Ein Superboss blockiert Peugeot

Neun Milliarden Francs Gewinn, aber Peugeot-Chef Calvet will den Kuchen nicht teilen / Streikende ArbeiterInnen zogen gestern nach Paris / Frankreichs „heißer Herbst“ beginnt dieses Jahr ausgerechnet in der Musterfabrik im Elsaß  ■  Aus Paris Alexander Smoltczyk

Jacques Calvet ist nicht nur Generaldirektor, er ist „Monsieur Präsident-Generaldirektor“, und deswegen weiß er auch Bescheid: „Die Gewinne von heute müssen die Arbeitsplätze von morgen vorbereiten“, erklärte er im Fernsehen. Wenn Peugeot in diesem Jahr nicht wieder überdurchschnittlich investiere, könne er für die Zukunft nicht garantieren. Nein, er verachte „seine Arbeiter“ hoppla! - „die Arbeiter“ natürlich keineswegs, aber weitere Angebote als 1,5 Prozent mehr Lohn könne er nicht machen.

Nun haben die ArbeiterInnen von Jacques Calvet nicht an einer Business-School studieren können. In ihrer Einfalt vergleichen sie die Firmenbilanz mit ihren Salärzetteln. Auf ersterer steht: 8,9 Milliaden Francs Reingewinn, auf letzteren steht seit sechs Jahren immer das gleiche: Kaufkraftzuwachs null Prozent.

So besetzten sie, nachdem ihr Boss gesprochen hatte, am Freitag das Karosseriewerk in Mulhouse, nachdem sie schon seit dem 6.September gestreikt hatten. Und weil Calvet auch dann noch nicht verhandeln wollte, als sich das Werk in Sochaux, wo das neue Modell605 gebaut werden soll, dem Streik angeschlossen hat - stehen sie jetzt hier, auf der Pariser „Avenue der Großen Armee“, vor dem Büro des Jacques Calvet. Zu knapp 2.000 sind sie zu Fuß vom Ostbahnhof herübergekommen, mit Trillerpfeifen und den Slogans „Calvet: verhandele oder kündige“. Mindestens 500Francs mehr pro Monat müsse drin sein, sagt ein Plakatträger. Schließlich verdienten die KollegInnen einige Kilometer weiter, in Baden und der Schweiz, sechzig Prozent mehr für die gleiche Arbeit.

„Calvet ist in diesem Jahr zum Patron Nummer1 gewählt worden, weil er Peugeot 1983 vor dem Bankrott gerettet hat. Wir haben den Mund gehalten, um die Restrukturierung nicht zu gefährden. Aber bei neun Milliarden Gewinn muß etwas vom Kuchen abgegeben werden“, sagt Jean Meyer, Chef der Angestelltengewerkschaft CGC bei Peugeot.

Daß die behäbige CGC gestern mit nach Paris gefahren ist und angesichts der Sturheit Calvets gar mit einem Dienst nach Vorschrift kokettiert, ist nicht das einzig besondere an diesem Streik. Gewerkschaften, Regierung und Arbeitgeber

-alle hatten damit gerechnet, daß Frankreichs traditionell heißer Herbst im öffentlichen Dienst beginnen werde, bei den Krankenschwestern, den Postlern oder den Gendarmen. Nun hat ausgerechnet Peugeots Musterbetrieb in Mulhouse, mit seinen 12.000 meist jungen und gut ausgebildeten Beschäftigten den Anfang gemacht. Und weil sich Calvet, Sinnbild des französischen Paternalismus, weigerte, seine rigorose Lohnpolitik zu lockern, sprang der Funke letzte Woche auf das Hauptwerk in Sochaux über, wo es seit dem abgebrochenen Streik 1981 totenstill gewesen war. Ein bloßer Zufall? Das „Jetzt reicht's“ der Peugeot-ArbeiterInnen belegt wohl eher das alte Theorem Tocquevilles, nachdem Menschen gerade dann revoltieren, wenn sich die Situation gebessert hat. Nach sechs Jahren „Rigueur„-Politik mit konstanten Löhnen und boomenden Gewinnen scheint jetzt der Punkt erreicht, wo die versprochene bessere Zukunft sich gefälligst zu vergegenwärtigen habe.

Das Pikante an den Forderungen der Blaukragen von Mulhouse und Sochaux ist denn auch, daß sie vollkommen auf Regierungslinie liegen. Denn angesichts der formidablen Konjunktur hat Premierminister Rocard kürzlich einen „Wachstumspakt“ verkündet, der mittels Verhandlungen die erwirtschafteten Früchte „gerecht“, also gemäß den bisherigen Verteilungsquoten, aufteilen soll.

Bisher hält sich die Regierung aus dem Konflikt heraus, als hätte sie Angst vor der eigenen Courage: denn falls Jacques Calvet, der sich nicht zuletzt im Katalysatorstreit einen Ruf als „tough guy“ erworben hat, öffentlich den Schwanz einziehen sollte, könnte das auch andere Betriebe auf unvernünftige Gedanken bringen. Denn wer hat schon an Business-Schools studiert? Gestern nachmittag jedoch war noch alles offen - fast alles: Die Türen am Firmensitz in der „Avenue der Großen Armee“ blieben den DemonstrantInnen verschlossen.