„Haltet die Polizei zurück, sonst passiert's“

■ Gegen den Verfasser der „Dienstanweisung Geiselnahme“ ist Ermittlungsverfahren wg. „fahrlässiger Tötung“ eingeleitet

„Ich gehe davon aus, daß das alleinige Ziel auf die Rettung der Geisel unter weitestgehender Wahrung der Unversehrtheit der Täters ausgerichtet war.“ So schloß gestern Bremens Polizeipräsident Rolf Lüken eine Pressekonferenz, in der er mehrere Fehler des Bremer Einsatzleiters Hartmut Schmöe feststellte. Zweifel an der Annahme des Polizeipräsidenten sind nach den gestrigen Neuigkeiten in Sachen SEK-Einsatz in der Löningstraße angebracht. (vgl.S.4)

Einsatzleiter Hartmut Schmöe gilt als Hardliner in der Führungsetage der Bremer Polizei. Polizeiintern, aber auch vor dem Untersuchungsausschuß Geiseldrama hatte er heftige Kritik an dem damaligen Einsatzleiter Peter Möller geübt. So hatte er damals den „finalen Rettungsschuß“ befürwortet, den Möller wegen der Gefährdung der Geiseln damals abgelehnt hatte. Ein weiterer Vorwurf Schmöes, daß nämlich Möller den Führungsstab nicht einberufen habe, fällt jetzt auf ihn selbst zurück.

Trotz einer Dienstanweisung, daß der Führungsstab einberufen werden muß, wenn sich ein Geiselnehmer mit Opfer auf Bremen zubewegt (Autor Hartmut Schmöe), alarmierte Schmöe dieses Gremium erst etwa um 5.30 Uhr. Die Kollegen waren noch nicht alle eingetroffen, als die

Rambo-Aktion bereits zu Ende war. Besondere Pikanterie: Wenn der Führungsstab zusammengetreten wäre, hätte Schmöe die Einsatzleitung an Kollegen Möller übergeben müssen.

„Täter tot, Opfer verletzt.“ Auch Polizeipräsident Lüken kam zu spät ins Lagezentrum, um noch Einfluß nehmen zu können. „Wenn ich früher dagewesen wäre, hätte ich gesagt: Das ma

chen wir nicht“, so Lüken gestern. Nachdem die Fakten inzwischen sortiert sind, hat der Polizeipräsident seine Meinung vom Mittwoch korrigiert und hält sowohl die Lagebeurteilung als auch den daraus resultierenden Einsatzbefehl für falsch.

Wesentlicher Grund für Lükens neue Einschätzung: Schmöe war sehr wohl bekannt, daß sich Bettina Lückermann am Tag zu

vor frei im Hotel bewegt hatte. Und: Schmöe wußte aus zwei Telefonaten - Klems ( „Ich will nicht, daß die Polizei hier eindringt. Wenn das geschieht, werde ich der Bettina was antun“ 3.15 Uhr) und Bettina Lückermann („Haltet die Polizei zurück, sonst passiert was“ 5.37) -, daß erst das Auftreten der Polizei die unmittelbare Lebensgefahr auslösen würde. Dafür, daß Klems

die Anwesenheit bemerkt, hatte das SEK mit der obligaten Panne selbst gesorgt. Als Ausgangspunkt für den Rambo -Einsatz hatten sich die Beamten ein gegenüber dem Tatort liegendes Zimmer ausgesucht, das allerdings von einem Flüchtlingsehepaar aus der DDR belegt war. Bei Erscheinen der Männer stieß die Frau einen Schrei aus, der von Klems gehört worden sein muß.

Innensenator Peter Sakuth, der sich am Mittwoch abend schon einmal vor Einsatzleiter Schmöe gestellt hatte, stellte sich gestern dann hinter die Kritik des Polizeipräsidenten („für mich schlüssig und nachvollziehbar“). Weitere Meinungsänderungen sind damit nicht ausgeschlossen. Sakuth: „Der Sachbericht stellt einen vorläufigen Bericht dar.“ Es bleibe allerdings offen, so Sakuth, ob es einen anderen Ausgang gegeben hätte, wenn der Einsatzleiter anders entschieden hätte.

Der Grüne Martin Thomas urteilte gestern nach der Innendeputation: „Ein Bremer Polizeiführer ist erneut mitverantwortlich für den Tod einer Geisel.“ Das hat jetzt die Staatsanwaltschaft zu prüfen. Ein Ermittlungsverfahren läuft gegen Schmöe. Tatverdacht: „Fahrlässige Tötung.“ Ob Lüken personelle Konsequenzen ziehen wird, möchte er erst Schmöe und dann der Öffentlichkeit mitteilen.

hbk