: Ost-West-Handelszentrum statt Müllhalde
■ Kreuzbergs Bürgermeister fordert Legalisierung des Polenmarktes / Senat erwägt eine „Verlagerung“ des Handels
Die Saubermänner kamen, sahen und hielten sich die Nase zu: acht aufrechte Bezirksverordnete der Kreuzberger CDU nahmen vor ein paar Tagen den Polenmarkt im Mendelsohn-Bartholdy -Park in Augenschein, um sich selbst das zu bestätigen, was sie schon vorher wußten: Der Rasen ist plattgetreten, aus den Papierkörben quillt der Müll. Die politische Umsetzung ihrer Untersuchung vor Ort konnte man vor einer Woche in der Kreuzberger BVV begutachten: nicht der Müll muß weg, sondern die, die ihn verursachen: die Polen. Der Bezirk soll den Park einzäunen, forderte die CDU, und der Senat soll bei den Alliierten dafür eintreten, daß polnische Staatsbürger bei der Einreise nach West-Berlin künftig einer Visumspflicht unterliegen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der BVV wird der Senat mit diesem Anliegen nicht behelligt; statt dessen wandte sich vor zwei Tagen Bezirksbürgermeister König an den Regierenden Bürgermeister Momper. Sein Bezirk, so König, könne den Polenmarkt in dieser Form nicht länger hinnehmen. Der Druck der Bevölkerung sei sehr stark, „und das sind überwiegend eben keine Fremdenhasser“. König fordert, das eingezäunte Gelände neben dem Krempelmarkt am Reichpietschufer wieder zu öffnen. „Dann muß man den Markt eben legalisieren.“
Daß ein Verbot möglicherweise nicht den gewünschten Erfolg bringen könnte, hielt Finanzsenator Meisner einen Tag vor dem Verbot nicht für ausgeschlossen, wie er in einem vertraulichen Vermerk ausführte: „Erst wenn ein solches Experiment scheitert, wenn also in der Öffentlichkeit auch bewiesen ist, daß trotz des energischen Durchgreifens des Senats die Zahl der in Berlin Handel treibenden Polen nicht vermindert werden kann, wäre eine Kanalisierung mit dem Einverständnis der Berliner Öffentlichkeit durchzuführen.“
„Nach eingehender Aussprache“ hatte der Senat am 20. Juni dem Polenmarkt den Garaus gemacht. Man meinte gar, damit auch den Polen einen Gefallen getan zu haben, denn laut Senatsbeschluß handelt es sich bei den angebotenen Waren „um Mangelerzeugnisse, deren Vertrieb in Berlin der Versorgungssituation in Polen erheblich schadet“. Diese Art von Fürsorglichkeit lehnten mehrere polnische Organisationen damals dankend ab und protestierten heftig gegen die Folgen dieses Beschlusses: Razzien, Durchsuchungen an S- und U -Bahnstationen, Abschiebungen, Ausweisungen und die Datenerfassung von polnischen Kleinhändlern, die erwischt wurden. Meisner spricht in seinem Vermerk vom 19. Juni 1989 in diesem Zusammenhang von erforderlichen „Sonderaktionen“ des Zolls.
Ob der Senat das „Experiment“ tatsächlich für gescheitert hält, ist unklar. Der Vorschlag von König solle geprüft werden, erklärte Senatssprecherin Kiele. Hatte man noch vor einigen Wochen keinen Handlungsbedarf gesehen, sei nun klar, „daß sich was verändern muß“. Es werde zur Zeit geprüft, inwieweit „eine Verlagerung des Handels möglich sei“.
anb
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