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Selbsthilfeknete vom Staat - der quotierte Topf

■ Selbsthilfegruppen, Frauen- und Alternativprojekte spinnen neue „basisdemokratische“ Fördermodelle für die Vergabe von Senatsknete aus

Der rot-grüne Wahlsieg verbreitete auch in Berlins Projektszene zunächst Hoffnungen, wenn nicht gar Euphorie. Jahrelang hatte sich mensch mit der kostendämpfenden Sozialpolitik von Senator Ulf Fink (CDU) herumgeschlagen müssen, hatte sich die Projektgelder kürzen und sich mit Niedriggehältern abspeisen lassen. Nun versprach das Programm der neuen Koalition, die Förderung von Selbsthilfegruppen, Frauen- und Alternativprojekten maßgeblich zu verbessern.

Beratungsprojekte wie „AK Staatsknete“, „Netzwerk“, „Stattwerke“ und „Goldrausch“ mobilisierten alsbald ihre „Basis“, VertreterInnen aus mehreren Dutzend Projekten, um neue Fördermodelle und Vergabekriterien für die Gelder aus dem ehemaligen „Fink-Topf“ zu entwerfen und ihren Forderungen nach mehr Geld Nachdruck zu verleihen.

Besonders entschieden traten beim „Ex-Fink-Topf-Treffen“ die Frauenprojekte auf. Während der CDU-Ära hatten sie um jede Mark kämpfen müssen. Die Frauenmehrheit im Senat plus Frauensenat ließ nun auf bessere Zeiten hoffen. Mindestens 50 Prozent der Gesamtfördersumme müssen für Frauenprojekte vergeben werden. Über die Vergabe entscheidet eine Frauenkommission. Über reine Selbsthilfeprojekte hinaus sollen auch freie Institutionen der Frauenbewegung (Gruppen, Vereine, Initiativen) gefördert werden, „die an der Entstehung und Weiterentwicklung der Frauenkultur arbeiten,“ lauteten daher die Forderungen der Frauen-AG.

Sie stießen im gemischten Plenum nicht nur auf Gegenliebe. Es wurde diskutiert und gefeilscht bis Mitte Juli die „Vorschläge für eine innovative, gerechte und solidarische (Sozial-)politik in Berlin“ fertig waren für die Verhandlungen mit dem rot-grünen Senat. Danach soll die Senatsverwaltung ihre bisherige Entscheidungskompetenz über die Vergabe von Selbsthilfegeldern weitgehend an zwei neuzugründende „Förderkommissionen“ abgeben. Eine Frauenkommission entscheidet über 50 Prozent der Mittel für Frauenprojekte, eine paritätisch besetzte über die andere Hälfte für gemischte Projekte. Jede Kommission besteht aus sieben Personen, von denen vier aus Projekten, drei aus anderen Bereichen kommen. Diese Mitglieder werden für zwei Jahre gewählt, je die Hälfte muß jährlich rotieren. Der bisherige Beirat aus VertreterInnen traditioneller Verbände wird aufgelöst.

Jedes beantragende Projekt kann eineN unabhängigeN GutachterIn beauftragen. DieseR beurteilt das Projekt; die Senatverwaltung berät; entschieden jedoch wird in den Förderkommissionen.

Soweit die Vorstellungen, die am 8. September öffentlich vorgestellt wurde (die taz berichtete). Auf die Wirklichkeit zurechtgestutzt wurde sie wenige Tage später. Am 11. September wurde das neue Modell im Gespräch mit Sozialsenatorin Ingrid Stahmer und Frauensenatorin Anne Klein erörtert. Frau Stahmer nutzte den Termin, um in erster Linie ihre eigenen Vorstellungen darzulegen. Danach soll der jetzige Beirat (fünf Männer, eine Frau) zwar nicht aufgelöst, jedoch im Sinne einer Quotierung um fünf Frauen aufgestockt werden. Potentielle Kandidatinnen sollen so schnell wie möglich von den Frauenprojekten benannt werden. Über die Berufung entscheidet jedoch der Senat. Jedem beantragenden Projekt wird ein Anhörungsrecht beim Beirat eingeräumt, unabhängige GutachterInnen werden nicht bestellt, letzte Entscheidungen bleiben nach wie vor der Senatsverwaltung vorbehalten. Die 50-Prozent-Quotierung der Mittel für Frauenprojekte konnte sich die Sozialsenatorin als politische Signalwirkung durchaus vorstellen. Genau geprüft werden soll aber zunächst, ob Frauenprojekte nicht bereits jetzt schon weit über 50 Prozent der Fördermittel aus dem Selbsthilfetopf erhalten. In diesem Fall könnte sich die politisch korrekte Forderung als Schuß nach hinten erweisen. Nicht überzeugt zeigte sich Frau Stahmer von der Notwendigkeit einer eigenen Frauenkommission. Die Diskussion um neue, erweiterte Förderkriterien wurde auf nächstes Frühjahr vertagt.

Natürlich ist der „AK Autonomer Frauen- und Alternativprojekte“ mit dem Ausgang des Gesprächs nicht zufrieden. „Weder (kann) von echter Partizipation noch von Transparenz gesprochen werden“, heißt es in einer Presseerklärung.

An ihrer Forderung nach Quotierung der Mittel und einem eigenen Frauenbeirat wollen die Projektfrauen auf jeden Fall festhalten. Und sie rechnen dabei fest mit Rückenstärkung von Frauensenatorin Anne Klein, die nach Aussagen des AK auch eine Frauenkommission befürwortet. Genausowenig zufrieden werden sich die Projekte mit der Aussicht geben, daß für das kommende Haushaltsjahr nur 4,5 Mio. Mark (1988: 7,5 Mio.) im Rahmen der Anschubfinanzierung vorgesehen sind. Vor kurzem erst reichten 16 Frauenprojekte gemeinsame Anträge für 1990 ein. Volumen: 6,5 Mio. Mark. Ein kleines Bonbon gab es im Juli: rückwirkend zum 1.7.89 werden die in Selbsthilfegruppen beschäftigten Fachkräfte endlich nach geltendem Tarif bezahlt.

Ulrike Helwerth

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