SPD geht auf Distanz zur SED

Die Rangfolge der Gesprächspartner wird umgekehrt  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Akzentverschiebung oder mehr? Auf der traditionellen Journalistenrunde am Dienstag morgen schlug der SPD-Parteivorsitzende Hans Jochen Vogel jedenfalls unüberhörbar härtere Töne an, als er den vierseitigen Beschluß des Parteivorstandes zur künftigen Deutschlandpolitik erläuterte. Der Dialog mit der DDR -Führung wird zwar nicht aufgekündigt, aber mit dauerhaften Auflagen versehen: „Es wird keine Begegnung geben, ohne daß von SPD-Seite zunächst über den Flüchtlingsstrom und die Entwicklung in der DDR geredet wird.“ Hieß es noch im „Dialogpapier“, daß die Kirchen „auch“ Gesprächspartner seien, und hatte die SPD während der „Politik der kleinen Schritte“ jeden Verdacht vermieden, gewissermaßen hinter dem Rücken der SED-Führung Kontakte mit Dissidenten zu intensivieren, so wird jetzt die Rangfolge der Gesprächspartner umgekehrt: „Mit den Kirchen, deren feste und besonnene Haltung wir begrüßen. Mit den Reformgruppen, mit denen wir seit langem Kontakte unterhalten und die wir immer wieder ermutigen. Aber auch die Führung der SED, die erkennen muß, daß ihre bisherige Haltung zu unberechenbaren Prozessen im Herzen Europas führen kann.“

Vogel kündigte auch an, bereits in Kürze würden Treffen mit Vertretern der Kirche und Reformgruppen nachgeholt, die durch die Besuchsabsage der SED nicht zustandekamen. Diese Absage wertete er als ein Zeichen der Schwäche. Sie werde die Veränderung des Klimas in der DDR beschleunigen und könne die Spannungen verschärfen.

Die erste Erfahrung dieses deutschlandpolitischen Stilwandels lag inzwischen vor: die Einreiseverweigerung für die Bundestagsabgeordneten Duve und Weisskirchen. Sie hatten nach der Besuchsabsage durch die SED ihrerseits eine offizielle Reise des Arbeitskreises „Kunst und Kultur“ durch den Norden der DDR abgesagt, sich aber am Montag in Pankow mit Menschenrechts- und Umweltgruppen aus Ost-Berlin, Dresden und Magdeburg treffen wollen. Hans Jochen Vogel beschränkte sich am Dienstag allerdings darauf, die Einreiseverweigerung zu erwähnen. Fortsetzung auf Seite 2

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Daß womöglich mehr als ein deutschlandpolitischer Stilwandel bei der Sozialdemokratie ins Haus steht, lassen andere Äußerungen Vogels vermuten: Unterstützende wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen kämen erst dann in Betracht, wenn in der DDR der Beginn der Reformen zu bemerken sei. Im übrigen erfordere die gegenwärtige Situation ein Höchstmaß an Übereinstimmung in der Deutschlandpolitik zwischen allen Bonner Parteien. Als möglichen Rahmen nannte Vogel eine Einladung des Vorsitzenden des inner

deutschen Bundestagsausschusses Hans-Günter Hoppe (FDP), parteiübergreifend über einen gemeinsamen Kurs gegenüber der DDR zu reden. Bemerkung am Rande: Das Treffen mit dem Dresdner SED-Parteichef Hans Modrow, der in der nächsten Woche auf Einladung der SPD nach Baden-Württemberg kommt, nimmt an Gewicht zu. Vogel ließ die Möglichkeit eines Treffen mit Modrow, der als Anhänger Gorbatschows apostrophiert wird, beziehungsreich offen.

Willy Brandt äußerte sich in einem Interview mit 'Le Monde‘ deutlicher: Er würde das Dialogpapier unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr unterschreiben. Zwar dürfe unsere Politik nicht auf die „Möglichkeit eruptiver Bewegun

gen“ in der DDR begründet werden; diese seien jedoch nicht mehr auszuschließen. Den Begriff der „Wiedervereinigung“ lehne er allerdings ab: Er sei auch gar nicht verfassungskonform. Das Grundgesetz rede nicht von „Wiedervereinigung“, sondern von „Einheit“, die zwar zwar ein „Maximum von Einigung“ verlange, aber nicht notwendigerweise die Existenz nur eines einzigen deutschen Staates bedeute. Allerdings könne man „die Hypothese nicht ausschließen.“