BLUTSCHUND

■ Kunstaktion „Blutspur - Prozession Coma Amazonica“

Tag der Rache. Tag der Sünden. Wird das Weltall sich entzünden? Soll den Fluch ich oder Segen dort am Checkpoint dir verkünden? (Rolf Schulz)

Der Hamburger Rolf Schulz, selbsternannter „Phantasmuskünstler“, und sein Kompagnon, „Zeremonienmeister und Wahlbrasilianer“ Rainer Mathemeier stellten gestern vorm Brandenburger Tor ihre Betroffenheits-Aktion „Coma Amazonica“ dem frühmorgendlichen Lichte der Öffentlichkeit vor. Mit dabei war ein im Hamburger Hafen für 1.800Mark erworbener Tropenholz-Stamm („In Berlin gibt's das nur in Scheiben“). Dem rammbock-artig vor der Mauer plazierten Baum bleibt nun zwar das Schicksal erspart, zu Thermopane -Scheiben-Umrahmung oder Wohnstuben-Schrankwand zersägt zu werden, doch scheint die Rettung zweifelhaft: denn nach dem Willen der beiden Herren von der „Gesellschaft für Kunst und Völkerverständigung“ soll der arme Baum am nächsten Donnerstag symbolikhalber durch halb West-Berlin geschleift werden und dabei heftigst kunstbluten: „Waldsterben ist Weltsterben“.

Die beiden Gesellschafter, deren Endziel die „Errichtung des Paradieses der Kunst auf Erden“ ist, werden dann, um „Leid und Tod der geschundenen Wälder zu verdeutlichen“, von der Gedächtniskirche aus über den Ernst-Reuter-Platz, Straße des 17.Juni und den Großen Stern wieder zum Brandenburger Tor ziehen, im Schlepptau den bluttriefenden Tropenstamm und kokelndes Wurzelwerk auf einem Kohlenkarren. Eigentlich sollte die Regenwald-Prozession sogar den Eisernen Vorhang am Checkpoint Charlie durchbrechend bis auf den Marx-Engels -Platz im Osten vordringen. Doch da war, dem Realsozialismus sei Dank, das rigorose Kunstverständnis des Staatsrats der DDR davor: „In der Deutschen Demokratischen Republik, wo der Schutz der Natur zum Wohle des Menschen Verfassungsauftrag ist, werden seit Jahren (...) umfangreiche Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt verwirklicht (...) Demonstrationen dafür sind daher in der DDR nicht erforderlich.“ Westliche Administratoren und auch unser aller Reformator Michail sind in der Vergangenheit leider viel permissiver mit den PR-Mätzchen des Rolf Schulz umgegangen: So durfte der Mann im Sachsenwald bei Hamburg Rehlein und Häschen mit der Klanginstallation „Brüllwald“ verschrecken und auf eisigen Schwarzwaldhöhen den Schnee bluten lassen; Björn Engholm schwatzte er sogar schon vorm Regierungswechsel die Zusage für ein „Nationales Mahnmal gegen das Waldsterben (Baumsarg)“ ab. Systemübergreifend beehrte Schulz die Stadtväter von L.A. mit seinem „Klangfeuer“ einerseits wie den Obersten Sowjet andererseits: Gorbatschow und Gattin ließ er im „großen Kuppelsaal des Kreml“ ein „großformatiges Foto“ seiner Anti -Kriegs-Aktion „Leuchtende Gräber“ (29.April 1987 sowjetischer Ehrenfriedhof HH-Bergedorf) überreichen, auf daß er Sowjet-Kriegsgräber auch in Leningrad beleuchten dürfe. Trauerarbeit international, ob Pflanz, ob Tier, ob Mensch. O-Ton von Zeremonienmeister Mathemeier: „Habt Ihr schon mal ein Feuer im Regenwald gesehen? Alles schwarz und die Tiere kriegen keine Luft mehr“.

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