DKP-Chef: „Planwirtschaft ist Unsinn“

■ Öffentliche Debatte um den Zustand der DKP / Bezirksvorsitzender Dieter Gautier: „Wir sind weiter denn je vom Sozialismus entfernt“

„Wir sind jahrzehntelang einem falschen Sozialismusbild hinterhergelaufen.“ Dieter Gautier, Bezirksvorsitzender der DKP Weser-Ems, setzte am Dienstag abend zur Generalabrechnung an. „Was ist los mit der DKP“ hatte seine Partei flächendeckend auf großen Plakaten gefragt und zur Diskussion in die DKP-Zentrale an der Contrescarpe geladen. Über 200 Interessierte drängelten sich in dem viel zu kleinen Versammlungsraum. „Ich habe in vierzehn Jahren hier nicht so eine offene Diskussion gesehen“, faßte ein türkischer DKP-Sympathisant nach über zwei Stunden angespannter Debatte zusammen.

Tatsächlich - die Bremer DKP-Führung bricht heute nicht nur mit Lenins Prinzip des demokratischen Zentralismus (Gautier: „Ich stelle sogar den Grundsatz in Frage, daß es Fraktionen in der Partei nicht geben darf“), sondern auch mit der Grundlage marxistischer Wirtschaftstheorie im real existierenden Sozialismus. „Planwirtschaft gleicht einer Befehlswirtschaft“, rief der Bremer DKP-Chef Gautier in die Versammlung, „sie ist offensichtlich Unsinn, denn der Markt enthält ein demokratisches Ele

ment.“

Selbst längst ausgetretene ehemalige DKP-Genossen konnten die neue Wahrheit kaum fassen. „Ich bin verwirrt“, gestand einer von ihnen und fragte sich, ob der Düsseldorfer Parteivorstand nicht vielleicht doch einen Grund hat, wenn er die Bremer Erneuerer-Fraktion im Februar aus der Partei werfen will: „Auch Lenin hat solange gespalten, bis er die Revolution machen konnte. Gibt es hier vielleicht auch eine revolutionäre Situation?“ Nein, die gibt es nicht. „Wir haben offenbar die Entwicklungs-Möglichkeiten des Kapitalismus unglaublich unterschätzt. Heute sind wir weiter denn je von unserem revolutionären Ziel Sozialismus entfernt“, entgegnete Gautier.

Auch Hermann Gautier, 69jähriger Vater des heutigen Bremer DKP-Vorsitzenden, mochte nicht widersprechen. „Ich bin seit 44 Jahren Mitglied der kommunistischen Partei, 13 Jahre war ich ihr stellvertretender Vorsitzender. Da schmerzt es natürlich, aber mein Sohn hat in vielem recht“, sagte er, konnte sich dann aber doch nicht den Hinweis vermeiden, mit dem parteiinterne Kritik bisher totgeschlagen wurde: „Natürlich nutzt der Klassengegner

jede Schwäche aus, die wir ihm bieten.“

„So ein Quatsch“, entfuhr es einer gerade ausgetretenen DKP -Aktivistin. „Wir haben immer geglaubt, und Du, Hermann, verlangst, daß wir weiter glauben. Das Bekennertum muß endlich

mal aufhören. Ich will nicht mehr agitiert werden wie ein totes Pferd.“ Sie selber fühlt sich durch ihren Parteiaustritt „befreit, befreit auch davon, diese blöde UZ ins Haus zu kriegen.“

Entgegengesetzte Wirkung zeigt die gleiche Ursache bei ei

ner anderen DKP-Aktivistin. „20 Jahre habe ich sehr fleißig, lieb und nett für die Partei gearbeitet“, bekennt sie, „jetzt bin ich total orientierungslos. Ich habe so oft Stellvertreterpolitik gemacht, lohnt es sich heute überhaupt noch, aktiv zu sein?“ Doch Resi

gnation wollten die Veranstalter vom Vorstand nicht aufkommen lassen. „Der Kampf um die DKP ist noch nicht abgepfiffen“, bekräftigte Gautier. Und auch seine Vorstands -Kollegin Heidi Knake-Werner sieht noch „eine hauchdünne Chance auf dem Parteitag“. Eine Chance allerdings nicht für den Machtwechsel in der DKP, „sondern dafür, daß die Mehrheit akzeptiert, daß es in der Partei eine Minderheit der Erneuerer gibt“.

Doch was passiert, wenn der wahrscheinlichere Fall eintritt: Ausschluß der Erneuerer oder womöglich sogar des ganzen Bremer Bezirksverbandes? „Schon heute gibt es Genossen, die sagen, Politik machen wir am besten bei den Grünen“, wußte Knake-Werner zu berichten. Und der ehemalige Spitzenkandidat der BAL und Betriebsratsvorsitzende bei Hapag-Lloyd, Jürgen Sönksen, fragt: „Worin unterscheidet sich Gautiers Partei eigentlich noch von einer sozialdemokratischen?“

Am 5. Oktober, 19:30 Uhr, wird die Diskussion in der HfT -Mensa fortgesetzt. Ernstgemeintes Thema der DKP -Veranstaltung: „Sozialismus am Ende?“

Dirk Asendorpf