Der Kapitalismus als Rettungsanker

Sowjetunion will dem Internationalen Währungsfonds beitreten  ■ G A S T K O M M E N T A R

Der stellvertretende sowjetische Außenminister Wladimir Petrowski bekundete in New York, daß die UdSSR dem Internationonalen Währungsfonds (IWF) und allen anderen internationalen Finanzorganisationen (wie z.B. der Weltbank) beitreten wolle. Diese Meldung macht es mir als linke Grüne schwer, meine kreisenden Gedanken zu ordnen und zu einer Position zu finden.

Seit es die Grünen, die Friedensbewegung und die Solidaritätsbewegungen mit der sog. Dritten Welt gibt, wenden die sich gegen eben diese Organisationen, die Kredite nur bereitstellen, insoweit die Empfängerländer marktwirtschaftlich-kapitalistische Auflagen akzeptieren. IWF und Weltbank verlangen eine kapitalistische Austeritätspolitik (das bedeutet Sanierung der Staatsfinanzen durch Rückfahren der Staatsquote insbesondere auf sozialpolitischem Gebiet, direkte Förderung des Kapitals, „Mäßigung“ auf der Lohnseite, Arbeitslosigkeit als Folge der rigiden „Sanierungspolitik“ etc.). IWF und Weltbank stehen nicht für eine neue Weltwirtschaftsordnung mit einem Entschuldungsprogramm für die Staaten der Dritten Welt, mit der Forderung nach anderen Tauschrelationen zwischen den Gütern der Industrieländer und denen der Entwicklungsländer etc. Sie sind insofern ökonomische Institutionen kapitalistischer Weltbeherrschung bzw. der weltweiten Erhaltung und Verbreitung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Insofern wäre es zu schön, wenn die UdSSR - statt beizutreten - bei ihrer jahrzehntelangen Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung bleiben würde.

Auf der anderen Seite ist der Wunsch nach Beitritt ein Schritt auf internationalem Gebiet, der zu den inneren „Reformen“ von 1985 paßt. Und da stellt sich eben die Frage, wie man es mit den Veränderungen in der UdSSR, Ungarn und Polen hält. Legt man eine linke Meßlatte an, dann kommen einem große Zweifel, denkt man an die marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsreformen, die Lohnanreize, die bestehende und zunehmende Arbeitslosigkeit, das Setzen auf westliche Hilfe, wirtschaftliche Operation, Joint-ventures, wirtschaftliche Sonderzonen etc. Nur: Die linke Meßlatte ist unangemessen, weil das System sich nicht von einem Sozialismus wegentwickelt, denn ist Sowjetkommunismus und realer Sozialismus mit Sozialismus gemeint? Und: Die Reformen im politischen Bereich zeugen auch nicht gerade von Innovationen im Sinne eines Dritten Weges, sondern übernehmen ebenfalls westliche Vergesellschaftungs -Mechanismen. Da der real existierende Sozialismus dabei nicht um die Befürwortung der Menschenrechte herumkommt und damit um eine universalistische Ethik als Grundlage der Politik, die den Menschen zugute kommt (wenn auch fürs erste einer bestimmten Schicht), hat man nicht das Recht, etwas dagegen einzuwenden.

Wie man von real-sozialistischer Seite in den siebziger Jahren auf wirtschaftlichen Austausch und Kooperation mit dem Westen als Mittel ökonomischer Modernisierung und Fortschritt setzte, so setzt man jetzt auf wirtschaftlichen Beistand als Mittel ökonomischer und gesellschaftliche Sanierung und Modernisierung. In jedem Falle gibt man den Anspruch auf, neue Mechanismen sozialistisch-demokratischer Natur zu entwickeln, um die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Probleme zu bewältigen.

Der Zug ist abgefahren, und im Interesse von langfristig mehr materiellem Wohlstand wie mehr Demokratie für die Menschen in Ost-Mitteleuropa und internationale Abrüstung wie Entspannung - in Anbetracht der realen Verhältnisse nicht für die Aufrechterhaltung des real-sozialistischen Status quo. Gelänge in der UdSSR der Modernisierungsprozeß nicht, wäre unser System z.B. adaptiert, wäre nicht „der“ Sozialismus erhalten, sondern dann herrschte ein totalitäres System nach innen mit Eiszeit-Politik nach außen. Dies kann auch nicht im links-grünen Interesse sein. Die Herrschenden im realen Sozialismus kennen nur die Alternative realer Sozialismus - Kapitalismus, und so wählen sie eben in Anbetracht ihres kaputten Systems kapitalistische Mechanismen als Rettungsanker. Aus ökologischen und demokratischen Gründen muß es unser Bestreben sein, gesellschaftliche Alternativen im Innern und nach außen jenseits der herrschenden Schein-Alternative aufzuzeigen und dafür Menschen zu gewinnen.

Renate Damus, Professorin an der Universität Osnabrück und Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen