Wie die AL-Basis ihr Mütchen kühlte

■ Auf der Mitgliederversammlung der AL setzten sich Ökosozialisten und Spandauer durch / Nach dem Motto „Nie wieder Konzessionen an die SPD“ wurde durchgestimmt / Euphorie und Entsetzen nach Bekanntgabe des Ergebnisses

Knapp 400 AL-Mitglieder dürften es wohl gewesen sein, die es am Mittwoch abend zur „Stromtrassen-MVV“ in die Kindl-Säle in der Hermannstraße verschlagen hatte. Schon beim ersten Applaus war nicht zu überhören, daß diese MVV vor allem von der Spandauer BI gegen die Stromtrasse und den Ökosozialisten bestimmt wurde und zu allem kategorisch Nein sagen würde.

Zwei Alternativen standen sich gegenüber: Ein Antrag von den Ökosozialisten, der „eine Stromtrasse jeglicher Art“ ablehnte. Er bekam nach dreistündiger Debatte eine Mehrheit

-gegen die „kleinere Lösung“, auch „110-KV-Antrag“ genannt, unterschrieben vom AL-Abgeordneten Hartwig Berger, von Martin Jänicke und Lutz Mez sowie einigen GA-Mitgliedern. Darüber hinaus hatten die „Spandauer“ noch jede Menge zusätzlicher Anträge formuliert, um die Ablehnung der Stromtrasse ja von allen Seiten her wasserdicht zu machen. Die meisten wurden angenommen, auch der, der AL-Senatorin Michaele Schreyer „per imperativem Mandat“ auffordert, für die Stromtrasse die Genehmigung nicht zu erteilen, obwohl sie dafür gar nicht zuständig ist.

Die Debatte selbst verlief zum Teil sehr technisch und in ritualisierten Statements. Dabei diskutierten die Anwesenden im Grunde auf zwei völlig verschiedenen Ebenen und damit aneinander vorbei: Diejenigen, die den „110-KV-Antrag“ eingebracht hatten, betonten, „daß eine Null-Variante in Berlin in keinem denkbaren Szenario mehr durchsetzbar ist“, mit der „110-KV-Lösung“ habe die AL aber zum ersten Mal einen Weg gefunden, mit einer „Altlast“ des CDU-Senats so umzugehen, „daß auch die andere Seite zu wesentlichen Konzessionen“ gezwungen wird (Hartwig Berger). Die ökologischen und energiepolitischen Probleme könnten dadurch minimiert werden, der Kampf um eine andere Energiepolitik dürfe durch ein prinzipielles Nein nicht von vornherein aufgegeben werden (Willi Brüggen).

Daran mochten die Spandauer Aktivisten gegen die Stromtrasse nicht glauben. Wie in ihren alten BI-Zeiten betonten sie immer wieder, daß die AL Bewag und SPD nur durch ein prinzipielles und radikales Nein zu Konzessionen bewegen könne. „Wenn wir erst einmal ein bißchen Atomstrom und ein bißchen Naturzerstörung akzeptiert haben, wird die Bewag kommen und sagen, 'Jetzt könnt ihr auch der Großen Lösung zustimmen'“, so Renate Giese (AL-Tempelhof). Und weiter: „Wenn wir immer Kompromisse machen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir nichts bekommen.“ „Wir haben nichts gegen Kompromisse, aber wir sind doch sehr enttäuscht, daß die AL nicht weiß, was Grundsätzliches und Nebensächliches ist“, meinte eine andere AL-Frau. Und: „Die AL würde hoffentlich niemals einem kleinen Atomkraftwerk zustimmen.“ Darin kam immer auch ein grundsätzlicher Frust über die Koalition zum Ausdruck: Die AL habe Kröten geschluckt, auch die AL müsse endlich mal „Essentials“ einfordern.

Und das tat sie dann auf ihre Weise, wie sich immer klarer abzeichnete. Mit dem Antrag, die gesamte rechtliche Prüfung noch einmal aufzurollen, versuchte zwar Christian Ströbele, alles hinauszuzögern. Doch das erschien allen Beteiligten völlig absurd - also wurde abgestimmt, das prinzipielle Nein war da. Spandauer und Ökosozialisten freuten sich, die anderen, darunter viele Funktionäre, waren ziemlich entsetzt, trösteten sich heimlich damit, daß die Basis nun zwar „ihr Mütchen gekühlt haben“ (Renate Künast), aber für die Koalition wieder brav das Händchen heben werde, wenn die Koalitionsfrage nicht nur implizit, sondern grundsätzlich zur Abstimmung steht.

Die Stimmung war nun ziemlich aufgeheizt, aber als ob nichts geschehen wäre, begann die Versammlung noch über das kommunale Ausländerwahlrecht zu diskutieren. Einige von der Al versuchten noch, die MVV auf einen baldmöglichsten Termin festzulegen. Nach einigem Hin und Her waren jedoch alle davon überzeugt, daß sie an diesem Abend besser nichts mehr entscheiden sollten.

urs