IG-Chemie-Mitgliedern droht wieder der Ausschluß

Boehringer-Vertrauensleute wollen gemeinsam mit KritikerInnen für den Betriebsrat kandidieren - zur Not auch gegen die offizielle Gewerkschaftsliste  ■  Aus Mannheim Rolf Gramm

Der Mannheimer IG-Chemie-Geschäftsführer Klaus Fichter hat ein Problem. Wenn er am kommenden Montag mit dem Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden von Boehringer Mannheim, Michael Müller, und der Vertrauenskörper-Leiterin Carola Weber zusammentrifft, könnte dies einen beträchtlicher Exodus aus der Chemiegewerkschaft und eine peinliche Blamage bei den kommenden Betriebsratswahlen zur Folge haben. Denn Fichter wird aller Voraussicht nach das Angebot ablehnen, die stimmenträchtigsten Belegschaftsvertreter von Boehringer Mannheim auf der Liste der IG Chemie kandidieren zu lassen.

Die Gewerkschaftszentrale in Hannover will sie jedenfalls nicht auf die Liste lassen. „Keine Organisation der Welt“ nämlich kann es nach Auffassung von Fichter dulden, daß Nichtmitglieder auf der eigenen Liste kandidieren. „Das wäre, wie wenn Mitglieder der katholischen Kirche beschließen: Der Teufel wird der neue Papst“, so Fichter zur taz.

Eine Belegschaft wird

auf Linie gebracht

Jetzt droht im größten baden-württembergischen Chemiebetrieb eine Neuauflage der Querelen des letzten Jahres. Damals hatten sich zehn der elf Mitglieder des betrieblichen Vertrauenskörpers geweigert, der Aufstellung eines Hannoveraner IG-Chemie-Funktionärs für einen Aufsichtsratsposten zuzustimmen. Ergebnis: Die zehn wurden aus der IG Chemie ausgeschlossen. Gleichzeitig erledigte sich damit für die Gewerkschaftsführung das Problem, daß die Mannheimer Verwaltungsstelle der IG Chemie die bundesweit einzige war, in der die Kritiker des rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsbosses Herrmann Rappe die Mehrheit hatten.

Nun unterscheidet sich die Anfang dieses Jahres neugewählte Vertrauenskörper-Leitung in ihren gewerkschaftspolitischen Anschauungen nicht von den damals Reglementierten. Im Juni haben die Vertrauensleute geschlossen dafür votiert, auf der Liste der IG Chemie gemeinsam mit den Ausgeschlossenen zu kandidieren. Ihre Chefin Carola Weber: „Jeder im Betrieb weiß, daß wir eigentlich in allen Fragen dieselben Positionen haben. Wir würden uns doch vor den Kollegen lächerlich machen, wenn wir jetzt gegen die kandidieren, und das nur wegen einem Ausschluß, den wir nicht für richtig halten.“

Doch aus Hannover kam das erwartete strikte „Nein“. Nicht ganz so erwartet war aber eine weitere Maßnahme der IG Chemie: Die gerade gewählte Vertrauensleute-Leitung wurde kaltgestellt, die Mannheimer IG-Chemie-Verwaltungsstelle hat die Vorbereitung der Betriebsratswahl selbst in die Hand genommen.

Die bürokratische Entmachtung der neuen Vertrauenskörper -Leitung hat denn dafür gesorgt, daß die Stimmung bei Boehringer, dem bestorganisierten Betrieb der Pharma -Branche, wieder auf dem Siedepunkt ist. Hermann Rappe konnte sich davon bei einem Besuch in der letzten Woche persönlich überzeugen. Daß das Gespräch mit dem Betriebsrat für den rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsboß nicht sehr erfreulich werden würde, stand noch zu erwarten - in diesem Gremium haben die Ausgeschlossenen und ihre Sympathisanten die Mehrheit. Zu einer gewerkschaftlichen Mitgliederversammlung aber kamen gerade 60 von 2.000 eingeladenen Boehringer-Gewerkschaftern. Und als Rolf Höge, der stellvertretende Vertrauensleute-Vorsitzende, in einem Beitrag fragte, wer denn für eine gemeinsame Betriebsratslist sei, gingen vor Rappes Augen fast alle Hände hoch.

Auch der Rappe-Auftritt auf der Boehringer -Betriebsversammlung wurde nicht zum früher gewohnten Heimspiel. Als der Redner die Formel „Ich bin der letzte...“ gebrauchte, spendeten ihm die anwesenden Beschäftigten Beifall. „Man sieht, wie verbiestert hier die Belegschaft ist“, murrte Rappe daraufhin ins Mikrofon.

Im Moment sieht alles danach aus, als ob die IG Chemie mit zwei Listen in die Betriebsratswahlen des nächsten Jahres gehen wird: eine kleine offizielle mit den wenigen Rappe -Getreuen und eine, auf der die betrieblichen GewerkschaftsaktivistInnen gemeinsam mit den Ausgeschlossenen kandidieren. „Eine gemeinsame Liste mit den Ausgeschlossenen ist für uns jedenfalls eine beschlossene Sache“, bekräftigt Carola Weber gegenüber der taz. „Wir wissen, daß wir dadurch Gewerkschaftsausschlüsse oder andere Sanktionen riskieren. Aber bevor wir uns lächerlich machen, nehmen wir das lieber in Kauf.“

Auch Fichter, der das Vertrauen der Hannoveraner IG-Chemie -Zentrale hat, sieht nur eine Alternative: „Es wäre der nächste Schritt, daß man sagt, man müßte in der gleichen Weise verfahren wie letztes Jahr mit der damaligen Vertrauenkörper-Leitung. Oder man findet einen Weg, der weit oberhalb dieser Ausschlußfrage liegt.“