Ungarn: Weg frei für Wahlen

■ Direktwahl des Staatspräsidenten ist noch für dieses Jahr vorgesehen / Ein überparteiliches Gremium soll Rundfunk und Fernsehen beaufsichtigen / Abbau der Parteiprivilegien weiterhin umstritten

Berlin (taz) - Die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei, das Oppositionsbündnis „Runder Tisch“ und die „dritte Seite“, eine Reihe von Massenorganisationen, die sich von der USAP freischwimmen, haben sich über die Grundzüge des Übergangs zum parlamentarisch-demokratischen System geeinigt. Ungarn soll noch in diesem Jahr einen direkt gewählten Präsidenten erhalten, in Zukunft aber soll der Präsident dann durch das Parlament bestimmt werden. Ursprünglich hatten die Oppositionsparteien auf einen späteren Termin gedrängt. Der jetzige Kompromiß macht den Weg frei für die Kandidatur Imre Pozsgays, des in Ungarn gegenwärtig populärsten Politikers.

Mit der Übereinkunft, nur politische Parteien zur Wahl zuzulassen, wird der Rest eines „volksdemokratischen“ Konstruktes beseitigt, das soziale Gruppen direkt an der politischen Repräsentation beteiligte. Dieser Entscheid wird die offiziellen Gewerkschaften, den Jugend- und Frauenverband dazu zwingen, eine neue Legitimation durch gesellschaftliche Arbeit zu finden. „Hüter“ der Verfassung wird nach dem Vorbild des amerikanischen Konstitutionalismus ein Verfassungsgericht sein, das das Recht zur Überprüfung von Gesetzen erhält. Bei der Pluralisierung der Medien, nach wie vor ein kardinaler Streitpunkt in Ungarn nicht weniger als in Polen, nähert man sich einer Selbstverwaltungslösung. Eine überparteiliche Körperschaft aus bekannten Journalisten soll künftig Rundfunk und Fernsehen leiten. Nach wie vor strittig ist, wie die „Erblast“ des Nomenklatursystems beseitigt werden soll.

Die Partei ist jetzt auch bei der Frage der kommunistischen Parteizellen in Institutionen und Betrieben zurückgewichen. Künftig wird die Arbeit politischer Parteien am Arbeitsplatz generell ausgeschlossen sein. Die USAP wird sich auf das „Territorialprinzip“ umstellen, wofür ihr eine Übergangszeit zugestanden wurde. Als Vorgriff auf diese Lösung hat sich die Parteiorganisation beim Obersten Gericht aufgelöst.

Umstritten ist nach wie vor auch das Schicksal der Betriebskampfgruppen, ein Zentrum orthodoxer, oppositioneller Betriebsamkeit. Freilich scheinen sich die Kampfgruppen zum Teil schon damit abzufinden, daß künftig auf keine Staatsknete mehr zu hoffen ist. Erste KFZ -Reperaturwerkstätten der Kampfgruppler haben ihren Betrieb aufgenommen. Schwerhörig ist schließlich die Partei, soweit es um das von ihr in den vergangenen Jahrzehnten angehäufte Vermögen sowie um die Tätigkeit der mit Privilegien ausgestatteten Parteibetriebe geht. An dieser Frage, die vor allem von dem demokratischen Jugendverband Fidesz aufgeworfen wird, werden sich auch nach den Wahlen die Demokraten die Zähne ausbeißen.

Christian Semler