag es womöglich nur daran, daß die St.Paulianer ihr Heimspiel im fremden Volksparkstadion austrugen und nicht wie sonst im heimischen Fußballkleingarten nahe beim Kiez?

Allein: Die Entschuldigung zählt nicht. Klaus Ottens, Torschütze zum Auswärtssieg bei Waldhof Mannheim, hatte schon vor der Partie gesagt: „Bei Auswärtsspielen sind wir immer ganz gut“, also konnte im Heimstadion des HSV kaum noch was schiefgehen. Einziges Handicap, mit dem die Mannen um Torhüter Volker Ippig ins Spiel gingen: Das Volk traute den Davids erstmals einen Sieg über den Goliath HSV zu nicht nur mit Hilfe von Glück und Jubelkulisse, sondern allein schon spielerisch.

Aber auch der krisengeschüttelte HSV spielte vorab mit dem Gedanken, siegreich vom Platz gehen zu wollen. Die Kerls um Thomas von Heesen und Jan Furtok, nach jämmerlichen Vorstellungen gegen Leverkusen (0:1) und den MSV Duisburg (2:4 im Pokal), schon schwer verstört, gewannen vergangenen Mittwoch gegen die schwedische Uefa-Pokalvertretung von Örgryte IS mit 2:1. Doch so grottenschlecht die Schweden auch spielten - dem HSV reichte der Sieg, um, wie HSV -Präsident Ernst Naumann mutmaßte, „ein wenig zuversichtlicher in die Zukunft zu schauen“. Beim HSV gehört Lebensmut derzeit zu den gefragtesten Eigenschaften - 14 Millionen Schulden, Fehleinkäufe und ein schlechter Ruf haben einige Vereinsliebhaber jetzt schon nach „Uns“ Uwe Seeler schreien lassen, er möge doch alles zum Besseren wenden.

Doch bitter die Enttäuschung während der ersten Spielminuten. Die beiden Trainer Reimann und Schulte stellten nur jeweils einen Stürmer auf. Schulte gab Klaus Ottens den Vorzug; Reimann ließ nur den Polen Furtok stürmen, sein Kollege Sascha Jusufi war einen Tag zuvor oberschenkelgezerrt vom Trainingsplatz geschleppt worden.

Tastendes Geplänkel, umständliche Spielzüge, selten gelungene Kombinationen - die St. Pauli-Fans konnten noch so doll ihre weißen Papierbüschel schwenken, ihre Jungs ließen sich nicht antörnen. Und als auch noch der nervöse Volker Ippig einige Bälle aus den Händen kullern ließ, war's mit dem Optimismus der Anhängerschar vorbei. Beim HSV ging genausowenig zusammen. Beierdorfer, Spörl, (die Fehlinvestition) Eck und Dammeier schlichen mehr um den Ball herum als daß sie ihn halbwegs sinnvoll innerhalb des Spielfeldes lavieren konnten.

Zu torgefährlichen Szenen kam es nur ausnahmsweise. HSV -Tormann Richard Gold fing beinahe alles, Ippig brauchte sich nur zweimal zu strecken, sonst blieben beide Keeper unterbeschäftigt. Während der FC St. Pauli wenigstens zu Beginn ein bißchen mehr hermachte und mit einem Kopfball Rüdiger Wenzels fast in Führung gegangen wäre, waren es die HSV-Herren, die in der zweiten Hälfte einen Zahn zulegten und der St.Pauli-Abwehr ein wenig zusetzten. Doch die, mit nur zehn Gegentreffern eine der besten der Liga, ließ fast nichts anbrennen.

20 Minuten vor Spielende machten beide Teams Feierabend, spielten den Ball nur noch selten nach vorn und bedienten ihre Torleute kollegial mit einigen Rückgaben. Ein Zuschauer ließ sich sogar mitreißen und grölte: „Arbeitsscheues Pack!“ ins Rund. Doch für HSV-Coach Willi Reimann war die Welt in Ordung: „Wir waren doch klar besser.“ Kollege Schulte, angesprochen auf die Pfiffe: „Ich habe nichts gehört.“ Vorläufig krebsen beide Mannschaften am Tabellenende. Schulte hatte ja schon vor der Saison angekündigt: „Wir müssen uns über jedes Unentschieden freuen.“

PAULI: Ippig - Kocian - Trulsen, Schlindwein - Dahms, Golke, Knäbel, Gronau, Flad - Wenzel (60.Manzi), Ottens (77.Zander)

HSV: Golz - Jakobs - Kober, Beiersdorfer - Spörl, Jensen (9.SChröder), von Heesen, Eck, Dammeier - Furtok, Merkle