Bomben-Stimmung bei Hertie

■ KaDeWe-Chef kritisiert die Polizei / Kundenstrom ließ gestern nach / Noch immer keine heiße Spur vom Täter / Scharfe Sicherheitsvorkehrungen

Beamte in Zivil patrouillieren durch Parfümabteilung und Lebensmittelmarkt, am Kaufhauseingang stehen uniformierte Polizisten auf Posten, Hertie-Angestellte sind vom Verkauf freigestellt, um den Publikumsverkehr zu beobachten, und die Betriebsfeuerwehr ist Tag und Nacht im Einsatz: Seit der geplatzten Geldübergabe an den unbekannten Hertie-Erpresser herrscht in den Berliner Filialen des Kaufhauskonzerns im wahrsten Sinne des Wortes Bombenstimmung. Die Polizei befürchtet, daß den bisher sechs Anschlägen, von denen zwei „geglückt“ sind, nun weitere folgen könnten.

Kommentar des KaDeWe-Geschäftsführers Engel: „Den Kunden soll signalisiert werden, daß etwas für die Sicherheit getan wird“.

Die meisten Hertie-Stammkunden waren für solche Signale gestern aber nicht empfänglich. Sie kauften Joghurt und Krawatten offensichtlich bei der Konkurrenz. Die Nachrichten über die versaubeutelte Millionenübergabe hatte bei Hertie -Kreuzberg ganze Abteilungen leergefegt. Eine Verkäuferin, die erst durch die taz von der mißglückten Übergabe erfuhr: „Ach, deshalb hab ick heute noch keene Brezeln vakooft.“ Im Hertie-Prunkbau KaDeWe, das vornehmlich von Touristen frequentiert wird, rollte der Rubel indes wie immer. „Mir ist ganz schön mulmig zumute!“ gab ein Angestellter zu, und ein Betriebsratsvorsitzender des Konzerns kündigte an, daß später „über eine Gefahrenzulage geredet werden“ könne.

Hertie-Geschäftsführer Engel machte gestern in der Vorstandsetage seiner Empörung über die Brüsseler Kriminalkomödie Luft. Er warf der Kripo Mängel bei der Vorbereitung der Geldübergabe vor. „Zumindest hätten die damit betrauten Beamten französisch sprechen müssen!“ kritisierte er. Die Aktion war nach Informationen belgischer Zeitungen danebengegangen, weil die drei Berliner Kripobeamten am falschen Bahnhof ausgestiegen waren. Als sie den Fehler bemerkten, stoppten sie einen Zug. Ein Eisenbahner hielt das für eine versuchte Geiselnahme - und löste einen Polizeigroßalarm aus. Aus der Übergabe wurde bei Blaulicht und schwerbewaffneter Polizei dann nichts mehr.

Die Serie von Bombenanschlägen begann bereits im März. Der große Unbekannte nahm aber erst Monate später Kontakt mit der Konzernleitung auf. In einem Erpresserbrief forderte er Ende Juli von der Konzernleitung schließlich die Summe von 5,2 Millionen Mark, zahlbar in verschiedenen Währungen. Am 1.August wunderten sich dann 'BZ'-Leser über eine merkwürdige Anzeige in der Rubrik „Glückwünsche und Telegramme“: „Hallo Klaus! Mit Deinen Vorschlägen sind wir einverstanden. Zeitraum ist in Ordnung. Wir werden Dir die Daten noch mitteilen.“ Unterzeichnet war das Ganze mit: „Ewedak Eitreh“ - rückwärts gelesen: Hertie Kadewe. Bei den Polizeidienststellen liefen die Telefone mit - in diesem Fall nutzlosen - Hinweisen aus der 'BZ'-lesenden Bevölkerung heiß.

Im vergangenen Jahr war es bei einem vergleichbaren Versuch, das KaDeWe zu erpressen, ebenfalls zu einer Panne gekommen. Ein Geldbote der Berliner Polizei hatte auf ein Funksignal hin einen Geldkoffer mit 500.000 Mark aus einem fahrenden S-Bahnzug geworfen. Das Bahngelände wurde überwacht, doch der Erpresser entkam samt Beute. Die Polizei behauptet, daß es sich im jüngsten Erpressungsfall um einen anderen Täter handelt. Obwohl sich seit Anfang März zeitweise bis zu 130 Beamte auf die Fersen des Bombenlegers geheftet haben, fehlt ihnen bis heute jede heiße Spur. Die Fahnder glauben zu wissen, daß der Erpresser Deutscher ist und „über elektronische Kenntnisse verfügt“. Polizeipräsident Schertz: „Mehr wissen wir nicht.“

ccm/cb