„Gewalt kann Machtverhältnisse ändern“

Umweltexperten und BürgerInnen treffen sich zum fünften „Toblacher Gespräch“ / Versuch, eine globale ökologische Wende für Europa zu skizzieren / AnwohnerInnen protestieren gegen Autobahnausbau und denken über Widerstand nach  ■  Von Luitgard Koch

Toblach (taz) - Parken mit laufendem Motor ... kann für Sie in Toblach kostspielig werden“, verkündet ein Faltblatt der Südtiroler Gemeinde im Pustertal. Der Auto-Umweltsünder soll seit Juni dieses Jahres rigoros zur Kasse gebeten werden. „Verzichten Sie so oft es geht auf ihren Wagen!!!“ werden die Touristen und Einheimischen zum Umdenken aufgefordert. Möglich, daß dieses Nach- und Umdenken nicht zuletzt mit den „Toblacher Gesprächen“ zu tun hat. Und diese „Einsicht über den Geldbeutel“, wie sie der 51jährige Wissenschaftler für „Allgemeine Ökologie“ an der Universität Bern, Jost Krippendorff, bei der Tagung anspricht, sich bereits durchsetzt. Zum fünften Mal nämlich treffen sich hier im Toblacher Schulhaus Experten und Laien aus Österreich, Italien, der Schweiz und der BRD zum Gedankenaustausch über ökologische Probleme und suchen nach Lösungsansätzen.

Initiiert wurde die Tagung von dem Frankfurter Soziologen und Künstler, Hans Glauber. Der 59jährige gebürtige Toblacher konnte für seine Idee den aufgeschlossenen jungen Fremdenverkehrsdirektor, Johann Viertler, begeistern. Angefangen von „sanftem Tourismus“, „Mobilität und Verkehr“ bis hin zur „Zukunft der Landwirtschaft“ reichte das Themenspektrum der vergangenen Jahre. Zum fünfjährigen Jubiläum nun hatte man sich Großes vorgenommen: Über die einzelnen „Bausteine“ hinaus wurde der Versuch unternommen, „die globale Vision einer ökologischen Wende in Umrissen zu skizzieren“.

Wie sehr die eingeforderte ökologische Wende aber trotz allem noch in weiter Ferne ist, darauf verweist auch der Moderator der Tagung, Krippendorff: „Die Kluft, die zwischen den von der Ökologiebewegung ausgearbeiteten Konzepten und der Praxis existiert, wird immer größer.“ Seine Forderung deshalb: Eigentlich müßten diese Leute in die Politik. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie groß diese Diskrepanz tatsächlich ist, zeigt sich besonders deutlich bei der Podiumsdiskussion mit den eingeladenen Politikern.

Vor allem der Vertreter der Südtiroler Volkspartei, Erich Achmüller, gerät ins Kreuzfeuer der Kritik. Das von ihm geleitete Umweltschutzamt existiert erst seit dieser Legislaturperiode, nämlich drei Monate. Davor gab es kein eigenes Umweltreferat, sondern Umweltbelange wurden unter „Verkehr“ abgehandelt. Pfiffe und Buhrufe begleiten sein Statement. Zum erstenmal wird es in dem Tagungssaal nach all den kompetenten Vorträgen so richtig lebendig.

Der von dem ehemaligen Atomwissenschaftler Klaus Traube angesprochene, so wichtige „Druck von unten“ macht sich bemerkbar. Sauer sind die BürgerInnen vor allem auf ein neues Schnellstraßenprojekt zwischen Bozen und Meran. „Die Landesregierung hat sich einstimmig für diese Autobahn ausgesprochen, Herr Achmüller, ich kann Ihnen nicht mehr glauben“, empört sich eine junge Südtirolerin. Auf der gleichen Sitzung wurde zwar das alljährliche Mendele -Autobergrennen verboten, das Straßenbauprojekt jedoch einstimmig befürwortet. „Dr. Achmüller, lieben Sie das Taufertal?“ fragt eine Teilnehmerin den Politiker, der selbst aus dieser Gegend stammt. Dort ist nämlich ein Großkraftwerk der ENEL, des staatlichen italienischen Elektrizitätsunternehmens geplant. „Das letzte Wort in dieser Sache hat der Vater Staat in Italien“, windet sich Achmüller. Heftig wird es auch, als ein Vertreter der Sterzinger Bürgerinitiative gegen den LKW-Transitverkehr eine Resolution verlesen will. Erst auf Druck der Anwesenden, fast 300 TeilnehmerInnen im vollbesetzten Saal, erteilt ihm der Diskussionsleiter Florian Kronbichler das Wort. „Nicht Luklassen, Tiroler“, so die Überschrift des Papiers. Mit diesem Aufruf soll die Tagung den GegnerInnen des Transitverkehrs den Rücken stärken. Gerade zu diesem Zeitpunkt ist das Thema äußerst brisant. Stehen doch seit Mitte vergangener Woche italienische LKWs am Brenner, um mit ihrer Blockade die Österreicher zu erpressen, das Nachtfahrverbot aufzuheben und mehr Transitvisa zur Durchfahrt zu genehmigen. Die Sterzinger hingegen wollen auch für Südtirol ein Nachtfahrverbot. Einstimmig wird die Resolution angenommen. Der Vertreter des Sterzinger Bürgerkomitees drückt sie dem Politiker auf dem Podium in die Hand. Achmüller soll sie am Abend auf einer Bürgerversammlung in Sterzing verlesen.

Angesichts der abgegebenen Resolutionen fordert ein Teilnehmer dazu auf, doch grundsätzlich noch einmal über die Formen des Widerstands nachzudenken. „Gewalt kann Machtverhältnisse ändern“, provoziert er. Dieser gewalttätige, aber hilflose Widerstand sei ja bereits vorhanden, gibt ihm Bätzing zu verstehen. „Oder haben Sie noch nichts von den Anschlägen auf Seilbahnen, Mastensägern und Kabinenzerstörern gehört?“ Nach Ansicht von Bätzing wird es in kürzester Zeit in den Alpenländern zum Eklat kommen. „20 Jahre tut sich nichts, aber dann platzt die Bombe“, glaubt der Berner.