Die Weisung flüchtet Schritt für Schritt

■ Hinter den Kulissen wird die Flüchtlingsweisung des Innensenats vom 20.Juni wieder eingeschränkt

Die Erleichterung war weithin spür- und hörbar, als die Innenverwaltung am 20.Juni die sogenannte Flüchtlingsweisung erließ. Ehemalige Asylbewerber, die länger als fünf Jahre in Berlin leben, sowie AusländerInnen, die wegen der Verhältnisse in ihrer Heimat nicht zurückkehren können, haben seitdem Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Zwar gilt diese vorerst nur für ein Jahr, doch wer jede Woche um die Verlängerung seiner Duldung bangen mußte, empfand die Nachricht wie eine Erlösung. Walter Momper erfährt seitdem in vielen Flüchtlingsfamilien ähnlich ehrfurchtsvolle Anerkennung wie sonst Don Johnson in Teenagercliquen.

Mittlerweile ist nicht nur der Aufschrei von CDU und „Republikanern“, sondern auch die Euphorie bei AnwältInnen und Flüchtlingsorganisationen abgeklungen - und bei einigen Flüchtlingen. Beratungsstellen berichten von Beamten, die sich weigern, einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis überhaupt entgegenzunehmen. „Die schicken die Leute einfach wieder weg“, so eine Mitarbeiterin einer Schöneberger Beratungsstelle. Probleme gibt es auch bei der Auszahlung von Sozialhilfe, die Flüchtlingen mit einer Aufenthaltserlaubnis im Gegensatz zu Asylantragstellern nicht ohne weiteres gewährt wird. So lehnte das Schöneberger Sozialamt den Antrag einer Tamilin auf „Hilfe zum Lebensunterhalt“ mit der Begründung ab, sie habe bei ihrer Einreise billigend in Kauf genommen, von öffentlicher Unterstützung abhängig zu sein. Wer die Neuregelung in Anspruch nimmt und auf ein Asylverfahren verzichtet, was durchaus in der Absicht der Urheber lag, riskiert nunmehr die Sozialhilfe und die Zuweisung eines Heimplatzes - einer von mehreren kleinen Geburtsfehlern der Weisung, die nun nachgebessert werden müssen.

Eine Nachbesserung ganz anderer Art hat inzwischen hinter den Kulissen von Ausländerbehörde und Innenverwaltung stattgefunden. Eine Aufenthaltserlaubnis erhält laut Weisung, wer zwar zur Ausreise verpflichtet ist, wegen der Zustände in seinem Heimatland aber nicht dorthin abgeschoben werden kann. Ausdrücklich genannt sind die Länder Iran, Äthiopien, Afghanistan, Libanon und Sri Lanka sowie als Personengruppen Kurden, Christen und Yeziden aus der Türkei und Palästinenser, die somit Anrecht auf eine Aufenthaltserlaubnis hätten. Wenn man das „so nackt“ lese, treffe das schon zu, räumt der zuständige Mitarbeiter der Innenbehörde, Maztnick, ein. Man müsse das jedoch interpretieren. Und so müssen Libanesen und Tamilen, Iraner und Äthiopier fortan „substantiierte Gründe“ darlegen, warum sie nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden dürfen. Ein behördeninternes Asylverfahren, argwöhnen Anwälte und Beratungsstellen - genau das sieht die Weisung in ihrer ursprünglichen Fassung nicht vor. Zudem erfahren Ausländer „ohne Rückkehrmöglichkeit“, daß bei „schwerer persönlicher Bedrohung“ grundsätzlich Asyl zu beantragen ist - ein Unterfangen, das zum Beispiel für Palästinenser und Tamilen wenig erfolgversprechend ist, wie die zunehmend restriktive Rechtsprechung der letzten Jahre zeigt. Einen „Vorteil“ hätte diese Praxis allerdings: Wer anstelle einer Aufenthaltserlaubnis Asyl beantragt, bleibt selten in Berlin, sondern wird ins Bundesgebiet verteilt.

Daß die Umsetzung der Weisung schwierig sein würde, deutete die Ausländerbehörde bereits im Juni in einem Schreiben an die Innenverwaltung an. Mit einer für Behörden untypischen Aufmüpfigkeit heißt es, man habe die Mitarbeiter angewiesen, nach der neuen Weisung zu verfahren, obwohl „gegen den Inhalt in einigen Punkten erhebliche rechtliche Bedenken bestehen“. Bei der Aufzählung der Einwände schimmerte immer wieder eines durch: die Angst vor einer „Sogwirkung“, vor einer Welle von Flüchtlingen, die nun aufgrund der Weisung auf Berlin zukommen würden.

Bei aller Kritik sind die Segnungen jenes Beschlusses vom 20.bei all denen unumstritten, die im Flüchtlingsbereich engagiert sind. Trotz des Ärgers über Gegenmanöver in den Behörden, so das Resümee der Mitarbeiter einer Beratungsstelle, „darf man nicht vergessen, was das für die Leute bedeutet: Die kommen endlich zur Ruhe.“

anb