: In Kurdistan herrscht „Bürgerkrieg“
Nach einem Massaker an sechs Bauern, werden Zeugen festgenommen und mundtot gemacht Staatsanwälte verweigern Ermittlungen und eine Autopsie der Getöteten / Krisentreff von Präsident und Militärs ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
„Die Ereignisse erwecken den Eindruck eines Bürgerkrieges“ so schätzt der türkische Heereskommandant General Dogan Güres die Lage in Kurdistan ein. Einfache Soldaten bedienen sich schlichterer Worte: „Das Töten eines Kurden ist wie das Töten eines Köters“, drohten sie Bauern, die in der kurdischen Stadt Silopi am Dienstag an der Beerdigung von sechs Dorfbewohnern teilnahmen. Die sechs Bauern, die beerdigt wurden, waren am Sonntag als „Terroristen“ vom türkischen Militär erschossen worden. Augenzeugen berichten dagegen, daß die unbewaffneten sechs Dorfbewohner vom Militär mitgenommen und anschließend exekutiert wurden.
„Die getöteten Bürger des Dorfes Derebasi wurden als Terroristen hingestellt. Nach unseren Recherchen vor Ort sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht Terroristen, sondern unschuldige Bürger getötet wurden. Wir glauben nicht, daß die Staatsanwaltschaft Silopi unabhängig ermittelt. Sie steht unter Druck. Dagegen sind die Aussagen der Bürger in hohem Maße glaubwürdig“, resümiert der sozialdemokratische Abgeordnete Fuat Atalay im Namen der dreiköpfigen Parlamentarierdelegation, die Silopi besuchte.
Die Staatsanwaltschaft Silopi will kein Verfahren wegen der sechs getöteten Bauern einleiten: „Das Gesetz über das Ausnahmerecht“ untersagt Staatsanwälten eigenständige Anklage gegen „Angehörige der Sicherheitskräfte“ zu erheben. „Ich werde die betreffenden Angehörigen der Sicherheitskräfte nicht vernehmen“, sagte Staatsanwalt Ulvi Yüksel zu Journalisten. Auch eine Autopsie der sechs Leichen wurde vom Staatsanwalt abgelehnt. „Eine Autopsie würde offenlegen, daß die aus nächster Nähe, hinterrücks exekutiert wurden“, sagt der Rechtsanwalt der Angehörigen. Fortsetzung Seite 2
Siehe auch Reportage S. 10/11
Unterdessen werden Zeugen mundtot gemacht. Die drei Augenzeugen der Vorfälle, die Bauern Ömer Aydin, Asker Aydin und Izettin Beyan wurden - nachdem der Fall in die Schlagzeilen der türkischen Presse geriet - festgenommen.
Auch der Dorfvorsteher von Dereboylu Abdülkerim Beyan ist von Soldaten verschleppt worden, nachdem er mit den sozialdemokratischen Parlamentariern gesprochen hatte. Alle 400 Einwohner des Dorfes haben aus Angst vor dem Militär Dereboylu verlassen und wohnen
bei Verwandten in der Provinzstadt Silopi. Sie erhoffen sich Schutz von den angereisten Parlamentarieren und Journalisten.
Innenminister Abdülkadir Aksu hält weiterhin daran fest, daß es sich bei den Toten um Terroristen handelt. „Die Sicherheitskräfte haben bei einem Gefecht die Terroristen tot gefangen genommen. Zuvor hatten wir Kunde darüber, daß manche Dorfbewohner von Derebasi Terroristen Unterschlupf gewähren und sich den Räuberbanden anschließen.“ Unerwartet trafen sich der Ex-Putschist und jetzige Staatspräsident Kenan Evren und die Spitzen des türkischen Militärs in Ankara. Die Vorfälle in Silopi und der Kampf zwischen türkischer Armee und der kurdischen Guerilla PKK standen auf der Tagesordnung.
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