Afrika schlägt alternative Strukturanpassung vor

UN-Wirtschaftskommission für Afrika erkennt selbstkritisch Notwendigkeit zu Anpassungsmaßnahmen grundsätzlich an / Aber Zweifel an IWF- und Weltbank-Schema / Alternativrahmen soll auf der Jahrestagung beider Organisationen kommende Woche in Washington debattiert werden  ■  Von Rainer Falk

In dem langanhaltenden Streit zwischen der UN -Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) einerseits und IWF und Weltbank andererseits hat die ECA jetzt einen „Afrikanischen Alternativrahmen zu Strukturanpassungsprogrammen“ erarbeitet. Mit dem Dokument werden sich unter anderen der Entwicklungsausschuß von IWF und Weltbank im Rahmen der kommenden Jahrestagung in Washington und die diesjährige UNO-Vollversammlung befassen.

Der Disput hatte an Schärfe gewonnen, nachdem die Weltbank im letzten März in einer gemeinsamen Studie mit dem UN -Entwicklungsprogramm (UNDP) die Behauptung aufgestellt hatte, Länder, die sich in den vergangenen Jahren strengen Stukturanpassungsprogrammen unterworfen haben, wiesen heute eine bessere wirtschaftliche „Performance“ auf als solche mit nur schwachen oder überhaupt keinen Anpassungsmaßnahmen nach dem IWF/Weltbank-Schema. In ihrem Wirtschaftsbericht für 1989 hatte die ECA der Washingtoner Bank darauf hin Realitätsferne und extremen Zynismus vorgeworfen.

Das jetzt arbeitete African Alternative Framework to Structural Adjustment Programmes (Afrikanischer Alternativ -Rahmen zu Stukturanpassungsprogrammen, kurz: AAF-SAP) führt diese Kritik in systematischer Weise fort und stellt dem derzeit vorherrschenden Ansatz in der Strukturanpassung ein umfassendes Bündel alternativer Politikempfehlungen und Maßnahmen entgegen. Zwischen 1980 und 1988 waren 33 afrikanische Länder zu Stand-by-Abkommen mit dem IWF gezwungen, zwölf hatten Zugang zur „Erweiterten Fonds -Fazilität“ (EFF), und 15 bekamen Strukturanpassungsdarlehen von der Weltbank. Die mit diesen Programmen verbundenen strukturellen Anpassungsmaßnahmen, so argumentiert die ECA, hätten sich als ungeeignet erwiesen, um der in Afrika grassierenden Krise Herr zu werden, ja, diese in vieler Hinsicht sogar noch verschärft.

Der Haupteinwand bezieht sich darauf, daß das zugrundeliegende orthodoxe Wirtschaftsmodell einseitig auf die Wiederherstellung des inneren und äußeren finanziellen Gleichgewichts gerichtet ist und damit den spezifischen Strukturen der afrikanischen Ökonomien und Gesellschaften in keiner Weise gerecht wird. Der Appell an die Marktkräfte nutze wenig in einer Situation, die durch schwach entwickelte Produktionsstrukturen und unvollkommene Märkte gekennzeichnet ist: „Der Ruf nach einer Ersetzung des Staates durch Märkte, die kaum funktionieren“, schreibt die ECA, „ist ungerechtfertigt, da Marktkräfte nur, wenn die notwendigen produktiven Kapazitäten geschaffen werden, konkurrenzfähig werden und eine wachsende Rolle als Triebkraft von Wachstum und Entwicklung spielen können.“ In Afrika jedoch bestünde die „simple Wahrheit“ darin, „daß sich viele Länder auf freie Märkte zubewegt haben, ohne in der Lage zu sein, vorhandene Marktchancen voll wahrzunehmen.

Neoklassik nicht anwendbar

Im einzelnen kritisieren die ECA-Autoren die von der IWF und Weltbank favorisierten Instrumente der Wirtschaftspolitik wie folgt: Kreditpolitik: Eine restriktive Kreditpolitik könne zwar die Zahlungsbilanz verbessern, führe jedoch zumeist zur Einschränkung des Produktionsausstoßes und der Investionen, erhöhe den Inflationsdruck und reduziere das zur Verfügung stehende Betriebskapital. Zinssätze: Steigende Zinssätze, wie von IWF/Weltbank vorgeschlagen, ermutigen angesichts der Unvollkommenheit der afrikanischen Geld- und Kapitalmärkte eher die Spekulation als produktive Aktivitäten. Darüber hinaus heizten sie die Inflation an und hätten für den ländlichen Sektor wegen dessen schwacher finanzieller Infrastruktur nur geringe Bedeutung. Wechselkurspolitik: Währungsabwertungen stellten nicht in Rechnung, daß die meisten afrikanischen Länder von Rohstoffexporten zu festgesetzten Quoten abhängig sind, deren Preise vom Weltmarkt determiniert werden, und führten somit oft nur zu einer marginalen Verbesserung der Zahlungsbilanz. Handelsliberalisierung: Die zur Begründung exzessiver Außenhandelsliberalisierung herabgezogene neoklassische Theorie komperativer Vorteile sei nicht anwendbar auf Bedingungen, unter denen die Import- größer als die Exportmöglichkeiten seien. Privatisierungpolitik: Die allgemeine, blinde und doktrinäre Privatisierung des staatlichen Sektors sei nicht nur theoretisch nicht zu rechtfertigen, da sie davon ausgehe, daß der Privatsektor stark genug sei, die Staatsunternehmen zu übernehmen, sondern unverantwortbar: Unter afrikanischen Bedingungen begünstige sie bestenfalls das Auslandskapital. Pauschale Budget-Kürzungen schließlich wirkten sich fast immer negativ auf die soziale Lage der Bevölkerungsmehrheit aus. Der ECA-Bericht verweist hier auf mehrere Studien (u.a. der internationalen Arbeitsorganisation ILO, der Unicef und der Weltbank selbst), deren Ergebnisse darauf hindeuten, daß die soziale Verfaßtheit der afrikanischen Gesellschaften im Zuge der Stabilisierungs- und Anpassungspolitik ernsthaft erschüttert werde.

Die von der Kommission entwickelte Konzeption des „Adjustment with transformation“ bestreitet für die afrikanischen Länder nicht prinzipiell die Notwendigkeit, sich an veränderte innere und äußere Rahmenbedingungen anzupassen. Als solche Strukturmängel in der afrikanischen politischen Ökonomie identifiziert die Studie unter anderem das Übergewicht des Subsistenz- und Handelssektors, die schwache, desartikulierte Produktionsbasis mit schlecht angepaßter Technologie, die systematische Vernachlässigung des informellen Sektors, die sich verschlechternden Umweltbedingungen und die einseitig auf den „urban bias“ ausgerichtete Entwicklungspolitik.

Notwendig seien Entwicklungsstrategien, in deren Mittelpunkt (1) die Linderung der Armut und die Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung („human-centred development“), (2) die Ankurbelung eines eigenständigen und dauerhaften (self-sustaining) wirtschaftlichen Wachstums und Entwicklungsprozesses und (3) die Förderung der ökonomischen Integration Afrikas im Sinne des nationalen und regionalen „Collective Self-Reliance“ stünden.

Seinen gegenüber der traditionalen Anpassungspolitik alternativen Charakter gewinnt das ECA-Konzept vor allem dadurch, daß es sich als ganzheitlichen (holistischen) Ansatz versteht, der die Gesamtheit der in afrikanischen Gesellschaften relevanten Entwicklungsfaktoren ins Blickfeld nimmt.

Bruch mit eigenen Prinzipien

In einer Reihe entscheidender Punkte brechen die im Rahmen von AAF-SAP vorgeschlagenen Politikempfehlungen sowohl mit der von IWF und Weltbank bislang verordneten Praxis, aber auch mit Prinzipien und Praktiken, die vielen afrikanischen Regierungen bis dato lieb und teuer sind: Staat und privater Sektor: Hier plädiert die ECA für ein „pragmatisches Gleichgewicht“ zwischen staatlichen und privaten Initiativen. Notwendig sei jedoch die Überwindung exzessiv zentralisierter Bürokratien zugunsten von lokaler Dezentralisierung, der Unterstützung von Basis(grass-root) -Initiativen und kommunaler Selbstverwaltung. In diesem Sinne wird auch eine „selektive Privatisierung“, vor allem in nichtsozialen und nichtstrategischen Sektoren, befürwortet. Veränderte Prioritäten bei der Ressourcenmobilisierung und

-verwendung: Die ECA schlägt eine Reservierung von 20 bis 25 Prozent der Staatsausgaben für die Landwirtschaft und von weiteren 30 Prozent für Aufgaben der sozialen Sicherheit und Versorgung vor. Dabei sollen sich die afrikanischen Länder vor allem auf die Mobilisierung interner Ressourcen stützen sowie eine Umschichtung staatlicher Ausgaben auf Kosten nichtproduktiver Aufwendungen anstreben. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang das im Vergleich zu Lateinamerika oder Asien überdurchschnittliche hohe Niveau von Militärausgaben in Afrika. Währungs- und Finanzpolitik: Bemühungen zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte müßten den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsprioritäten untergeordnet werden. In diesem Sinne schlägt die ECA selektive Zinsraten (um ländliche, produktive und soziale Aktivitäten zu unterstützen), multiple Wechselkurse (um schwerpunktmäßig lebensnotwendige Importe zu fördern, Luxusgüterimporte und Kapitalflucht dagegen zu ent- und Kapitalzuflüsse zu ermutigen) und eine Begrenzung des ausländischen Schuldendienstes auf ein mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verträgliches Niveau vor. Demokratisierung: Die vielleicht größte Herausforderung für die afrikanischen Regierungen selbst bedeutet die in dem Dokument stark betonte Notwendigkeit „größerer Massenpartizipation“ an den politischen Entscheidungsprozessen. Es spricht für die Ernsthaftigkeit der gemachten Vorschläge, daß die ECA explizit anerkennt, daß es heute in vielen afrikanischen Staaten gerade an der Verwirklichung von Grundrechten und individuellen Freiheiten mangelt und daß eben dies ein Haupthindernis bei der Mobilisierung der Bevölkerung zu Reformanstrengungen darstellt. In jedem Falle sollten aber diejenigen, die in den Industrieländern auf der Suche nach einer grundlegenden Alternative zum neokolonialen Adjustment sind, den neuen afrikanischen Vorstoß gründlich zur Kenntnis nehmen.

Der Aufsatz wurde stark gekürzt dem „Informationsbrief Sonderdienst Weltwirtschaft und Entwicklung“ entnommen (Abonnement: ASK, Hamburger Allee 52, 6000 Frankfurt a.M.)