Mister Musical

■ Ein Jahr „Starlight Express“ oder der Zug ins Märchenland des profitablen Kulturbetriebs. Eine wahre Geschichte aus Bochum

Christof Boy

Rainer Holbe flunkert, ohne rot zu werden. „Das ist unser Hausherr hier, dessen Gastfreundschaft wir es zu verdanken haben, daß das Frühstücksfernsehen von RTL plus aus der 'Starlight Express'-Halle sendet - Friedrich Kurz.“ Am Donnerstag morgen ist der einzige Gast vor der Fernsehkamera Rainer Holbe selbst; eingeladen zur eigenen Sendung, deren Inhalt ganz von der Firma „Stella Publishing“, der neuen Fernsehproduktionsfirma von „Mister Musical“ Friedrich Kurz, bestimmt wird. Rainer Holbe ist weniger der souveräne Moderator, sondern eher ein Statist im Dienste des Hauses Kurz; ihn hat man nur auf die Bühne geholt, weil es komisch wirken würde, wenn Friedrich Kurz selbst die Moderation des Frühstücksfernsehens übernommen hätte.

Wie sieht Fernsehen aus, wenn es von „Starlight Express“ produziert wird? Eine rein rhetorische Frage, denn wie soll schon ein Programm aussehen, das von hauseigenen Kameraleuten, mit hauseigenen Darstellern im eigenen Haus entsteht. Fitneßübungen zum Aufwärmen zu Hause vor dem Bildschirm mit Mitgliedern des „Starlight„-Ensembles, Gespräche mit Mitgliedern des Ensembles, Mitglieder des Ensembles im Gespräch, dazu Mode von Karl Lagerfeld. Und dann darf Friedrich Kurz endlich das tun, wovon Unternehmer sonst nur träumen. Er entreißt Rainer Holbe das Wort und interviewt Malcolm McLaren über sein neues Filmprojekt, die Fernsehserie „Magic“. Der Produzent der Serie, die der Norddeutsche Rundfunk ausstrahlen wird: Friedrich Kurz. Ort der Handlung: ein Operettenhaus in Hamburg. Frage von Kurz an seinen Kompagnon Malcolm McLaren: „Wie siehst du die Serie, die wir gemeinsam machen werden?“ Das ist der Fernsehjournalismus der Neunziger. Kurz und kommerziell.

Vor gut einem Jahr kam Friedrich Kurz aus Schwaben nach Bochum. Dort gelang ihm, dem Andre Heller der schnellen Mark durch billige Effekte, dem Impresario des kommerziellen Musicals vom High-Tech-Reißbrett, ein märchenhafter Coup. Er redete den SPD-Ratsvertretern der finanzschwachen Gemeinde ihren immer noch rückwärts gewandten Blick auf die einst rosigen Zeiten der Kohle aus und verhieß statt schwarzem Gold aus dunklen Tiefen ein gleißendes Multimedia-Spektakel am Sternenhimmel - „Starlight Express“. Für das vage Versprechen, die Lokomotiv-Show auf Rollschuhen würde das ramponierte Image aufpolieren, Touristen wie die Lemminge in die Stadt locken und die Feuilletons dieser Republik füllen, erhielt Kurz von der Kommune eine maßgeschneiderte Musical -Halle.

Wo für jeden etwas abfällt, gibt es nur strahlende Sieger. Kurz‘ Kapital scheint sich schon jetzt zu rentieren, obwohl sich das Unternehmen angeblich noch nicht in der Gewinnzone bewegt. Dafür liegt „Starlight“ auf dem Stimmungsbarometer der Stadt ganz oben. Die Zeit zum Feiern ist kaum günstiger zu wählen. Die Jubiläen, die für das Marketing so wichtig sind, purzeln nur so. Ein Jahr „Starlight“. 500.Vorstellung. 700.000 Besucher. Der Bochumer Wirtschaftsdezernent Johannes Freimuth, der bei einem „Cats„-Besuch in Hamburg so hingerissen war, daß er den Musical-Produzenten mit „Starlight Express“ nach Bochum einlud und einen großen Bahnhof bereitete, ist immer noch begeistert: „Ich glaube, die Kritiker und Spötter sind heute stumm; sie müßten stumm sein.“

Die Gleichung mit dem unbekannten Risiko, heute ist sie für alle eine Rechnung, die glänzend aufging. Der Fremdenverkehrsverein vermeldet zum ersten Mal schwarze Zahlen, die Hotels sind zu 90 Prozent ausgelastet, und die Stadt freut sich über 200 Arbeitsplätze. Durch seinen Bruder Bernhard, der in Bochum die Geschäftsführung von „Starlight“ übernommen hat, ließ Kurz verkünden, daß die Rollschuh-Show „mindestens noch drei Jahre spielen wird, denn die Nachfrage wird von Monat zu Monat größer“.

Eine Stadt im „Starlight„-Taumel? Nicht ganz. Die Grünen im Stadtrat sind immer noch skeptisch, ob der versprochene wirtschaftliche Erfolg für die Stadt auch tatsächlich eingetreten ist. Mit einem Gutachten hatten die Grünen vor drei Jahren gegen den Bau der „Starlight„-Halle argumentiert und versucht, die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Stadt anzufechten. Die von den Befürwortern des Projekts angenommene Zahl von 140.000 Hotelbuchungen erschien den Grünen zu optimistisch. Damals wollte niemand etwas davon hören. Jetzt liefert die Stadt selbst die Beweise. In einem Gutachten des Hamburger Gewos-Instituts für Stadt-, Regional - und Wohnforschung ist die Zahl der Gäste, in die Bochum übernachten, auf ein jämmerliches Etwas zusammengeschmolzen. Ganze 20.000 Hotelbuchungen berechnet Gewos für das Jahr 1988, eine Zahl, die das erwartete städtische Umsatzplus durch Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer arg gefährdet.

Unterdessen führt das Ensemble Abend für Abend vor, wie man sich die Welt wirklich vorzustellen hat. Mit Rasanz wird die Fabel über das Wettrennen um den Titel der schnellsten Eisenbahn der Welt abgespult, auf über 1.000 Metern Rollschuhbahn quer durch die Zuschauerreihen. Aber transportiert wird nur eines: das Gesetz des Stärkeren, gepaart mit einem primitiven Sexismus und jener rührseligen Geschichte vom gebeutelten Außenseiter, der dann doch noch den Absprung vom Tellerrand schafft und sich als Held feiern lassen darf. Die kleine Dampflok „Rosty“ schnauft sich durch: gegen die Kraftmeierei der Diesellok „Greaseball“, gegen die schrille bisexuelle „Elektra“ und die quirlige italienische „Espresso“. Vorfahrt für die Ellbogen -Ideologie. Die Liegewagen sind weiblichen Geschlechts, kuppeln mit Vorliebe an die herrischen Zugmaschinen an und fahren immer hinterher. Es kann nur einen geben. Das ist die kurze Botschaft von „Starlight Express“.

In Bochum sind die Weichen längst gestellt für den einen, der aus dem Musical-Spiel als Champion hervorgeht: Friedrich Kurz. Die Erwartung des Profitsegens erscheint umso unwahrscheinlicher, als die Stadt mit der Finanzierung der Halle einen Teil des Risikos übernommen hat.

Auf der Strecke bleibt die Stadt, aber sie mag das noch nicht so recht zugeben. Vom Gewos-Institut hat sich Wirtschaftsdezernent Johannes Freimuth ausrechnen lassen, daß die Subventionen an Kurz sogar zu zusätzlichen Einnahmen für die Stadt führen. 1.257.540 Mark sollen über den Umweg der Gewerbe- und Einkommensteuer jährlich in die Kassen der Stadt fließen. „Da wird mit falschen Zahlen operiert“, argumentiert Jörg Bogumil, Fraktionssprecher der Grünen im Stadtrat, gegen die Schönfärberei. „Die Stadt geht davon aus, daß jeder der 630.000 „Starlight„-Besucher über den Besuch der Show hinaus 30 Mark in Bochum läßt.“ Jörg Bogumil hält diese Annahme für „absolut unrealistisch“, denn viele Reiseveranstalter aus anderen Städten werben zwar mit einem Abend in der „Starlight-Halle“, bringen die Gäste aber anschließend in die Düsseldorfer Altstadt. „Die Leute steigen aus und steigen danach wieder ein. In Bochum gibt da keiner Geld aus.“

Die Profitrechnung der Stadt zeigt aber noch andere Mängel. Selbst wenn man die Zusatzeinnahmen von 1,25 Millionen Mark akzeptiert, hat sich das Unternehmen noch lange nicht rentiert. Die Folgekosten der „Starlight-Halle“, Kapitalverzinsung, Bewirtschaftungskosten, Heizung und Personalausgaben, belaufen sich jährlich auf 1,7 Millionen Mark, davon sind nur 650.000 durch Mieteinnahmen abgedeckt. Auch die Landeszuschüsse von Städtebauminister Christoph Zöpel sind an Bedingungen geknüpft. Zöpel hatte großzügig neun Millionen spendiert, diktierte allerdings eine Auflage: die Halle dürfe nicht länger als drei Jahre kommerziell genutzt werden, andernfalls müsse die Stadt das Geld ans Land zurückzahlen. Bei den optimistischen Prognosen, die Bernhard Kurz derzeit über die mögliche Laufzeit der Show abgibt, wird es immer wahrscheinlicher, daß die Stadt im vierten Jahre zurückzahlen muß.

Bochums Name mag vielleicht bis an den Broadway dringen, bisher hat die Stadt ihren Willen zur Weltläufigkeit allerdings teuer bezahlt. Dicke Gewinne sind nur drin, wenn mehr Gäste in Bochum bleiben, Bier und Lachs, Würstchen und Champagner verzehren. Um das Defizit an Attraktivität zu verringern, hat die Stadt ihr „Stadtpark-Restaurant“ für 24 Millionen Mark zum Schlemmer-Schlaraffenland umbauen lassen. Den Gewinn aus dem gastronomischen Unternehmen wird aber nicht die Stadt abschöpfen; die hat weiterverpachtet und muß sich einmal mehr mit der Gewerbesteuer und den Pachteinnahmen begnügen.

Nicht weniger fragwürdig ist der Hotelneubau direkt am Stadtpark, der ebenfalls von der Stadt finanziert wird. 15,5 Millionnen sind im Haus dafür vorgesehen. Mit Kostensteigerungen darf gerechnet werden. Gleichzeitig kündige der Musical-Produzent Kurz über seine Firma Stella an, daß er einen Umbau des Foyers der „Starlight-Halle“ wünsche. Gegenüber der Stadt gab sich Kurz generös. Ein Drittel der anfallenden Kosten würde er selbst übernehmen, den Rest müsse die Stadt zuschießen. Das sind wieder 800.000 Mark, die Bochum zahlen soll. Die Liste der Folgekosten ließe sich fortsetzen, denn überall, wo das Wort „Starlight“ fällt, muß die Stadt kräftig zulegen. 4,6 Millionen für die Herrichtung der Außenanlagen des Parkhauses und die Zufahrt zum „Starlight„-Komplex, Umbauten an der Straßenkreuzung, eine neue Ampelanlage. Paradoxon am Rande: wenn die Halle tatsächlich einmal für etwas anderes als den Rollschuhzirkus genutzt werden soll, muß sie umgebaut werden, denn die gesamte Bühneneinrichtung und die Ausstattung des Zuschauerraums mit Rollschuhbahnen ist ganz auf die Mammut -Show zugeschnitten. Geschätzte Kosten für die Umrüstung auf Normalbetrieb: 2,5 Millionen.

Wer einen materiellen Nutzen nicht nachweisen kann, muß mit ideellen Werten hausieren gehen. Die Stadt Bochum, die immer von einer „kommunalen Investition“ gesprochen hat, sieht plötzlich nur noch den Imagegewinn: „Wichtiger war die Überlegung, durch 'Starlight Express‘ eine Vesserung der Qualität des Standorts Bochum und auch des Ruhrgebiets zu erreichen“, erklärt Johannes Freimuth und nennt, ganz der positiv denkende Verwaltungsbeamte, noch einmal die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze. Dabei vergißt er einfach, daß das Gros der Ensemblemitglieder noch immer aus Holland, England und Amerika eingeflogen werden. Eine spürbare Entlastung für die drückende Arbeitslosigkeit im Revier kann „Starlight“ also gar nicht sein.

Eigentlich ist Friedrich Kurz und seinem Großverweser Bernhard nichts vorzuwerfen. Die haben nur geschickt austariert, wie sich kommunale Omnipotenzphantasien in harte Mark umsetzen lassen. Daß diese neue Form einer kommerziellen Theaterplatitüde mit städtischer Subvention vor allem in SPD-regierten Ländern und Gemeinden funktioniert, ist kein Zufall. Gern schmücken sich die Genossen mit den Federn des Fortschritts, wenn der kulturelle dann auf Rollschuhen daherkommt und mit dem Wörtchen High-Tech versehen ist, glänzen landauf, landab die Augen der Sozis. In Bochum liegt der Wahlkreis des Städtebauministers Christoph Zöpel. In Bochum sucht die heimische Polit-Elite den Glanz der Glamour-Show wie die Motten das Licht. Das Orchester von „Starlight Express“ taucht auch schon mal bei Geburtstagen prominenter Persönlichkeiten der Stadt auf, ein Plakat mit dem „Starlight„-Emblem für den SPD-Kommunalwahlkampf war schon in Druck, wurde dann aber wegen urheberrechtlicher Bedenken zurückgezogen.

Da trifft es sich ganz gut, daß sich die munteren Schwaben rasch zu rührigen Lokalpatrioten entwickelt haben. Friedrich Kurz ist Mitglied im industriefreundlichen „Initiativkreis Ruhrgebiet“, der auf eine Anregung des Bundeskanzlers zurückgeht; sein Bruder Bernhard sitzt im Verein „Pro Ruhrgebiet“ und entwickelt visionäre Gedanken über den Strukturwandel im Revier: „Wir wollen weitere Investitionen im Ruhrgebiet tätigen. Ich glaube, das Ruhrgebiet hat nur dann eine Chance, nach vorn zu kommen, wenn die Rivalitäten zwischen den Städten beigelegt werden, wenn sich das Ruhrgebiet als eine Stadt begreift. Warum heißt es hier nicht einfach City Ruhr?“

Nun paßt die Emanzipation des Ruhrgebiets hervorragend in das Unternehmenskonzept der Gebrüder Kurz. Im Moment verhandeln sie mit dem Land über eine neue Vertriebsorganisation der Vorverkaufskarten. Das computergesteuerte „Teleticket„-System, mit dem der agile Impresario bereits seine Projekte abrechnet, soll auf alle Veranstalter kultureller Programme in NRW ausgedehnt werden. Der Theaterbesucher in Essen kann dann ein Kartenpaket abonnieren, das neben herausragenden Stadttheaterprogrammen auch einen Besuch bei „Starlight Express“ miteinschließt. So erklärt sich das biedere Familienmusical endlich selbst als ebenbürtig mit den etablierten und profilierten Stadttheatern. Falls sich „Teleticket“ tatsächlich etablieren sollte, ergibt sich daraus noch ein durchaus erwünschter Nebeneffekt. Kurz erhält die Kontrolle über den Kartenvorverkauf der Konkurrenztheater. Mit dem „Starlight Express“ geht es also Zug um Zug ins Märchenland des profitablen Kulturbetriebs. In diesem noch herbeigesehnten Land von Sterntaler und Hans im Glück wird allerdings nur einer regieren, die anderen stehen als Statisten daneben. Sie können sich höchstens dazu gratulieren, eine theaterpolitische Entscheidung gefällt zu haben, die nur ein Gesetz kennt: das Gesetz der freien Marktwirtschaft, die frei genug ist, daß ein Unternehmer Subventionen von der Stadt fordern und annehmen kann.