Teekesselchen oder BMW-Lenkrad

■ Designerin - für viele ein Traumberuf: Erstmals bietet eine Ausstellung über Design-Arbeiten von Frauen eine Bilanz / Historische und zeitgenössische Berufsbiographien zeigen: Im wichtigen Bereich Industriedesign haben noch immer Männer das Sagen

Kaum eine Frauenzeitschrift, die nicht in jüngster Zeit den Prototyp der jungen, erfolgreichen Designerin porträtiert hätte - Design avancierte zum modischen Traumberuf. Dabei sind die Berufsaussichten alles andere als rosig, und die Verbindung „Frauen“ und „Design“ nicht das reine Glück. Das zeigt nicht nur die Ausstellung im Stuttgarter Haus der Wirtschaft, die zum ersten Mal für die Bundesrepublik eine Bestandsaufnahme bietet. Auch um die Ausstellung herum gab es Ungereimtheiten.

So hatte sich eine renommierte Designerin bereit erklärt, Fotos, Texte und Exponate für Frauen im Design Berufswege und Lebensbilder seit 1900 zur Verfügung zu stellen. Ihre Zusage mußte sie zurücknehmen. Ein Möbelhersteller hatte seinen Einfluß geltend gemacht und war auch nicht bereit, den Ausstellungsmacherinnen Möbel als Anschauungsmaterial auszuhändigen. Was hat dieser Vorgang zu bedeuten? Warum muß eine renommierte Designerin sich einem solchen Druck beugen? Steht das Unternehmen nicht zu seiner Mitarbeiterin, weil sie eine Frau ist? Sind Frauen schlecht fürs Image? Haben Frauen in diesem Beruf nichts zu suchen? Warum weigerten sich dann jüngere deutsche Designerinnen, an der Stuttgarter Präsentation teilzunehmen? Ist die Rubrizierung „Frauen“ schlecht für ihr Image?

Die erfolgreiche italienische Designerin Anna Castelli Ferrieri hatte jedenfalls keine Berührungsängste und schrieb der Organisatorin Angela Oedekoven-Gerischer: „Ich bin sehr glücklich über Ihre Initiative, weil die Arbeit von Frauen nie genügend anerkannt und publiziert wird, und Ihre Ausstellung wird ein wichtiges Ereignis sein.“

So waren noch 1986 bei dem Kongreß Erkundungen, der bisher größten Designveranstaltung in der Bundesrepublik, unter den über 100 Referenten nur sechs Frauen zu finden, davon kamen vier aus dem Ausland. Ein anderes Beispiel: Im Verband Deutscher Industriedesigner sind von 803 Mitgliedern nur 88 Frauen. Keine einzige Frau sitzt im Präsidium. Berufszusammenschlüsse gibt es bei Designerinnen nicht.

Liegt dies daran, daß die industrielle Produktgestaltung wie kaum ein anderer Berufszweig von Männern beherrscht wird? „In der Geschlechterfrage“, so schreibt Katrin Pallowski im Ausstellungskatalog, „sind die sonst so sehr um sozialkulturelle Avantgardefunktionen bemühten Designer eines der Schlußlichter der Entwicklung.“

In Stuttgart werden daher erstmals Berufsbilder und Lebenswege von Industriedesignerinnen seit 1900 gezeigt. Den Organisatorinnen ging es dabei nicht um einen „Aufschrei aus einer sozial schwächeren Position“ noch um den Nachweis einer „weiblichen Ästhetik“, sondern um eine Art Bestandsaufnahme, die in einem historischen und einem zeitgenössischen Teil 124 Designerinnen vorstellt. Technische und primitive Form

Im historischen Teil geht es um die Benachteiligungen, Ausgrenzungen und Rollenzwänge, denen sich die Frauen stellen mußten. So war es eher die Ausnahme, daß in Wien um 1900 eine Gruppe von Frauen Glas, Porzellan, Metallarbeiten, Möbel und Grafiken entwarf. München und Dresden waren zu diesem Zeitpunkt die wichtigsten Wirkungsstätten für Kunsthandwerk in Deutschland. In München hatten jedoch die Männer das Sagen, die Frauen waren lediglich akzeptiert als schöne und intelligente Begleiterinnen. Anders in Dresden. Hier entwarfen Margarete Junge und Gertrud Kleinhempel ein neues Design. Sie kreierten Möbel, die in den „Werkstätten für Deutschen Hausrat, Theophil Müller, Dresden-Striesen“ produziert wurden.

Eine Karriere, die bis heute wohl eher eine Ausnahme darstellt, machte die Designerin Marianne Brandt. 1893 wird sie in Chemnitz geboren. Der Begriff „Design“ ist noch unbekannt, Kunstgewerbe heißt das Arbeitsgebiet. 1911 beginnt sie Malerei und später Bildhauerei an der Großherzoglichen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar zu studieren. 1923 tritt Marianne Brandt in den Vorkurs des Bauhaus Weimar ein. In dieser Zeit ist ein Studium noch immer nur wenigen privilegierten Frauen vorbehalten, viele Frauen bewerben sich deshalb am Bauhaus. Bereits im Gründungsjahr, 1919, sind 50 Prozent der Studierenden Frauen, die meisten jedoch in der Textilklasse. Walter Gropius über die Bauhaus-Ausbildungsprinzipien: „Kein Unterschied zwischen schönem und starkem Geschlecht, absolute Gleichberechtigung, aber auch absolut gleiche Pflichten, keine Rücksicht auf Damen, in der Arbeit alle Handwerker.“ Die Wirklichkeit sah anders aus, die Gleichberechtigung fand nicht statt. Bereits 1920 ordnet Gropius die „scharfe Aussonderung gleich bei der Aufnahme“ an: „vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“. Als 1924 Marianne Brandt den Vorkurs beendet, ist in der Publikation zur Ausstellung Die Form die alte Leier zu lesen: Männern wird die „technische“, Frauen die „primitive“ Form zugedacht.

Marianne Brandt widersetzt sich diesen Vorstellungen. Sie wechselt in die von Laszlo Moholy-Nagy geleitete Metallwerkstatt: „Zuerst wurde ich nicht eben freudig aufgenommen“, schreibt sie über ihre Erfahrungen. „Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt, war die Meinung. Man gestand mir das später ein und hat dieser Meinung Ausdruck zu verleihen gewußt, indem man mir vorwiegend langweilig -mühsame Arbeit auftrug.“

Durch den Übergang von der handwerklichen zur industriellen Produktion findet sie den Weg zur Industrie. Ihre Leuchtenentwürfe führen dazu, daß die Metallwerkstatt die wirtschaftlich erfolgreichste Werkstatt des Bauhauses wird.

1928 wird sie die kommissarische Leiterin der Metallwerkstatt. 1929 arbeitet sie im Baubüro von Gropius. In der Entwurfabteilung der Metallwarenfabrik Ruppelwerk in Gotha wird sie Leiterin. 1932 wird sie arbeitslos und zieht sich während der Nazizeit zurück. Seit 1949 lehrt Marianne Brandt an der Hochschule für freie und angewandte Kunst in Dresden, Abteilung Holz, Metall und Keramik. Frankfurter Küche

und Liege LC4

Daß Frauen Kompetenz in Designberufen haben, zeigt nicht nur der Lebensweg Marianne Brandts - ihre Entwürfe werden heute noch hergestellt und gehören zu Prestige-Objekten für Liebhaber.

Das von Sonja Günther zusammengetragene Material zu Leitbilder International präsentiert Designerinnen von der Jahrhundertwende bis heute. Wir begegnen Charlotte Perriand, deren Möbel in Zusammenarbeit mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret (z.B. die Liege LC4) Weltberühmtheit erlangten, ebenso wie Eileen Gray, die noch die Renaissance ihrer Möbel aus den zwanziger Jahren in den siebziger Jahren selbst erleben konnte. Interessant auch die ersten Behauptungen von Designerinnen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren, als es ihnen gelang, „sich Gehör zu verschaffen und ihre bisherige Diskriminierung zur Diskussion zu stellen“ (Günther).

„Nur wenigen gelingt die Übereinstimmung von Leben und Arbeit so überzeugend wie der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky“, schreibt Lore Kramer in ihrem Aufsatz Die Frankfurter Küche - Zeitgenössische Kritik und Perspektiven über die Erfinderin der legendären Küche für das „Neue Frankfurt“ von Ernst May.

Margarete Schütte-Lihotzky revolutionierte die bisherigen traditionellen und unfunktionalen Kücheneinrichtungen und prägte damit die heutige Küchenform. Die optimale Raumausnutzung und die Anordnung der Küchenutensilien führten zu einer Verkürzung der Laufwege und somit zu einer Rationalisierung der Küchenarbeit. Studentinnenüberschuß

Nach 1945 galt für die 26 Frauen an der Hochschule für Gestaltung, Ulm, die international eine Vorreiterrolle im Designbereich übernahm: Für schlechte Leistungen gab es allgemein kein Pardon. Gehörten die Ulmerinnen noch zahlenmäßig einer „Minderheit“ an, so haben heute Frauen ein großes Interesse an der Design-Ausbildung. Aber die Diskrepanz zwischen den Frauen im Studium und in der Berufspraxis ist eklatant. Zieht die Industrie männliche Hochschulabsolventen den weiblichen vor? Oder gehen die Designerinnen andere Berufswege? Gibt es einen Grund für so wenige Frauennamen bei veröffentlichten Entwürfen? Zuverlässiges Material wird erst noch vom Bundesministerium für Bidlung und Wissenschaft in einer Studie über Frauen in Kunst, Film und Design erbracht, die derzeit an der Kasseler Gesamthochschule erarbeitet wird. Eines steht jedoch schon fest: Eine an der HdK Berlin erarbeitete Studie über Erfahrungen von Frauen im Männerberuf „Design“ macht deutlich, daß Frauen aus gestalterisch-künstlerischen Interessen zum Design-Studium kommen, bei Männern dagegen das Technik-Interesse vorherrscht. Es gibt nicht nur bei der Themenwahl geschlechtsspezifische Unterschiede, auch in der Bewertung von Design zeigt sich, daß mehr zählt, wohin sich Männer hingezogen fühlen: Autos contra Haushalt.

Womöglich ist dieses tradierte Rollenverständnis noch durch die Kunstgewerbeproduktion in der Nazidiktatur forciert worden. Aus der Kunstproduktion und der Kunstöffentlichkeit wurden Frauen weitgehend verbannt. Frauen sollten laut Ideologie weben, stricken, dekorieren und das traute Heim ausschmücken. Stahlrohr hatte nichts mehr im deutschen Haushalt zu suchen, miefige Enge und kleinbürgerliche Sauberkeit waren angesagt.

Daß sich die Frauen nach 1945 darauf nicht festschreiben ließen, vermitteln die Präsentationen aus der Bundesrepublik. 45 Designerinnen mit 90 Entwürfen im Bereich Industrie- und Möbeldesign zeigen, wie Frauen in den unterschiedlichsten Produktbereichen (medizinische Geräte, Haushaltsgeräte, Investitionsgüter, Möbel etc.) kreativ, wissenschaftlich und originell arbeiten.

Weitere 24 Frauen aus Europa sind mit ihren Präsentationen beteiligt. Ihre Entwürfe haben ein Spektrum, das von Bohrmaschinen, Heizkesseln, Steuereinheiten, Telefonen, Patientenkontrollgeräten, Geschirr, Kinder- und Lernspielzeug für behinderte Kinder bis hin zu Stühlen, Leuchten, Möbelsystemen, Fahrzeugen, Registrierkassen, Türen und Türgriffen und Computern reicht.

Mag sein, daß die Stuttgarter Ausstellung Frauen-Arbeiten wie in einem Ghetto zeigt. Dennoch: Notwendig ist die Akzeptanz von Industriedesignerinnen durch Wirtschaft und Gesellschaft. Und dazu kann diese Ausstellung allemal beitragen.

Frank Joerg Reimann

Der Katalog erscheint in zwei Bänden mit Vierfarbdruck in deutsch und englisch; 750 Seiten, Preis: 38 DM. Bestell- und Ausstellungsadresse: Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, Haus der Wirtschaft, Willi-Bleicher-Straße 19, 7000 Stuttgart. Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Oktober, täglich 11-18 Uhr, außer montags, zu sehen.