Auftakt für einen risikoreichen Wahlmarathon

Am 1.Oktober finden Kommunalwahlen in NRW statt / Auch ein Probelauf für die Landtagswahl 1990 / Prognosen für die SPD günstig - CDU hingegen im Keller / „Republikaner“ treten nicht überall an / Grüne: Schon gewonnen, wenn wir das Ergebnis von 1984 halten  ■  Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) - „Die Zeit, in der die CDU einen Durchhänger hatte, ist vorbei.“ So sprach Norbert Blüm, der wendige Vorsitzende der NRW-CDU, am 21.8.89 in Düsseldorf. Am 1.Oktober wird man wissen, was von Blüms Sprüchen zu halten ist. An diesem Sonntag entscheiden 12,5 Millionen Wahlberechtigte zwischen Weser und Rhein über die künftige Zusammensetzung ihrer Stadt- und Gemeinderäte. Ein Ereignis, das überregional besonderes Interesse erweckt, weil damit der Startschuß zu einem Wahlmarathon gegeben wird, der erst mit der Bundestagswahl 1990 endet. Wenn die von professionellen Wahlforschern verbreiteten Stimmungen sich tatsächlich in Stimmen niederschlagen sollten, dann dürfte es um die Laune von Norbert Blüm am Abend des 1.Oktober nicht gut bestellt sein. Einer vor ein paar Tagen vom WDR verbreiteten Infas-Analyse zufolge wird die CDU erneut drastisch verlieren. Von den 1984 erzielten 42,2 Prozent droht den Christdemokraten ein Absturz auf 35 Prozent. Rosige Zeiten in den Kommunen verspricht die Infas-Analyse dagegen den Sozialdemokraten. Statt bei 42,5 Prozent sieht Infas die Sozis diesmal bei 49 Prozent. Ein Wert, der dem letzten Landtagswahlergebnis von 52,1 Prozent schon sehr nahe käme und die Hoffnung der CDU auf einen Wechsel in Düsseldorf bei den Landtagswahlen im Mai nächsten Jahres endgültig zu Grabe trüge. Für die Grünen ermittelte Infas 6 statt 8,1 Prozent, die FDP bliebe bei etwa 5 Prozent und die „Republikaner“ müßten sich mit 3 Prozent zufrieden geben. Bodo Hombach, Landesgeschäftsführer der SPD und zugleich oberster Wahlkampfleiter, dazu: „Wir mögen an dieses Glück nicht glauben.“ Dabei hat die SPD die Erwartungen selbst so hochgeschraubt. „Ziel“ der Partei sei es, so steht es im Wahlkampfhandbuch, „auch bei den Kommunalwahlen landesweit die 50%-Marke zu erreichen“. Die reservierte Kommentierung von Hombach hat gleich mehrere Gründe. Zunächst befürchtet der Wahlkampfdirigent einen „Bayern-München-Effekt“. Potentielle SPD-Wähler könnten sich angesichts des großspurigen Töne in der Wahlkabine umentscheiden. Außerdem ist da die Angst vor einer niedrigen Wahlbeteiligung. Denn SPD-Wähler, die angesichts der Prognosen glauben, es sei ohnehin alles gelaufen, könnten gleich zu Hause bleiben. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, werden demnächst auf alle SPD-Plakate grellgelb leuchtende Aufkleber gepappt. Motto: „NRW paß auf - wählen gehen“.

Das Wahlvolk selbst zeigt sich jedoch bisher noch größtenteils uninteressiert. Zur Auftaktveranstaltung der SPD im Ruhrgebiet blieb der Saal trotz Anwesenheit der gesamten Parteiprominenz halbleer. Politische Veranstaltungen stoßen auf wenig Interesse. „Was gut läuft, sind die Feste. Das kannste an den vielen Hektolitern Bier ablesen, die wir bisher verkauft haben“, so ein SPD-Mann aus Essen.

Beate Scheffler, Landesvorstandssprecherin der Grünen, spricht dagegen von einem „großen Interesse an grüner Kommunalpolitik“. Im Vergleich zum Europawahlkampf stoße sie an Bücherständen und in Veranstaltungen diesmal auf viele neugierige Menschen. Dennoch sieht sie die Grünen nicht im Aufwind: „Wir haben schon gewonnen, wenn wir das Ergebnis von 1984 halten.“ Mit den Grünen werden diesmal viele Frauen in die Rathäuser einziehen. Während es der Partei 1984 nur auf 43 Prozent der Fraktionslisten gelang, die eigentlich per Programm vorgeschriebene 50%-Quotierung zu schaffen, werden nach dem 1.Oktober knapp zwei Drittel aller grünen Fraktionen zur Hälfte aus Frauen bestehen. Die SPD, deren Fraktionen bisher einen Frauenanteil von 16 Prozent aufwiesen, ist sich „absolut sicher“, so Parteisprecher Achim Dahlheimer, daß nach der kommenden Wahl „mindestens 25 Prozent“ ihrer kommunalen Mandate von Frauen wahrgenommen werden.

Spannung herrscht bei den politischen Akteuren über das Abschneiden der „Republikaner“. Ein landesweiter Vergleich ist allerdings schon deshalb nicht möglich, weil die REPs in den meisten Städten und Gemeinden gar nicht erst antreten. Selbst in Großstädten wie Duisburg, hier erzielte die Schönhuber-Truppe bei der Europawahl immerhin 5,3 Prozent, fehlen die REPs auf der Wahlliste. In Duisburg zog die Partei ihre Kandidaten nach Angaben der Stadt selbst zurück, nachdem nur für 9 von 38 Wahlbezirken eigene Leute gefunden werden konnten. Das freut dort insbesondere auch die SPD, denn in den nördlichen Arbeitervierteln in Bruckhausen und Marxloh hatten die REPs bei der Europawahl zwischen 7 und 9 Prozent der Stimmen erhalten. In Gelsenkirchen, wo die REPs beim Eurowahlgang ebenfalls 5,3 Prozent erzielten, verhinderte der Wahlausschuß eine flächendeckende Kandidatur. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß die in 31 von 34 Wahlbezirken antretenden Rechtsradikalen den Sprung über die 5%-Hürde schaffen. Am aufschlußreichsten verspricht das Dortmunder Ergebnis zu werden. Dortmund ist nicht nur interessant, weil hier die REPs flächendeckend kandidieren, sondern hier steht die inzwischen bundesweit bekannte Forsa -Analyse auf dem Prüfstand. Das von Manfred Güllner geleitete Institut hatte die SPD bundesweit mit der Behauptung aufgeschreckt, 40 Prozent der REP-Wähler entstammten dem Fleische der Sozis. Da wird man nach der Kommunalwahl genaueres wissen. Unterdessen versucht die nordrhein-westfälische SPD ihre Klientel mit einer breitangelegten Flugblattaktion gegen die REPs zu immunisieren. Allein in der westfälischen Stadt Hamm, hier erzielten REPs und die rechtsextremistische DVU zusammen 8 Prozent bei der Europawahl, wurden 87.000 Faltblätter verteilt. „Am Anfang bedenke das Ende“, heißt es auf dem Titelblatt, wobei ein weinender uniformierter Junge aus Hitlers letztem Aufgebot das Ende symbolisiert. Inwieweit solche Kampagnen fruchten, steht dahin. Aber selbst wenn die REPs in einzelne Rathäuser einzögen, die Dominanz der Sozialdemokraten im Revier bliebe davon unberührt. Für einen Machtwechsel im Revier sei die CDU „einfach zu schlapp“, sagt die grüne Sprecherin Scheffler. Die Bitten der Christdemokraten, „neuen Kräften eine Chance zu geben“, zeigen im Pott keine Wirkung. Im Gegenteil, die SPD darf darauf hoffen, Verluste an die REPs durch Zugewinne von den Christdemokraten mehr als ausgleichen zu können. In der letzten Zeit bemüht sich insbesondere der nordrhein -westfälische Innenminister Herbert Schnoor, diesen Wechselwählern Zucker zu geben. Kaum eine Woche vergeht, ohne eine Pressekonferenz des seit dem Gladbecker Geiseldrama politisch schwer angeschlagenen Ministers. Erst waren es die Wohnungseinbrüche, die Schnoor mit mehr Streifen durch Bereitschaftspolizisten zu bekämpfen vorgab, dann folgte die Ankündigung, 140 neue Stellen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität einzurichten. Für Montag kommender Woche haben sich die PR-Strategen im Innenministerium für die Journalisten etwas ganz Tolles ausgedacht: Dann möchte Herbert Schnoor „sie über den neuesten Stand des Polizeidiensthundewesens in NRW informieren“. Wenn die Kläffer nicht alles falsch machen, sind positive Schlagzeilen erneut so gut wie sicher. Halten diese „Anstrengungen“ an, dürfte die Drohung mit dem „Sicherheitsrisiko“ Schnoor selbst bei den potentiellen CDU -Wechselwählern nicht mehr lange verfangen. Für die Kommunalwahlen spielt die Landespolitik, das zeigen die Umfragen, eine entscheidende Rolle. Wenn selbst Schnoor als Abschreckung nicht mehr funktioniert, dann drohen die schon heute wankenden Oberbürgermeisterposten in der Bischofsstadt Aachen, wo Infas für die CDU Verluste von über 11 Prozent sieht, aber auch in Münster und Krefeld wohl endgültig verloren zu gehen. Sollte es so kommen, darf man auf Norbert Blüms Kommentar gespannt sein. Das Europawahlergebnis signalisierte für den CDU-Vorsitzenden vor Monaten einen „Prozeß“, der aufzeige, „daß wir uns wieder aufwärts bewegen“. Damals verlor die Partei 7,1 Prozent.