Lebendiges Musiktheater im Schlachthof

■ Premiere der Rossini-Oper „Barbier von Sevilla“ in der Inszenierung von Tobias Richter

Die Bühne ist weiß. Bedeckt ist sie mit Truhen, Säulenresten, ein paar Möbelstücken, einem Fotoapparat und anderen scheinbar wahllos zusammengestellten Gegenständen aus dem Theaterfundus, die nur gemeinsam haben, daß sie irgendwie alt und weiß an

gestrichen sind. Die Einheitlichkeit der weißen Kleidung verbindet auch die Gruppe von Männern, die sich vor Beginn der Oper auf der Bühne befinden. Es sind weder bestimmte Menschen dargestellt, noch gibt es Klarheit über den Ort, den das Bühnenbild

darstellen soll. Dargestellt ist nur das Theater selbst. Und in diesem Sinn erhalten auch die Gegenstände auf der Bühne im Verlauf der Oper Bedeutung, die ihre Auswahl und Anordnung rechtfertigt. Die Säulenreste dienen insbesondere dem finsteren Basilo als Podest. Damit ist er dann nicht mehr der Böse, sondern der Darsteller des Bösen. Es gibt keine reale Welt, also auch keine Guten und Bösen, es gibt nur Theater. Die Stehleiter in der Mitte der Bühne hilft keinem nach oben, sie hat die Aufgabe, den Aufbau der Ensembleszenen zu ordnen.

Auch die zahlreichen kleinen Gags haben mit dem Handlungsablauf der Oper oft wenig zu tun und sind doch mehr als nur Klamauk zur Auflockerung des Publikums. Wenn z.B. durch Hochziehen eines Vorhangs ein versteckt essendes dickes Kind sichtbar wird, so ist das erstmal ein bescheidener Spaß. Auf der ande

ren Seite erweitert dieser Einblick die Tiefe des Bühnenraums, es scheint Verstecke, also Räume hinter der Bühne zu geben. Auch nach vorn und nach oben wird der Raum ausgedehnt. Nach oben schon durch den Platz des Orchesters auf der Galerie, nach vorn durch einen Laufsteg zwischen den Reihen des Publikums. Das Problem der relativen Enge der Kesselhalle des Schlachthofs hat Tobias Richter durch virtuoses Spiel mit einem sich in ständiger Bewegung befindenden Theaterraum gelöst. Eindringlich gelingt dann auch die Anordnung der Ensembleszenen mit einem sehr organischen Wechsel zwischen stehenden und sich bewegenden Bildern. Diese Inszenierung ist lebendiges Theater, und konsequent zeigen sich auch die Sängerinnen und Sänger als ausgezeichnete SchauspielerInnen.

Die Schwäche der Inszenierung liegt im Umgang mit der Musik. Manche Gags sind ohne Ge

spür für die Musik angelegt, die gleichzeitig erklingt, witzige Nebensächlichkeiten lenken die Aufmerksamkeit von den doch gerade in italienischen Arien ab. Bei der Premiere am Sonntag war auch das Orchester den Anforderungen der Musik Rossinis nicht immer gewachsen. Einem sehr schön gespielten Orchesterzwischenspiel, das ein Gewitter darstellt, stand eine schwunglose, in Tempo und Gestaltung indifferente Ouvertüre gegenüber. Von den Sängern gefielen besonders Karsten Küsters und Walter Fink als Dr. Bartolo bzw. Basilo. (Ein Tenor, der die reichen Koloraturen besonders in der Kavatine der ersten Szene singen kann, ist wahrscheinlich für Bremen nicht zu bezahlen. Ein gnadenloser Test, bei dem auch sehr berühmte Tenöre leicht durchfallen.) Das Publikum war dennoch begeistert und spendete reichlichen von Bravorufen durchsetzten Applaus.

Andreas Lieberg