Kinderfilme - kein „großer Stoff“?

■ Anmerkungen zu den Diskussionen während des diesjährigen Frankfurter „Internationalen Kinderfilmfestes“

Hätte sich der „Förderverein Deutscher Kinderfilm“ mit seinem Manifest aus dem Jahre 1977 durchgesetzt, sähe es heute sicherlich anders aus mit dem Kinderfilm in der Bundesrepublik: 20 Millionen Mark forderten die Duisburger seinerzeit für den geplanten Fonds „Deutscher Kinderfilm“. Die Radikalität der Forderung läßt den Geschäftsführer des Vereins, Raimund Franken, heute nur noch müde lächeln natürlich sei da nichts daraus geworden, und Geldprobleme habe man heute noch, jede Menge.

Dennoch gab sich die Creme des Kinderfilms während des diesjährigen internationalen Kinderfilmfestivals in Frankfurt optimistisch. Wo sonst gestöhnt wird, daß kaum Filmtheater zur Verfügung stünden, war jetzt von vermehrten Abspielmöglichkeiten und neuen Verbundsystemen mancher Filmtheaterbesitzer die Rede. Wenn die Sprache aber auf die Zahl der Lichtspielhäuser kam, die sich tatsächlich qualifiziert haben und sich wirklich um das junge Publikum bemühen, hörte sich das doch verdächtig nach der vielzitierten Krise des Kinderkinos an: Nicht mehr als zehn Filmtheater haben sich der Gattung Kinderfilm angenommen, die hierzulande immer noch ein mehr als stiefmütterliches Dasein fristet. Und wenn, ja wenn es das Fernsehen mit seinen Kinderfilmproduktionen nicht gäbe, die jeweils in Kooperation mit den wenigen „wagemutigen“ Regisseuren und Autoren entstehen, ... dann wäre wohl überhaupt nicht mehr die Rede vom deutschen Kinderfilm. Dann gäbe es keine Küken für Kairo, und eine Flußfahrt mit Huhn wäre ebenfalls nicht zustande gekommen.

Natürlich verweist da der Boulevardkinobesucher auf das, was Walt Disney und Konsorten auf die unschuldige Leinwand bringen: schön bunt all das und wirklich herzzerreißend. „Kinder brauchen Märchen“, das stimmt schon, aber Bruno Bettelheim wird dabei wohl kaum an die putzige und tränenreiche Welt der Hollywood-Produktionen gedacht haben.

Natürlich sind Disney-Filme Renner. Das war auch den Diskutanten während der diesjährigen Informationsschau des deutschen Kinderfilms klar, die zum zweiten Male in diesem Jahrzehnt durchgeführt wurde. Bei Erwähnung von Bambi und Schneewittchen bekommen Filmtheaterbesitzer feuchte Augen und stöhnen nicht mehr, wie sonst bei einheimischen Produktionen, über fehlende Einnahmen.

Auch das Fernsehen, genauer die ARD, hat nach Aussage von Uwe Rosenbaum, dem Leiter der Hauptabteilung Familienprogramm beim SFB, den großen „Disney-Programm-Deal“ vor: Demnächst darf das Kinder-Publikum zu Hause Disney glotzen. „Natürlich sind dann Programmplätze da“, äußert der Fernsehgewaltige. Programmplätze, die für den deutschen Kinderfilm allerdings nicht vorhanden sind. Meine Güte, 90 Minuten lang Kinderfilm an einem Stück, daran ist gar nicht zu denken. Serien sind gefragt, die die „Kurzen“ vor den Fernseher „leimen“. Immerhin will man seine Klientel von morgen sichern - und das mit kämpferischem Seitenblick auf RTL und andere private Konkurrenten.

An dieser Stelle muß natürlich der Einwand kommen, daß Kino nun wirklich mehr zu bieten hat als eine 70-cm-Röhre. Ein kommunikativer Ort, der ein Stück soziales Erleben ermöglicht. Doch sei der bundesdeutschen Kinderfilmlandschaft ins Stammbuch geschrieben, daß dies „soziale Erleben“ nicht gleichgültig gegen die Qualität des Gebotenen ist. Und genau da liegt die Crux.

Wenn es stimmt, daß die eingereichten Drehbücher für Kinderfilme „immer schlechter“ werden (wie zu hören war), dann steht es schlimm um die Zukunft des Kinderfilms in der Republik. Zwar machte man sich bei den Diskussionen während der Informationsschau Gedanken darüber, gezielt Autoren zu unterstützen, doch sind da zunächst einige Vorurteile zu beseitigen, die zum Beispiel auch an den riesigen Filmhochschulen kursieren: Wer will schon einen Kinderfilm machen, wenn er „Oscar studieren“ kann. Der eifrige Filmstudent ist sich da mit seinen Dozenten einig: Kinder sind nicht der „große Stoff“, aus dem die zukünftige Karriere gebastelt werden kann.

Das mißfällt den Kinderfilmförderern: „Für die existiert der Kinderfilm einfach nicht.“ Also werden sie demnächst „ante portas“ der Filmhochschulen stehen und die Regisseure und Drehbuchautoren von morgen darauf aufmerksam machen, daß in ihrem Gedächtnis eine Lücke klafft - es gibt da Menschen, kleine zwar, die auch Anspruch auf eine Filmkultur außerhalb der heimischen Wohnzimmer haben. Und wenn sich an den Institutionen selbst nichts ändert, dann wird der „Förderverein“ eben von sich aus Workshops mit Regisseuren anbieten, deren Metier allen Widrigkeiten zum Trotz der Kinderfilm geblieben ist. Denn normalerweise bleibt die Produktion eines Kinderfilms für den hoffnungsvollen Filmemacher Durchgangsstation. Eine Jugendsünde sozusagen.

In absehbarer Zeit wird sich also nicht allzuviel bewegen. Folglich dreht man an den Quantitäten, diskutiert über Marketingkonzepte und darüber, wie der Kinderfilm überhaupt erst einmal zur „Marke“ werden kann. Public Relations heißt das Zauberwort. Denn es stimmt, was da thesenartig in den Arbeitsgruppen vorgetragen wurde: Es existiert keine Kinderfilmkultur in der Bundesrepublik, und folglich gibt es auch Probleme mit dem profitablen Einsatz des Mediums. Andreas Fuchs, Kinobetreiber im Ruhrgebiet, proklamiert denn auch: Selbsthilfe, die große konzertierte Aktion. Es gälte Absprachen zu treffen, Abspielringe ins Leben zu rufen, ja, den real existierenden Kinderfilm überhaupt erst einmal sichtbar zu machen. Ihm wird es gefallen haben, daß in Frankfurt ganz professionell auch die Rede von der Kreation eines „Logos“ die Rede war - „Löwe mit Hut oder so etwas“.

Überhaupt standen die Zeichen auf vermehrter Kooperation, auch in Sachen „Staatsknete“. Die Fördermittel, bislang gespeist aus diversen „Mini- und Verlegenheitstöpfen“, sollen gebündelt werden. Eine „zentrale Koordinationsstelle“ wird demnächst die Vergabe der Mittel besorgen und sehr genau darauf schauen, daß nicht in Projekte investiert wird, die von vornherein keine Zukunft haben. Vielleicht geht es dann in puncto Kinderfilm etwas professioneller zu, und Dramaturgen und Dialogschreiber bekommen ein Arbeitsfeld, das sie bislang gemieden haben - immerhin gab es in den letzten Jahren genügend „Flops“, die die Mittel aus dem schmalen Geldbeutel der Kinderfilmförderung ganz und gar nicht wert waren.

Mag sein, daß es irgendwann auch bei der Preisvergabe in Frankfurt anders aussieht: Der begehrte „Lucas“ ging in diesem Jahr ausschließlich an ausländische Produktionen. Bislang haben eben Großbritannien (Hard Road), Frankreich (Der Krieg ist aus) und die Sowjetunion/Kasachstan (Der kleine Wolf unter Menschen) den bundesdeutschen Produktionen einiges voraus - die „Perestroika“ in der deutschen Kinderkinolandschaft steht noch aus.

Detlef Berentzen