Eis-Embryos dürfen tauen

Richter in Tennesse entscheidet „im Interesse der ungeborenen Reagenzglaskinder“ / Mutter darf den biologischen Vater zur Vaterschaft zwingen  ■  Aus Washington Silvia Sanides

„Leben beginnt zum Zeitpunkt der Empfängnis“, erklärte Richter Dale Young vom Bezirksgericht Maryville (Tennessee) am Donnerstag und beglückte mit dieser Entscheidung amerikanische Abtreibungsgegner. Doch zugunsten des ungeborenen Lebens sprach sich der Richter nicht in seiner Entscheidung zu einem Abtreibungs-, sondern zu einem Scheidungsprozess aus. Die streitenden Parteien, Mary Sue Davis und Lewis Davis hatten sich über die Zukunft ihrer sieben gemeinsamen tiefgefrorenen Embryonen, allesamt Produkt einer Reagenzbefruchtung, nicht einigen können. Am Donnerstag entschied Young: Die sieben Embryonen sind Kinder, und es geht darum, ihre Zukunft in ihrem besten Interesse zu regeln. Und am besten sei den Tiefgefrorenen gedient, wenn sie, in Mary Sue Davis‘ Gebärmutter eingepflanzt und von ihr geboren würden. Weiteres, etwa die Rolle von Lewis Davis, dem biologischen Vater, könne später entschieden werden.

Lewis Davis dagegen hatte erklärt, daß er nach der Scheidung keine Kinder mit Mary Sue Davis oder einer anderen Frau haben wolle. Nach seinem Wunsch sollten die gemeinsamen Embryonen auf unbestimmte Zeit in der Gefriertruhe bleiben. Vor Gericht hatte sein Rechtsanwalt erklärt, sein Mandant wolle lediglich die Entscheidungsfreiheit über sein Fortpflanzungsleben bewahren. Die Argumente erinnerten an jene der Befürworter von Abtreibungsfreiheit. Mary Sue Davis machte indes geltend, daß ihr Ex-Ehemann mit der Samenspende die Einwilligung zur Fortpflanzung gegeben hatte.

„Die Entscheidung ist einfach nicht fair“, kritisierte Susan Wolf, Expertin für medizinische Ethik am Hastings Center. „Die Frau kann den Mann - auch nach der Scheidung dazu zwingen, Vater zu werden. Umgekehrt ist das nicht möglich“. Hätte der Richter zugunsten von Lewis Davis entschieden, fuhr Wolf fort, wären beide Parteien zu ihrem Recht gekommen. Lewis Davis müßte, nicht Vater werden und Mary Sue Davis hätte, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, wieder heiraten oder sich nach einem anonymen Samenspender umschauen können. Auf Einwände stieß die Entscheidung Youngs wegen ihrer weiten Auslegung. „Young erklärt eindeutig, daß Leben zum Zeitpunkt der Empfängnis beginnt“, kritisiert Ellen Clayton, Professorin für medizinisches Recht. „Auf dieser Grundaussage basiert die gesamte Entscheidung. Sie wird Abtreibungsgegnern dienen und möglicherweise der Reagenzglasbaby-Industrie Schwierigkeiten bereiten. Wenn nämlich tiefgefrorene Embryonen Kinder sind, die schnellstens in eine Gebärmutter eingepflanzt und geboren werden müssen, dann dürfen die Reagenzglasdoktoren nicht wie bisher tiefgefrorene Embryonen auf Jahre in der Tiefkühltruhe lagern. Lewis Davis wird Berufung einlegen. Da die juristischen Mühlen langsam mahlen, ist den sieben Tiefgefrorenen damit noch ein langes Dasein bei Minusgraden beschieden.