„Galileo“ - mit zwanzig Kilo Plutonium ins All

■ George Bush schickt plutoniumbetriebenen Jupiter-Satelliten mit Raumfähre ins All / Eine Explosion beim Start am 12. Oktober könnte katastrophale Folgen haben / Proteste in den USA / Im All kreist bereits eine Tonne radioaktiver Stoffe

Berlin (taz/afp) - Ein erfolgreicher Start der US-Raumfähre Atlantis am 12.Oktober wird nicht nur für die Besatzung des Challenger-Nachfolgemodells zur Überlebensfrage. George Bush genehmigte am Wochenende den Flug des Raumgleiters mitsamt der Forschungssonde „Galileo“. Die Sonde, die zunächst die Erde umkreisen und dann auf eine Reise zum Planeten Jupiter geschickt werden soll, ist mit einer mit 20 Kilogramm Plutonium betriebenen sogenannten Atombatterie ausgerüstet. Sollte die Atlantis- so wie die Challenger-Mission 1986 nach wenigen Sekunden in der Katastrophe enden, wäre die größte Plutonium-Verseuchung der Atmosphäre vorprogrammiert.

Die US-Raumfahrtbehörde NASA hat Proteste amerikanischer Umweltschützer bisher mit der Behauptung zurückgewiesen, die Plutonium-Generatoren seien praktisch unzerstörbar und würden auch einen Absturz der Fähre überstehen. Frühere Berechnungen (taz v. 29.7.89) hatten jedoch ergeben, daß Unfälle beim Start der Fähre die Atomgeneratoren Drücken aussetzen könnten, die die Auslegung der Sicherheitssysteme um das Neunfache übersteigen. Präsident Bush schloß sich nun den NASA-Verlautbarungen an und empfahl den Start der Sonde zum vorgesehenen Zeitpunkt. Amerikanische Umweltverbände kündigten daraufhin Demonstrationen in der Nähe des Startgeländes von Kap Canaveral an und erwägen gerichtliche Schritte gegen den Start.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der internationalen Solarenergie-Organisation „Eurosolar“, Hermann Scheer, rief unterdessen zu weltweiten Protesten gegen den Start der Sonde auf. Insbesondere die Europäische Raumfahrtorganisation (ESA) und die Europäische Gemeinschaft müßten alles tun, um das Galileo-Projekt noch zu stoppen. Bei einem Fehlstart könne das Plutonium für den Erdball eine radioaktive Verseuchung nie dagewesenen Ausmaßes heraufbeschwören, meinte Scheer und erinnerte daran, daß bereits ein millionstel Gramm Plutonium im Körper des Menschen tödlich wirke. Für ihn sei „unvorstellbar“, daß nach den Fehlschlägen bei Weltraumexpeditionen der Vergangenheit Wissenschaftler und Politiker bereit seien, der menschlichen Zivilisation das Risiko einer großflächigen Plutonium-Verseuchung aufzubürden, erklärte Scheer.

Mit der „Galileo„-Mission zur Erkundung des Planeten Jupiter gerät das Problem der atombetriebenen Erdtrabanten erstmals seit dem Beinahe-Absturz des sowjetischen Spionage -Satelliten „Cosmos 1900“ im Herbst letzten Jahres wieder in die Schlagzeilen. Nach Schätzungen des Eurpäischen Operationszentrums für Raumfahrt (ESOC) in Darmstadt umkreist bereits heute etwa eine Tonne Uran-235, Plutonium und andere Spaltprodukte die Erde. Während die UdSSR seit 1967 etwa 30 Satelliten mit uranbetriebenen Mini-Reaktoren ins All schickte, setzen die USA seit den sechziger Jahren vor allem auf Atombatterien, in denen die beim radioaktiven Zerfall entstehende Wärme als Energiequelle dient. Mindestens drei atombetriebene sowjetische und vier mit Atombatterien bestückte US-Satelliten gerieten bis heute außer Kontrolle und verglühten teilweise in der Atmosphäre. Da es sich bei den meisten Missionen um militärische Projekte handelt, sind allerdings die Informationen nach wie vor sehr bruchstückhaft. In den USA wird gegenwärtig ein mit 150 Kilogramm Uran betriebener 100-Kilowatt-Reaktor entwickelt, der zur Stromversorgung von Starwar-Systemen (SDI) verwendet werden soll. Die Sowjets wollen ihre Späh -Satelliten auch weiterhin mit Mini-Reaktoren ausstatten.

Bereits 1964 erreichte ein amerikanischer Navigationssatellit nicht die vorgesehene Umlaufbahn und setzte beim Zerplatzen seines atombetriebenen Stromgenerators Plutonium-238 und eine Aktivität von 17.000 Curie in die Atmosphäre frei. Von der Explosion einer plutoniumbestückten Trägerrakete blieb die Menschheit bisher verschont.

gero