Das kommunale Ausländerwahlrecht ist längst überfällig

Hamburgs zweiter Bürgermeister Ingo von Münch (FDP) zur aktuellen Diskussion innerhalb der SPD und des rot-grünen Berliner Senats, die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts zu verschieben  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr von Münch, Ihre Partei, die FDP, war innerhalb der Regierungskoalition in Hamburg die treibende Kraft, erstmals in der Bundesrepublik das kommunale Ausländerwahlrecht durchzusetzen. Stehen Sie angesichts eines massiven Rechtsrucks innerhalb der Wählerschaft nach wie vor zu Ihrer Entscheidung für das Ausländerwahlrecht?

Ingo von Münch: Selbstverständlich ja. Es kann doch nur um die Frage gehen, ob die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer vernünftig ist oder nicht. Und die Vernunft richtet sich nicht danach, ob es mehr Republikaner gibt oder weniger. Ich bin nicht bereit, den Republikanern hinterher zu laufen.

Man darf das kommunale Wahlrecht für Ausländer weder überschätzen noch unterschätzen. Unser Grundgesetz schließt ein Wahlrecht für Ausländer für den Bundestag und die Landtage aus. Insofern muß man ehrlicherweise sagen, daß das kommunale Wahlrecht kein Einschnitt für Bundes- und Landtagswahlen ist. Andererseits ist das kommunale Wahlrecht deshalb wichtig, weil es den Ausländern zeigt, daß wir sie politisch nicht ghettoisieren. Es ist ein Zeichen dafür, daß wir unsere ausländischen Mitbürger politisch ernst nehmen und sie auch als Bürger behandeln.

Die SPD hat das kommunale Wahlrecht seit Jahren in ihrem Parteiprogramm. Jetzt gibt es innerhalb der Sozialdemokraten Überlegungen, die Einführung des kommunalen Wahlrechts zu verschieben. Die nordrhein-westfälische SPD argumentiert, man dürfe den „Reformwillen“ der Wähler nicht überstrapazieren, und selbst innerhalb der Berliner SPD, die die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts in den Koalitionsvereinbarungen mit der AL festgeschrieben hat, heißt es nun, der Boden in der Bevölkerung sei dafür noch nicht bereitet.

Ich will mir nicht den Kopf zerbrechen über Meinungsbildungen innerhalb der SPD. Aber ich halte das kommunale Ausländerwahlrecht für längst überfällig und ich vermag nicht einzusehen, warum der Boden jetzt nicht dafür bereitet sein soll, aber in einigen Jahren doch. Mir scheint, daß eine Verschiebung des Wahlrechts nur aus der Sorge vor den Republikanern rührt, und das halte ich für unerträglich.

Was sagen Sie zu dem Argument, ein Ausländerwahlrecht würde den Republikanern sogar noch die Wähler in die Arme treiben?

Die Republikaner haben bei den vergangenen Wahlen Stimmen erhalten, ohne daß es das kommunale Wahlrecht für Ausländer gab. Sie haben vor allem auch in den Bundesländern Stimmen erhalten, in denen das kommunale Wahlrecht nicht zur Diskussion steht. Das zeigt, daß das Ausländerwahlrecht nicht das Hauptmotiv für Wähler ist, für die Republikaner zu stimmen. Aber selbst, wenn das so wäre, können wir uns doch nicht eine wichtige, eine vernünftige, eine demokratische, eine menschliche Entscheidung deswegen abkaufen lassen.

Vor dem Hintergrund der Diskussion darüber, ob man das Ausländerwahlrecht verschiebt oder nicht, bleibt die grundsätzliche Frage: Wie offensiv kann und soll eine Ausländerpolitik angesichts eines Erstarken der Rechtsparteien sein? Geht man auf die weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung ein oder sagt man: jetzt gerade?

Die Entscheidung, das kommunale Ausländerwahlrecht einzuführen, ist in der Hamburger Bürgerschaft wenige Tage nach den Berliner Wahlen getroffen worden, bei denen zum ersten Mal der hohe Stimmanteil der Republikaner die Republik geschockt hat. Ich habe damals in der Bürgerschaft die Einführung des kommunalen Wahlrechts mit den Worten begründet: „Dies ist unsere Anwort auf Berlin“, womit die Berliner Wahlen gemeint waren. Eine Ausländerpolitik muß in die Zukunft schauen und nicht in die Vergangenheit, und die Haltung der Republikaner zum Ausländerproblem ist eine Haltung nicht für die Zukunft, sondern für die Vorvergangenheit.

Man ist sich im politischen Raum nicht immer einer Sache ganz sicher. Auch ich bin manchmal unsicher, ob ich bei einer Entscheidung recht habe. Aber bei dem kommunalen Ausländerwahlrecht bin ich 100 Prozent der Meinung, daß es richtig ist! Ich bin 100 Prozent der Auffassung, daß in 20 Jahren die Leute den Kopf schütteln werden und sich fragen: Warum durfte denn in der Bundesrepublik Deutschland ein Ausländer, der schon acht Jahre in einer Gemeinde lebt, der in Deutschland geboren ist, der in Deutschland zur Schule gegangen ist, nicht mitentscheiden bei der Frage der Öffnungszeiten der Schwimmbäder, bei der Errichtung von Verkehrsampeln, bei Informationen über Seniorenheime.

Es ist so aberwitzig, daß wir uns da nicht bemühen, den Sachverstand der Ausländer einzubeziehen. Die wissen teilweise ja vieles besser, weil sie häufig länger in einer Gemeinde leben als mancher Deutsche, der erst zugezogen ist. Es ist ein Gebot der Demokratie, daß möglichst alle mitentscheiden sollen, und es ist ein Gebot der Vernunft, daß wir Ausländer nicht in die Radikalisierung treiben. Im Grunde genommen ist es doch ein Wunder, daß die Ausländer bisher so still halten in Sachen kommunales Wahlrecht. Mehr und mehr Länder im Ausland führen dieses Recht ein. Der Trend geht doch in diese Richtung. Grenzen und Staatsangehörigkeiten werden immer weniger bedeutsam, und es gibt mehr und mehr Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Es ist traurig, daß die SPD in Nordrhein -Westfalen und anderswo ins Wackeln gerät. Ich kann wirklich sagen: Wenn ich auf zwei Sachen stolz bin, dann erstens auf die Tatsache, daß wir hier in Hamburg die erste Koalition mit der SPD in der Bundesrepublik seit '82 gebildet haben. Und zweitens, daß wir die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer durchgesetzt haben.

Interview: Vera Gaserow