Wiedervereinigung per Pachtvertrag?

■ Hongkongisierung der Deutschlandfrage: Will der Senat Teile der DDR-Bezirke Potsdam und Oranienburg für 99 Jahre pachten? / Eiertanz auf Senatspressekonferenz / Sind Lager-, Park- oder Bauplätze geplant? / Die Rechtsexperten schweigen - und Diepgen ist sauer

Den BZ-Lesern verschlug es gestern früh am Zeitungskiosk die Sprache: „Momper-Plan“ stand da in riesengroßen Buchstaben, „West-Berliner sollen in der DDR wohnen“. War der rot-grüne Senat nun vollends verrückt geworden, will er seine BürgerInnen an die DDR verkaufen? Ausgerechnet jetzt, wo alle „rübermachen“ möchten?

Im täglichen Pressegespräch „interpretierte“ Senatssprecher Kolhoff denn auch prompt die Aussagen des Regierenden: „Sollte sich der Bürgermeister falsch ausgedrückt haben, sage ich es Ihnen jetzt richtig.“ Der „in einem Teil der Berichterstattung“ erweckte Eindruck, der Senat wolle Wohnbauflächen im Osten anmieten, sei falsch. „Es geht um Flächen für Gewerbe, um etwas zu lagern“, antwortete der Senatssprecher, und dann fiel ihm noch ein, daß auch an Flächen für „Parkplätze“ gedacht sein könnte. Fragte eine Reporterin empört zurück: „Soll ich etwa im Osten parken?“ Die Verwirrung war komplett, zumal Kolhoff im übernächsten Satz nicht ausschließen wollte, daß die von Ost-Berlin gepachteten Flächen doch für den Wohungsbau benutzt werden könnten: „Ausschließen kann man gar nichts, solange man nicht weiß, was dabei herauskommt.“

Vorgeschichte des Eiertanzes: Auf Grundlage einer Vorlage aus der Senatskanzlei beschloß der Senat am Dienstag ganz formell folgenden „Arbeitsauftrag“: „Die Senatskanzlei wird beauftragt zu prüfen, ob Verhandlungen mit der DDR über eine Nutzung größerer Flächen Aussicht auf Erfolg versprechen.“ Als Momper die Ergebnisse der Senatssitzung zum Thema Wohnungsbau vorstellte, erregte dieser Prüfungsauftrag die allergrößte Aufmerksamkeit. Momper plauderte ganz locker, betonte, diese Idee habe nichts mehr mit den sonst üblichen Verhandlungen über den „Gebietsaustausch“ zu tun, vielmehr gehe es vorrangig um „Pacht“ und „andere Leihformen“. Welche Zeiträume vereinbart werden sollten? Er, Momper, könne sich alles vorstellen, Nutzung auf 100 oder 99 Jahre, genaueres könne er nicht sagen. An welche Flächen gedacht sei? Vorzugsweise an die „am Rande der Westsektoren“ gelegenen Flächen, aber das müsse sich eben alles erst herausstellen. Wie die taz erfuhr, denken die Pachtvertrags-Tüftler vor allem an Flächen in den an West-Berlin grenzenden Bezirken Potsdam und Oranienburg. Der AL-Bauexperte Volker Härtig will am Freitag sogar erste konkrete Gebietsvorschläge einer AL-Arbeitsgruppe der Presse vorstellen, Dia-Schau inbegriffen. Gestern wollte Härtig deshalb noch nichts Handfestes verlauten lassen. Der taz sagte er lediglich, daß Pachtverträge für Ost-Berlin „vom Devisenumfang her durchaus interessant sein könnten“. Per DDR-Pacht seien „neue Flächen wahrscheinlich schneller zu bekommen, als durch Verhandlungen über alliiertes Gelände innerhalb West -Berlins“. Allerdings müsse für die Pacht-Aktion auch die Zustimmung der Alliierten eingeholt werden. Unklar sei noch die Frage, wer die Hoheitsrechte über die neuen Gebiete ausüben solle.

Der Chef der Staatskanzlei, Staatssekretär Dieter Schröder und Experte für Alliiertes Recht, zeigte sich gestern überhaupt nicht glücklich darüber, daß diese unkonventionelle Idee bereits an die Öffentlichkeit gelangt war. Schröder betonte, daß diese Idee in der Tat völlig neu sei. Mit Sicherheit sei dies aber kein Vorschlag, mit dem kurzfristig etwas zu bewirken sei. Auch der Deutschland -Theoretiker der AL, Albert Statz, wollte sich gestern nichts entlocken lassen. Von den Alliierten und der DDR gab es auch keine Reaktionen.

Eberhard Diepgen nutzte die Gelegenheit, um die Phantasie der Berliner noch etwas stärker anzuregen. Eine „Schnapsidee“ meinte Herr Diepgen, und „offensichtlich sollen da vor allem die Übersieder aus der DDR Wohnungen finden“. Der Vorschlag sei nicht „seriös“, und er würde es außerordentlich begrüßen, wenn Momper „durch seine Schwatzsucht sich nicht immer selbst diskreditieren würde“.

urs/kotte