Der neue gläserne Mensch heißt Ausländer

Der Bundesrat gibt heute seinen Segen zum Ausländerzentralregister / Schon Daten von mehr als zehn Millionen AusländerInnen gespeichert / Selbstbedienung für Polizei, BGS und Verfassungsschutz / Datenschützer: gefährliches Instrument der inneren Sicherheit  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Politisch ist die Sache ein Skandal. Aus Sicht der Datenschützer ist sie „höchst problematisch“. Verfassungsrechtlich ist sie kaum vertretbar - dennoch wird der Bundesrat ihr heute ohne große Abänderungsvorschläge seinen Segen erteilen. Es geht um das Ausländerzentralregister (AZR), einer gigantischen, mittlerweile rund zehn Millionen Menschen umfassenden Datensammlung über alle in der Bundesrepublik lebenden AusländerInnen und ihre nächsten Verwandten. Ohne Wissen der Öffentlichkeit und der Betroffenen wurde dieses zentrale Melderegister für AusländerInnen seit Mitte der fünfziger Jahre aufgebaut und soll jetzt - mit dreißigjähriger Verspätung - eine gesetzliche Grundlage erhalten. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung einen ersten Gesetzentwurf über das AZR eingebracht. Dessen modifizierte Fassung wird der Bundesrat heute verabschieden, und noch in diesem Herbst soll es nach den Plänen der Bundesregierung über die Bühne gegangen sein. Der vorliegende Entwurf erklärt eine langjährige Praxis für Recht, die von Kritikern nicht nur für diskriminierend und gefährlich, sondern auch für verfassungswidrig gehalten wird.

Das Gesetz sieht vor, daß weiterhin sämtliche in der Bundesrepublik lebenden Ausländer - und dazu gehören zunächst auch Aussiedler aus Polen oder der Sowjetunion - im Kölner Zentralregister gespeichert werden. Erfaßt werden dabei nicht nur die persönlichen Grunddaten wie Geburtsdatum, Wohnort und Beruf. Gespeichert werden auch Angaben über den rechtlichen Aufenthaltsstatus, über einen Asylantrag, über eine erteilte oder nicht erteilte Arbeitserlaubnis, über Einbürgerungsanträge oder Vorstrafen. Für Bundesgrenzsschutz und Polizei jederzeit einsehbar, wird auch genauestens vermerkt, ob gegen die Einreise eines Ausländers Bedenken bestehen, weil dadurch - so der schwammige Begriff - „die Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt würden“. Gleich miterfaßt werden im Zentralregister auch Daten über Ausländer, die gar nicht in der Bundesrepublik leben, sondern nur in gerader Linie mit einem Ausländer in der Bundesrepublik verwandt sind. Löschungsfristen für alle diese persönlichen Daten nennt der Gesetzentwurf nicht, so daß noch Jahre nach der Rückkehr eines Arbeitsimmigranten oder Flüchtlings in seine Heimat bundesdeutsche Behörden automatisch Zugriff auf dessen Daten haben.

Freibrief für Rasterfahndung

Kunden und gleichzeitig Lieferanten für diese Superdatenbank sind - nach dem neuen Gesetz dann völlig legal - sämtliche Ausländerbehörden und Konsulate der Bundesrepublik. Darüber hinaus erhalten Polizei, Bundesgrenzschutz, Staatsanwaltschaften, sowie die Bundesanstalt für Arbeit und das Bundesamt für Asylangelegenheiten direkten Zugriff. Zum gesetzlich genehmigten Kundenkreis dieser von ihrer Dimension her einmaligen Datenbank gehören auch der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz, die einen On-line-Anschluß zum AZR erhalten.

Für Verfassungsschutz und Polizei ist dabei nicht nur interessant, daß jeder Ausländer zentral erfaßt ist und eine unverwechselbare Geschäftsnummer bekommt, über die er durch einen im Computer eingegebenen Suchvermerk überall in der Bundesrepublik aufzufinden ist. Das AZR-Gesetz erteilt darüberhinaus einen Freibrief für eine ausländerspezifische Rasterfahndung. Das Kölner Register darf nämlich für die Sicherheitsbehörden, die Justiz und den Verfassungsschutz die Daten ganzer Ausländergruppen ausspucken, sortiert nach gemeinsamen Merkmalen. So kann der Verfassungsschutz beim AZR beispielsweise die Daten sämtlicher Iraner ordern, die ihren Asylantrag mit ihrer Mitgliedschaft in einer bestimmten politischen Organisation begründet haben. Genauso kann der Computer etwa auch Namen und Adressen aller in Hamburg lebenden Kurden ausspucken, die zwischen 30 und 40 Jahren alt sind.

Zugriff auf den Datenbestand des Ausländerzentralregisters sollen jedoch nicht nur die bundesdeutschen Sicherheitsdienste haben. Auch die Behörden anderer Staaten, darunter insbesondere die Heimatländer der jeweils Erfaßten, will man großzügig am Datenreichtum teilhaben lassen. Eine Auskunftserteilung an fremde Staaten, so sieht der Paragraph 17 des Gesetzentwurfs zum AZR vor, erfolgt, sofern „der Empfänger an der Auskunft ein berechtigtes Interesse hat“. Der Betroffene selber muß nicht einmal in allen Fällen um sein Einverständnis zu diesem Datenexport gefragt werden.

Datenschützer rennen

gegen Wände

Vergeblich haben die Datenschutzbeauftragten einiger Bundesländer in den vergangenen Monaten versucht, diese Macht des Zentralregisters mit strengen gesetzlichen Regelungen einzudämmen. Doch ihre Bedenken stießen sowohl im Kollegenkreis als auch bei den sozialdemokratisch regierten Bundesländern, die das Gesetz im Bundesrat noch stoppen könnten, auf taube Ohren. Die Datenschutzbeauftragten konnten sich nicht auf eine gemeinsame grundsätzliche Ablehnung des Gesetzentwurfs verständigen, und die Sozialdemokraten brachten im Bundesrat nur einige kleine Veränderungsvorschläge ein - „Petitissen“ wie der Hamburger Datenschutzbeauftragte Schapper meint. Schapper und seinem Bremer Amtskollegen Büllesbach geht es um mehr. „Für mich ist es ein zentraler Prüfstein für die Ethik in unserer Gesellschaft, ob wir ein Sonderrecht für Ausländer schaffen“, meint Büllesbach. Das Ausländerzentralregister sei nichts anderes als ein „Bundesmelderegister“, das jedoch für Deutsche bisher immer aus guten Gründen abgelehnt worden ist. „Ein mit dem AZR vergleichbares zentrales Kommunikationssystem existiert für Deutsche Staatsangehörige nicht“, urteilt auch Schapper in einem zwölfseitigen Gutachten. „Das AZR wird zu einem Bundesmeldergister für Ausländer ausgebaut, noch dazu angereichert mit den verschiedensten Sozial- und Intimdaten. Somit wird für Ausländer das informationelle Selbstbestimmungsrecht ausgehöhlt, denn sie werden durch die Zusammenführung sämtlicher Daten der beteiligten Behörden tatsächlich zu 'gläsernen Menschen‘.“ Je sensibler die Daten, desto schwammiger würden die gesetzlichen Regelungen, schimpft Schapper. „Einer verfassungsrechtlichen Prüfung“, so sein Fazit, „hält der Gesetzentwurf nicht stand.“ Auch sein Kollege Büllesbach wettert, die Angaben im AZR wimmelten nur so von „Subjektivismen“ einzelner Sachbearbeiter, die von den Betroffenen selber gar nicht überprüft werden können: „Wenn zum Beispiel eine junge Ausländerin mit einem knappen Rock an die Grenze kommt, hat sie vielleicht wenig später schon im Register stehen: Einreisebedenken wegen des Verdachts der Prostitution.“

Und auf noch eine Gefahr weist der Bremer Datenschutzbeauftragte hin: Wenn 1992 die europäischen Binnengrenzen fallen und sich die EG um eine rechtliche Vereinheitlichung bemüht, werden sich die anderen EG-Staaten gierig auf das perfekte deutsche Register stürzen und es übernehmen. Nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit würden dann jedoch auch Bundesbürger in diesen Zentralcomputer wandern: „Wir sind doch auch überall Ausländer, nur zu Hause nicht“, warnt Büllesbach „der Verdacht ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, daß das AZR ein Instrument der inneren Sicherheit ist.“