Militärs kämpfen im Wohngebiet

■ Betr.: Manöver „Offenes Visier“ in Ottersberg, taz 18.9.

Offener Brief/ Anzeige. Sehr geehrte Herren!

Am Sonntagsmorgen um ca. 0.45 Uhr fuhren 2 Panzer (Leopard) in den Grellenbrook ein. Die Motoren der Fahrzeuge waren so laut, daß wir und unsere 3 Kinder schreckhaft aus dem Schlaf gerissen wurden, denn wir haben unsere Schlafzimmer direkt zur Wegseite hin. Als nun ein Panzer direkt vor unserem Haus hielt und der Motor laut aufheulte, bin ich hinausgegangen, um dem Panzerführer mit lauter Stimme aufzufordern, dieses zweifellos dicht besiedelte Wohngebiet zu verlassen, insbesondere in Rücksichtnaahme auf die vielen Kinder in diesem Weg und dem Altersheim, vor dem dann ein anderer Panzer parkte. Auf meine Anrede reagierten die Soldaten des Panzers nicht. Wir versuchten die Ottersberger Polizei zu erreichen, die Dienststelle war nicht besetzt. Wir riefen in Achim an, dort verwies man uns auf allgeneine angemeldete Manöverbewegungen, nahm den gewissermaßen Notruf zur Kenntniss und versprach mal einen Wagen vorbei zu schicken. Es geschah in dieser Angelegenheit nichts.

Dieser geschilderte Vorgang dauerte einige Minuten, indes der Panzer stand mit laufendem Motor immer noch vor dem Haus. In meiner Verzweiflung nahm ich meine Signalpistole und schoß zweimal senkrecht in die Luft, um durch das Licht der Raketen Aufmerksamkeit zu erwecken. Auch darauf wurde nicht reagiert. Ein Panzer parkte nun vor dem Altersheim, der zweite, der vor unserem Haus stand, zog sich zurück an die Ecke der Bundesstraße.

Trotz der Genehmigung des Manövers, bleibt es unverständlich, daß es Panzern gestattet ist, in eine Wohnsiedlung einzudringen, deren Wege noch nicht einmal breiter sind als das Fahrzeug selbst. Durch die Größe des Panzers vermummte Gestalten, die Kanone nach vorn gerichtet, mit lautem baßdröhnendem Motor wird so eine Begegnung am frühen Sonntagmorgen zu einem horrorhaftem, bleibendem Erlebnis für die ganze Familie.

So erscheint es in der heutigen Zeit unsinnig, daß Manöverübungen in dicht besiedelten Gebieten abgehalten werden müssen.

Wie formuliert habe ich aus gewissermaßen ohnmächtiger Verweifelung gegen die Aktion der Bundeswehr in der Nacht vom 17.9. Aufmerksamkeit erregen wollen. Zu keiner Zeit stand es in meinem Ansinnen, Soldaten der Bundeswehr aggresiv zu verletzen. Ich wollte sie nur zur Umkehr bewegen. Per Megaphon oder durch vorherige öffentliche Mitteilungen wäre man vielleicht vor diesem nächtlichen Inferno gewarnt worden.

Dieser Brief wurde am Sonntag, dem 17.9.89, um 18 Uhr geschrieben, die Panzer stehen immer noch auf ihrer Position und wir erwarten wieder eine unruhige Nacht. So haben wir dieses Wochenende gewissermaßen an ein Manöver der Bundeswehr unfreiwillig verschenkt. Auch die Kinder konnten wir an diesem Wochenende wegen der Gefahr nicht auf die Straße lassen. Zitat eines Offizieres: „Wir hoffen, daß so wenig wie möglich Personenschaden entsteht.“

Michael Kupfermann

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