SESSELREZENSION

■ Das Kunstwerk im technischen Zeitraffer

Der Mensch in unserer Zeit, diese schöne und gar nicht in Zweifel zu ziehende Aussage, gestohlen von der gleichbenamsten Ausstellung von Metallkunst Tempelhofer VolkshochschulteilnehmerInnen (noch zu begutachten bis 22.12. in der Burgemeisterstr.34, 1.Etage) soll uns Leitfaden sein für einen höchst einäugigen und höchst fiktiven Schlingergang durch Berliner Sehkunst. Unter hemmungslos pauschaler Bevorzugung von Kunst aus xy -Chromosomenhand sei mit der von Ingelore Schick-Kremendahl begonnen, die einesteils ihr Namenslogo so sinnig mit einem Pinsel anstelle der Is schmückt, andernteils Collagen, Kreidezeichnungen, Radierungen noch bis zum 15.10. in der Holbeinstr.11, 1/45 zeigt. Marianne Wirries ist Vorhergehender gegenüber vergleichsweise zurückhaltend, was Kenntlichmachung anbetrifft. Auch das mitgeschickte Bild in unauffälligem Schwarz-Weiß und wirkt namensnah der Übersicht abgeneigt. Die titellose Ausstellung läuft bis zum 1.10. in der Goethestr.69, 1/12, Fr, So, 14 bis 18Uhr. Jetzt erstmal ein bißchen Ausland aus Anstand. Richtig und kulturkreismäßig ausländisch ist Takako Yamaguchi, obwohl auf dem Prospektgemälde in die Japanoiserie eine täuschend echte Cranachnackte einkopiert ist; bis zum 8.10. in der Potsdamer Str.58, 1/30. Aus der neuen heimlichen Hauptstadt des beschrienen neuen Mitteleuropa, Budapest, kommt Ilona Kiss, was, weit davon entfernt, ein Pseudonym zu sein, ein ganz gewöhnliches Meier/Müller-nym ist und Klein heißt, wie gut unterrichtete Quellen desselben Namens in Berlin wissen. Hübsch bunt zu gucken und magrittig sind die Bilder auf dem Einladungszettel und kommen auch auf unserer grauen Zeitung gut. Originale Bilder und Graphikenbis zum 4.10. in der Voltastr.5, IV, 1/65, Mo-Fr 10 bis 18Uhr. Näher noch und doch durch einen Vorhang aus Eisen getrennt von uns liegt der Geburtsort der seit 1982 eingewesteten Angela Lubic, die bis zum 8.10. Stämme, Spuren, Geläufe in der Eisenhalle zeigt, was uns, die wir eher selten am Thema Wald arbeiten, fatalerweise an Gewerke und Gehänge erinnert, was wiederum bestenfalls heideggerisch klingt und schlechtestenfalls unanständig. Joachim-Friedrichstr.37, 1/31. Jetzt kommt Micky anders als die gleichnamige Maus klar weibliche Holzheimer mit Form, Farbe, Inhalt. Bilder und Installationen. Uns würde aus dem Malmittel-Trio besonders der Inhalt interessieren. Auskunft gibt die Kleine Orangerie, Luisenplatz, 1/19 noch bis zum 1.10. Di-So von 11 bis 18Uhr. Nach obiger abstrakter Titelei der Belebung vorliegender Sesselrezension die vitalste von Ilona Albrecht, die wieder hoch zu unserem globalen Mensch-Zeit -Thema bezugsweise dem ewigen Werden und Vergehen und so weiter führt, nämlich: Fressen und gefressen werden. Bezugnehmend sieht man vorne auf der übergroßen Einladungskarte deutlich weiße Neger und rote Indianer mit Truthahnfederschmuck. Der Verzehr findet noch bis zum 7.10. Di und Do von 15 bis 19Uhr und Sa von 10 bis 14Uhr in der Kyffhäuserstr.24, 1/30 statt. Drei Tage lang noch könnten wir die Bewegungsskizzen in Stahl und Acrylglas von Silvia Kluge anschauen, gingen wir in das Haus am Lützowplatz9, 1/31, Di bis So zwischen 11 bis 18Uhr. Eine Woche länger, bis zum 30.10. hätten wir Zeit für Renate Herter, die sich selber als Titel ihrer Ausstellung setzt. Vorne auf ihrer Einladungs-Farbpostkarte (an dieser Stelle sei eine kleine fast saubere Ethno-Recherche unserer Redaktion eingeschoben: schwarzweiße oder gar bildlose gedruckte Herkommensverführungen im Galeriepostkartenwesen scheinen einesteils gänzlich out und nur noch Volkshochschulen und Selbsthilfekunstgruppen aus Armutsgründen erlaubt, andernteils sind, quasi im Armutsdesign, monochrome Namenskarten gerade der letzte Schrei) sieht man ein zwittriges Tierkadaverpuppenwesen mit dem Titel „Späte Eröffnung“, was auf krummen Wegen zur Redaktionsanmerkung überleitet, welche in tiefste Zeitungsmachermelancholie führt: Gedrucktes ist immer zu spät. Pfalzburgerstr.76, 1/15, Mi-Fr: 16 bis 19Uhr, Sa: 11 bis 14Uhr. „Für die Künstlerin würde ich mich freuen, wenn diese Ausstellung...“, schreibt die Galeristin von Bärbel Rutkowski und hat hiermit überzeugend das Menschliche mit dem Lukrativen verbunden. Der Künstlerin Malerei und Grafik ist bis zum 14.10. in der Königstr.44, 1/42, Mo-Do 13 bis 18Uhr, Fr 13 bis 18.30Uhr, Sa 10 bis 13Uhr zu besehen. Im Besitz nur eines, aber dafür umso literaturschwangereren Vornamens ist Beatrice. Sie hat, ohne Scheu vor der metaphorischen Gemeinheit, Im Strom. Bilder von Menschen. gemalt und freut sich sicher über unser Aufsuchen der Krummen Str.35/36, 1/12, bis zum 30.10. Mo-Fr: 9 bis 18Uhr, Sa: 9 bis 13Uhr. Was die Säulenräume von Barna v. Sartory angeht, sind wir uns, da der Vorname nicht im Strom schwimmt, des biologischen Geschlechts der säulenräumenden Kunstmachperson zwar nicht mit letzter Gewißheit sicher, laden aber trotzdem bis zum 13.10. noch ins Wissenschaftszentrum, Reichpietschufer50, 1/30. Schwer metaphorisch winkt Friederike Tebbe mit ihrem Ausstellungstitel Sicht Haft, einer Neuschöpfung in der Reihe der Knast-Teekesselwörter. Wohnhaft ist die Ausstellung noch bis zum 22.10. in der Arndtstr.26, 1/61, Do-So: 14 bis 18Uhr. Zu wie auch immer letzt werden wir unserem Geschlechts-Gesetz untreu, verführt durch den Titel einer Herrenausstellung, der da lautet: Erotik der Wellpappe. Da die Erotik ja bekanntermaßen quasi naturhaft dem Weiblichen innewohnt und die erste Hälfte der Wellpappe, etwas unbeholfen zwar, aber doch spürbar, sowohl auf weibliche Silhouetten anspielt als auch auf das weiblich ewig Fließende (die zweite Hälfte ignorieren wir schlankweg, um nicht in philosophische Abgründe zu stürzen), sei uns diese Transgression gestattet. Die Erotik weilt noch bis zum 6.10. in der Grolmannstr.51, 1/12, Mi-Fr 14 bis 19Uhr. Mit dieser Kunst auf Papier verabschiedet sich die Sesselredaktion, nicht, ohne noch erwähnt zu haben, daß obiger Durchgang in transitorischer Hilfsredakteurinnenersetzung des dauerhaften Qpfer auch nur gekocht wurde mit Wasser und

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